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19. Nürnberger Prozess - Tarnfirmensystem - Berufsverbände - Pazifisten - Heydt - keine Abrüstung in der Schweiz - Kreditrückzahlung - Guisan feiert - erste Wahrheiten und Rehabilitationen - die Schweiz von 1946 bis 1961
von Michael Palomino (1998 / 2004 / 2010)
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aus:
-- Hauptquelle: Markus Heiniger: Dreizehn Gründe. Warum die Schweiz im Zweiten Weltkrieg nicht erobert wurde, Limmat-Verlag, Zürich 1989
-- Webseiten
Nürnberger Prozess - "US"-Department of the Treasury" erforscht das Tarnfirmensystem - "Mitwirkungsrecht" der Berufsverbände - Polemik gegen Pazifisten - Freispruch für von der Heydt - keine Abrüstung in der Schweiz - deutsche Guthaben nicht aufgelöst - Kreditdiskussion
Der Nürnberger Prozess hat für die Schweiz keine direkten Auswirkungen, trotz aller direkter Nazi-Kollaboration der Regierung. Die deutschen Nazis tun sich gütlich und beschützen die Schweiz regelmässig mit ihren Aussagen. Funk bestätigt noch einmal, dass er 1943 keine zwei Monate auf die schweizer Umwandlung von Gold in Devisen habe verzichten können, denn die ganze Welt hatte ein Goldembargo gegen das Reich beschlossen, nur die Schweiz nicht.[266] Die Aussage Funks stimmt nicht ganz, denn auch andere neutrale Staaten haben Gold vom Reich angenommen, jedoch nur in kleinen Mengen (S.116).[267]
Die Untersuchungen des "US"-Department of the Treasury" weisen die Gründungen von ungefähr 700 Tarnfirmen in verschiedenen Ländern nach, die auf die Pläne von Strassburg von 1944 zurückzuführen sind.[268] Dasselbe Thema behandelt Historiker Werner Brockdorff in "Flucht vor Nürnberg". Er beschreibt 800 deutsche Nazi-Scheinfirmen ab 1944 in Spanien, Portugal, Schweden, der Schweiz und Südamerika (S.137).[269]
Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes organisiert ab 1946 auch Kinderpatenschaften für verarmte Kinder in Europa [web07].
Louis Häfliger, der Retter der Häftlinge von Mauthausen, findet nach der Entlassung aus dem Roten Kreuz und nach der Entlassung der Bank Leu in der Schweiz keine Anstellung mehr und wandert nach Wien aus [web08].
Der antifaschistische Tessiner Arzt Elio Canevascini wird in der Schweiz mit Arrest bestraft dafür, dass er italienische Antifaschisten in die Schweiz gelotst und ihnen das Leben gerettet hat. Er arbeitet im Spital in Medrisio als Orthopäde und führt eine eigene Praxis in Lugano [web09].
[So sind die nazifreundlichen Handlungen in der Schweiz nach 1945. Die Schweiz wird nicht entnazifiziert, und die schweizer Alt-Nazis können die Schweiz bis in die 1970er Jahre terrorisieren. Aber es kommt noch schlimmer]:
Peróns Nazi-Fluchtpolitik - Fluchtbüro an der Marktgasse 49 in Bern - die Allianz von deutschen Nazis, schweizer "Beamten" und argentinischen "Diplomaten"
Der argentinische Präsident Perón fördert dann ab 1946 die Nazi-Völkerwanderung nach Argentinien im Sinne für den "Aufstieg" seines Landes als Kriegsmacht. NS-Wissenschaftler und NS-Techniker sollen das Land "entwickeln". Es werden in Europa gezielt Alt-Nazis angeworben und deren Ausreise organisiert, z.B. von Skandinavien aus nach Argentinien ("Fluchtroute Nord") Argentinische Konsulate geben ausreisewilligen Alt-Nazis die Visas [web11].
1947 ergreifen die skandinavischen Regierungen Massnahmen und verhaften in Schweden einen argentinischen Nazi-Schlepper, und argentinische "Diplomaten" werden aus Dänemark ausgewiesen. Aber im selben Jahr richtet die argentinische "Diplomatie" in der Schweiz ein Schlepperbüro für die illegale Auswanderung nach Argentinien ein, an der Marktgasse 49 in Bern. Weitere argentinische Schlepperzentralen sind die Büros für Auswanderung nach Argentinien (Delegación Argentina de Inmigración en Europa, DAIE) in Genua und in Rom. Alt-Nazis bauen in Nachkriegsdeutschland ihre Kontaktnetze auf (z.B. Herbert Helfrich) und helfen sich zur Flucht, u.a. im Berner Büro an der Marktgasse mit den deutschen NS-Wissenschaftlern Herbert Helfrich und Georg Weiss. Alt-Nazis, die keine Ausreiseerlaubnis herhalten, werden heimlich in die Schweiz geschmuggelt und in Bern durch das Marktgassen-Trio Fuldner, Helfrich und Weiss mit "Papieren" versorgt. Dann reisen sie "via KLM" nach Buenos Aires, oder fahren nach Genua und nehmen das Schiff nach Buenos Aires. Der schweizer Botschafter in Buenos Aires, Feers ist informiert, kann aber nichts dagegen unternehmen. Weitere Mitarbeiter bei der "Marktgassenverschwörung" sind der nazifreundliche, schweizer Polizeichef Heinrich Rothmund, der deutsche Oberstleutnant Schaufelberger, sowie der ehemalige schweizer Botschafter in Argentinien, Jacques-Albert Cuttat. Cuttat blockiert die polizeilichen Ermittlungen gegen Nazi-Schmuggler. Fuldner reist später nach Argentinien zurück, um für die "exportierten" Alt-Nazis in Argentinien Arbeit zu organisieren. Das Büro an der Marktgasse 49 wird erst im Februar 1949 geschlossen. Die unheilige Allianz von Nazi-Agenten, Schweizer Beamten und argentinischen Diplomaten in Bern ermöglicht die Flucht von Naziverbrechern wie Josef Schwammberger (Kommandant des Ghettos von Przemysl), Erich Priebke (Massaker in den Ardeatinischen Höhlen in Italien), Josef Mengele (Menschenexperimente) und Adolf Eichmann (Organisator der Judendeportationen). Die Rotkreuz-Ausweise der hohen Nazi-Kriegsverbrecher weisen oft eine "verdächtig dicht aufeinanderfolgende Nummerierung auf", ein klarer Hinweis auf eine koordinierte Aktion [web10].
1947 wird den Berufsverbänden ein erstes "Mitwirkungsrecht" in den schweizerischen Betrieben zugestanden (S.202).[270]
Im selben Jahr 1947 wird endlich die Rentenversicherung (AHV) vom Stimmvolk angenommen. Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk macht u.a. Werbung mit dem Spruch "Versicherungsanspruch statt Bettelsuppe" [web05]. Die Einführung der AHV erfolgt im Jahre 1948 [web06].
Plakat des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) für die Einführung der Rentenversicherung AHV im Jahre 1947 mit dem Slogan "Versicherungsanspruch, nicht Bettelsuppe!" [1]
Die Pazifisten von vor dem Krieg werden gleichzeitig als Kriegsverursacher diffamiert, denn nur durch ihr Wirken sei man Hitler erlegen (S.245).
1948 wird Kaufmann und Kunstsammler von der Heydt freigesprochen. Die Militärjustiz will nicht das Versagen des eigenen Staates aufdecken und lässt die Analyse der Spionageverbindungen auf sich beruhen, damit nicht bekannt werde, dass der schweizer Steuerzahler die deutsche Spionage gegen die Schweiz selbst finanzierte. (S.153)[271]
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder der Welt, das nach dem Krieg nach 1945 keine Abrüstung vornimmt. Das "militärische Prinzip" und der disziplinierte Drill beginnen sich im Zuge des "Kalten Krieges" weiter durchzusetzen. Mit de Gaulle und Eisenhower werden zwei Generale der Alliierten im Ausland Präsidenten, so dass das militärische Argument in der schweizer Gesellschaft immer Vorrang besitzt (S.243-245).
Die Sprengladungen zur Selbstzerstörung von "Sprengobjekten" werden zum Beispiel nicht entfernt, sondern in Erwartung eines Angriffs des Warschauer Pakts auf Mitteleuropa werden die Sprengladungen beibehalten. Und sogar im Gotthard-Strassentunnel wird Sprengstoff gelagert. Insgesamt werden rund 2000 Bauwerke sprengbar gehalten (Brücken, Viadukte, Tunnels, enge Stellen). Erst nach der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts in den späten 1990er Jahren werden die Sprengladungen zur Selbstzerstörung entfernt bzw. die Objekte werden "desarmiert" [web01]. Die Schweiz wurde also die gesamte Zeit seit 1919 nie angegriffen, und auch nie geteilt. Gopf, hät diä Schwiiz Glöggli gha, hä.
1949 hat die Schweiz als einziges Land die deutschen Guthaben noch nicht aufgelöst. Und schlussendlich konnte es auch zu keiner Auflösung... (S.140).[272]
Die schweizer Propaganda beginnt eine Bagatellisierungstaktik gegenüber dem Kredit, der dem Dritten Reich gewährt wurde, was jahrzehntelang funktioniert. Es seien Zinsen und Dividenden schweizerischer Kapitalien im Reich gewesen, Honorare und ähnliches, "bestimmte Fazilitäten zur Erfüllung seiner Verpflichtungen", so Minister Hotz 1950 im Rechenschaftsbericht über die Kriegswirtschaft (S.110).[273]
Der schweizerische Bankangestellte und Retter von Mauthausen, Louis Häfliger, der nun in Wien wohnt, wird vom österreichischen Justizminister für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen [web08].
Die BRD bezahlt die Hälfte des Kreditüberzugs an die Schweiz zurück - Guisan glorifiziert das Reduit - Verurteilung Roesslers - erste Kritik an der Asylpolitik während des Krieges - die "J"-Stempel-Wahrheit - IKRK-Delegierter Lutz rehabilitiert - Tod Roesslers - Untersuchungen über Zensur - die Charité-Akten werden öffentlich bekannt
Im Frühling 1952 finden Londoner Verhandlungen über die Regelung der deutschen Auslandschulden statt. Die BRD wird verurteilt, 665 Millionen Franken, die Hälfte des Kreditüberzugs von 1945, an die Schweiz zurückzubezahlen. [Die DDR wird ausgespart und fühlt sich zu nichts verpflichtet] . Spätestens hier werden die Dimensionen der Hehlerei für die deutschen Verbrechen öffentlich (S.111) und die BRD zahlt die Geldsumme tatsächlich noch im selben Jahr zurück (S.106). Die Schweiz ist das drittgrösste von 29 Gläubigerländern des Hitler-Reichs (S.113). Die Basler Nationalzeitung stellt die Clearing-Milliarde nun als Akt der "Selbstbehauptung" dar.
Basler Nationalzeitung:
<Die "Clearingmilliarde" ist auch denen zugute gekommen, die sie, unter Protest, während des Krieges und nach dem Krieg als "Schweizer Hilfe an das kriegführende Deutschland" abtun wollten. In Wirklichkeit war sie ein integrierendes Element schweizerischer Selbstbehauptung und internationaler Leistungsfähigkeit unseres Landes in einer sehr delikaten Zwangslage.>[274]
Halder sagt 1952 aus, dass die Schweiz ein völlig ungeeignetes Gebirgsland gewesen sei und als Neutraler im Krieg "beste Dienste" geleistet habe (S.50-51).[275]
Ex-Doppelagent Roessler schreibt bei den Luzerner Neuen Nachrichten (LNN) mehrere Artikel gegen die Wiederaufrüstung Deutschlands. Dies wird im als kommunistenfreundlich ausgelegt und die Stelle bei den LNN wird ihm gekündigt [web04].
General Guisan glorifiziert 1953 propagandamässig den Rückzug der Armee ins Reduit, um gegen alle kritischen Diskussionen anzutreten. Er behauptet, es sei damit eine Schlacht im Mittelland vermieden worden, und das Gebiet hätte dadurch weniger gelitten als mit einer Entscheidungsschlacht.[276] Währenddessen wird das Reduit durchaus auch mit einer Mausefalle verglichen, in der die schweizer Armee hätte ausgehungert werden können (S.177).
Im selben Jahr am 5.11.1953 wird der Doppelagent Roessler in Luzern zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er der Gulag-kommunistischen Tschechoslowakei Geheimnisse der Bundesrepublik Deutschland übermittelt haben soll und damit auf hochpolitische Art und weise die Neutralität verletzt hat. So war die Rechtsprechung zu Zeiten des Kalten Krieges in der Schweiz [web03].
Erst zehn Jahre nach Kriegsende kommen bedeutende Stimmen zur Asylpolitik von damals auf. Carl Ludwig berichtet, dass die harte Asylpolitik der Schweiz nicht auf den Wunsch Hitlers erfolgt sei:
"Einem offiziellen Druck des Auslandes, der sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen richtete, war die Schweiz während des ganzen Zweiten Weltkriegs nie ausgesetzt." (S.223)[277]
Es sei der General und die Behörden gewesen, die mit der Angst vor zukünftigen "Unzuträglichkeiten und Gefahren" die Flüchtlinge ausgesperrt hätten.[278]
Louis Häfliger, der ausgewanderte Bankangestellte und Retter von Mauthausen, wird Österreicher [web08].
1956 wird der Gulag-kommunistische Spionageleiter Radó aus dem Gulag aus Sibirien entlassen und darf nach Ungarn zurückkehren [web03].
1958, erst 13 Jahre nach Kriegsende, kommt die "J"-Stempel-Wahrheit ans Licht. Es wird bekannt, dass die schweizer Diplomatie selbst Mitinitiantin des diskriminierenden Stempels war. Um die Unpässlichkeit etwas abzufedern, wird schnell der Bericht des damaligen IKRK-Delegierten Lutz aus der Schublade geholt, und Lutz, der wegen "Ungehorsams" und Rettung von Juden verurteilt worden war, teilweise rehabilitiert. Lutz und das IKRK werden nun als "gute Beispiele" gebraucht (S.158).[279]Im selben Jahr 1958 stirbt der deutsche Exilant Rudolf Roessler, Literaturkritiker und ehemaliger Doppelagent für den schweizerischen und den Gulag-kommunistischen Nachrichtendienst. Er wird in Kriens bei Luzern begraben [web02]. Roessler kann seine Rehabilitation nicht mehr erleben [web03].
Auch das Tabu der Zensur der Kriegszeit wird mehr und mehr gebrochen. Alfred Ernst berichtet 1959, die Angst, wegen Presseberichten von Hitler überfallen zu werden, sei völlig unbegründet gewesen. Presseäusserungen waren bei Hitler höchstens ein Vorwand für einen ohnehin beschlossenen Angriff. Aber eine ängstliche Presse komme sicher zu dem Urteil, dass Belgien und Holland wegen Presseformulierungen angegriffen worden seien (S.219).[280]
Erst 1961 werden die Charité-Akten durch ausländische Berichte der breiten Öffentlichkeit und somit auch Frankreich selbst bekannt. In der Schweiz wird über die Vergangenheit nach dem Motto "Wer nicht schweigen kann, schadet der Heimat", weiter geschwiegen (S.35) [bzw. im Kalten Krieg in der innenpolitischen Diskussion jeder Tabubruch als "Verrat" bezeichnet] .
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