aus: Peter Balzli: Treuhänder
des Reichs. Eine Spurensuche. Werd-Verlag, Zürich 1997
* Die mit * gekennzeichneten Namen
wurden aus Gründen des Personenschutzes vom Verfasser
geändert (S.15)
<Doppelte
Böden
Harte Devisenvorschriften zwingen die Juden, ihre
Vermögen heimlich in Sicherheit zu bringen.
Professionelle Schmuggler haben Hochkonjunktur.
[Jüdische Vermögen aus Frankreich, Polen,
CSSR und Ungarn - Hauptbanken die drei schweizer
Grossbanken - die jüdische Kleinbank Wohl &
Co.]
[Die Lüge der Bankiervereinigung 1996:
Kapitalanstieg ab 1934 habe "mit den jüdischen
Vermögen nichts zu tun" - jüdische Gelder aus
Frankreich, Polen, CSSR und Ungarn etc.]
Die Aussage von Heinrich Schneider war gewagt. In einem
Interview mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen im Sommer
1996 wurde der Sekretär der Schweizerischen
Bankiervereinigung auf die Verhältnisse in den
dreissiger Jahren angesprochen. Bei der Frage, wie es
denn zu erklären sei, dass damals die Kundengelder in
der Schweiz dermassen angestiegen seien, winkte
Schneider ab. Das habe mit den jüdischen Vermögen nichts
zu tun. Doch Schneider irrt. Zwar wird wohl keine
Expertenkommission je genau beziffern können, wie viel
Vermögen ausländischer Juden am Ende in der Schweiz lag,
doch ein Grossteil dieser Gelder gelangte in der Zeit
des "hot money" in die Schweiz. Seit 1934 warben die
Schweizer mit einem frisch installierten Bankgeheimnis,
das zumindest laut Prospekt vor Schnüffeleien
ausländischer Behörden schützte. Zum stetigen Strom des
deutsch-jüdischen Fluchtkapitals kamen darum ab 1936
neben französischen auch immer mehr Vermögen von
polnischen, tschechischen oder ungarischen Juden
dazu, die in Safes oder auf Nummernkonten deponiert
wurden.
[Zeuge Oswald Landau: Jüdische Gelder zum Teil aus
Polen - Grossbanken SBG, Bankverein und CS/SKA werden
dabei bevorzugt Ziel der Gelder]
Oswald Landau ist einer der wenigen noch lebenden
Menschen, die diese Jahre miterlebt haben. Der heute
achtzigjährige Ex-Bankier studierte von 1935 bis 1939
Jura an der Universität Zürich und arbeitete zeitweise
im Geschäft seines Vaters mit. Das jüdische Bankhaus
Wohl & Co. war damals ein kleines, überschaubares
Institut mit einer äusserst kosmopolitischen Kundschaft.
"Zu dieser Zeit strömten viele jüdische Vermögen aus
allen möglichen Ländern in die Schweiz. Aus der Sicht
der Herkunftsstaaten war das zwar illegal, aber wir
waren moralisch verpflichtet, den Leuten zu helfen. Ein
Teil unserer jüdischen Kunden stammte aus dem Osten, vor
allem aus Polen. Viele Bekannte und Freunde zogen es
allerdings vor, ihr Geld bei einer der drei Grossbanken
zu halten", erklärt Landau. (S.37)
[Die jüdische Bank Wohl & Co. in Zürich
zog systematisch jüdische Gelder an -
Nummernkonten - Ausführungsbestätigungen werden
aufbewahrt]
Sein Vater hatte zur gleichen Zeit aber noch andere
Probleme. Obwohl zu den Geschäften der Grossbanken kein
Unterschied bestand, war Wohl & Co. den hiesigen
Behörden ein Dorn im Auge. Ein Bericht des Polizeikorps
des Kantons Zürich vom 20. August 1935 lässt da tief
blicken. Wegen eines angeblichen Betruges eines
Schweizers hatte das Konsulat in Zagreb die Zürcher
beauftragt, die Geschäfte von Landaus Vater und seiner
Partner zu durchleuchten. "Die Firma Wohl & Co.
Bankgeschäft, Beatengasse 15 in Zürich wurde Anfang des
Jahres 1920 gegründet, und zwar von den drei aus Krakau,
Polen, stammenden Juden: Wohl Aron, Holzer Aron, und
Landau Abraham gen. Roman. Als Zweck der Firma wurde
damals im Handelsregister eingetragen:
Uhrenfabrikation, Uhrenexport und Bankkommission.
Das letztere war wohl schon anfänglich das
Hauptgeschäft, und der Uhrenexport war wohl nur ein
Mäntelchen", schrieb der ermittelnde Polizeibeamte, der
in einem Grossteil der Kundschaft von Wohl & Co.
"typische Devisenschieber" erkannte. Laut Polizei sassen
die Schieber in Budapest, Wien, Amsterdam und Paris, von
wo sie ihre Geschäfte abwickelten. "Diese Leute haben
bei der Firma Wohl & Co. sog. Deckkontos oder
Nummernkontos. Telephonisch erteilen die Kontoinhaber
immer allerlei Dispositionsaufträge, die von der Firma
Wohl & Co. ausgeführt werden. Die betreffenden
Ausführungsbestätigungen werden von der Fa. Wohl &
Co. jeweils wohl ausgestellt, werden dem Kontoinhaber
jedoch in der Regel nicht zugesandt, sondern werden zu
Handen desselben auf der Bank aufbewahrt. In den meisten
Fällen werden sie in der Folge vom Kontoinhaber
überhaupt nie abgeholt. Es kann hieraus ermessen werden,
in welchem Grade die getätigten Geschäfte als normal
bankmässig zu bezeichnen sind. Die Kontoinhaber der gen.
Bank wollen eben möglichst unbekannt bleiben, und das
Bankgeschäft Wohl & Co. leistet dieser Art Leute
Vorschub."
Als Beweis für die angebliche Unseriosität der Geschäfte
wurde im Bericht ein konkreter Fall angeführt, bei dem
sich Abraham Landau wehrte, irgendwelche Auskünfte zu
erteilen. Die Tonalität des Berichts erstaunt Landau
nicht. "Die Schweiz war damals ziemlich nazistisch.
Sogar mein Rektor im Gymnasium war ein Fröntler. Uns
hätten sie wohl zuerst gepackt, wenn die Deutschen
gekommen wären", meint er heute.
Oswald Landau reiste 1939 zur Weltausstellung in New
York. Eigentlich war geplant, dass er im Oktober
zurückkehren sollte. Doch als die Deutschen begannen,
Polen zu überrollen, entschloss er sich (S.38)
drüben zu bleiben. Sein Vater, der sich immer noch in
der Schweiz befand, bekam es wenig später ebenfalls mit
der Angst zu tun. Am 10. Mai 1940 erwischte er in Genf
den letzten Flug nach Barcelona und konnte sich via
Lissabon nach Brasilien retten. Vater und Sohn sahen
sich erst über zehn Jahre später wieder.
[Die jüdische Bank Wohl & Co. wechselt in die
"USA" - jüdische Bankkonten werden nach 1945
eingesackt]
Die Landaus hatten aber nicht nur sich selbst, sondern
auch das Geld ihrer verfolgten Kunden in Sicherheit
gebracht. "Den grössten Teil haben wir 1939 bei
amerikanischen Banken in den USA hinterlegt", sagt der
heute achtzigjährige Bankier. Nach dem Krieg kamen dann
immer wieder Gerüchte auf, dass bei der in Landau &
Kimche umbenannten Bank grössere Beträge an namenlosem
Vermögen vorhanden seien. Im Frühling 1954 kontaktierte
beispielsweise die ungarische Gesandtschaft das
Eidgenössische Politische Departement und präsentierte
vier Konten von ungarischen Juden aus Budapest, die 1944
ermordet worden waren [oder sie wurden in ein deutsches
Konzentrationslager gebracht und dann nach der
"Befreiung" in den Gulag deportiert]. Es handelte sich
-- um Jakob Kaufmann mit 98.000 Franken auf Nummernkonto
28;
-- Mor Apfel mit 880.000 Franken auf Nummernkonto 36;
und
-- Samuel Rosenberg mit 176.000 Franken auf den
Nummernkonten 56, 63 und 84.
Doch die Recherchen der schweizer Behörden brachten
nichts. "Die ablehnende Antwort der Bank Landau &
Kimche, Zürich, war zu erwarten. Rechtlich können wir
wegen des Bankgeheimnisses nichts dagegen vorkehren",
heisst es in einer Aktennotiz der Abteilung für
Auswärtiges vom 4. Mai 1954.
[Verkauf der Bank Wohl & Co. an die SBG 1980 -
Dementi gegen nachrichtenlose Vermögen]
Oswald Landau, der seine Bank 1980 an die SBG
[Schweizerische Bankgesellschaft, heute UBS] verkaufte,
dementiert heute alle Gerüchte, dass bei ihm
nachrichtenlose Vermögen übriggeblieben seien. "Die Bank
war klein und sehr überschaubar. Wir haben unsere Kunden
gekannt. Ein Teil davon hat ihr Geld nach dem Krieg
abgeholt. Den kleinen Rest haben wir gemäss dem
Bundesbeschluss über die herrenlosen Vermögen von 1962
nach Bern abgeliefert. Danach war nichts mehr übrig",
meint er mit gelassener Stimme.
Landau bringt heute kaum mehr etwas aus der Ruhe. Bei
einem Dokument aus dem Archiv der Schweizerischen
Nationalbank macht der ehemalige Bankier jedoch eine
Ausnahme. Spontan kommt ihm die Fichenaffäre in den
Sinn, plötzlich hat ihn die Neugier gepackt. Kein
Wunder, denn das Direktionsprotokioll Nr. 1359 vom
17./18. Dezember 1936 betrifft ihn ganz persönlich:
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft gibt Kenntnis von
einem Bericht der Direktion des II. Zollkreises, aus dem
hervorgeht, dass ein gewisser Oswald Landau, Bankbeamter
(S.39)
in Zürich unter Umgehung der Deklarationspflicht durch
Verwendung von Koffern mit Doppelböden, Gold im Werte
von Fr. 65.000.- in die Schweiz eingeführt hat. Das Gold
war für das Bankgeschäft Wohl & Co., Zürich, bei dem
Landau angestellt ist, bestimmt. Noch in einem andern
Falle wurde von einem gewissen Tannenbaum auf die
nämliche Weise Gold, das für das genannte Bankgeschäft
bestimmt war, eingeführt. Gegen Landau und Tannenbaum
ist ein Strafverfahren wegen Verletzung der Vorschriften
über die Zollanwendung eingeleitet."
Landau bestreitet 50 Jahre später entschieden, je irgend
etwas geschmuggelt zu haben, geschweige denn in ein
Strafverfahren verwickelt gewesen zu sein. Er kann sich
höchstens vorstellen, dass ein an der Grenze
festgenommener Kurier ihn als Empfänger angegeben hat.
Unabhängig davon, welche Version nun zutrifft [die
schweizer Polizei und die schweizer Justiz erfinden
gerne kriminelle Geschichten gegen Ausländer, vor allem,
wenn es sich um Juden oder Deutsche handelt], ist die
Schmuggelgeschichte bezeichnend für die damalige Zeit.
[Deutschland verschärft schrittweise die
Devisenvorschriften gegen schweizer Schmuggler]
[Devisenschmuggel gegen strenge
Devisenvorschriften]
Denn das "hot money" der Nazi-Opfer [in Zusammenarbeit
mit den kriminellen, zionistischen Organisationen] kam
zwar in grossen Mengen in die Schweiz, aber die
Verschiebung an sich war alles andere als einfach. Da in
beinahe allen europäischen Ländern mehr oder weniger
strenge Devisenvorschriften galten, konnte das Geld
nicht einfach überwiesen werden. Kapitalverschiebungen
Richtung Ausland wurden hart bestraft. Somit machte die
Not erfinderisch, die Vermögen wurden mit
verschiedensten Techniken heimlich in die Schweiz
geschleust.
Noch am einfachsten hatten es dabei die schwerreichen
jüdischen Familien. Die internationalen Kontakte und
Firmengeflechte ermöglichten es ihnen, die Vermögen
mittels juristischer Spezialkonstruktionen auszulagern.
Eine Methode, die die Nazis kannten und fürchteten.
[Beispiel: Kapitaltransfer von reichen jüdischen
Familien - Familie Petschek mit einem
Kohlebergwerk in der CSSR - Schweizer gründen
Holdings, um gegen das schweizer Gesetz jüdische
Gelder zu verstecken]
Anschauungsunterricht liefert das Beispiel der
tschechischen Familie Petschek. Sie war Alleinbesitzerin
eines grossen Konzerns, der in Deutschland und der
Tschechoslowakei mehrere Kohlebergwerke besass. Die
Arisierung des Konglomerats wurde zur Chefsache erklärt.
Hermann Göring persönlich wollte die Bergwerke an sich
reissen und damit das von ihm kontrollierte
Industrie-Imperium noch weiter ausbauen. Doch die
sogenannten "Verhandlungen" über die Modalitäten einer
Übergabe zogen sich hinaus, weil die Besitzer um keinen
Preis verkaufen wollten. Sie liessen es auf eine
Machtprobe ankommen. Obwohl die Petscheks am Ende der
langwierigen Arisierung wie zu erwarten die Verlierer
waren, hatten die Deutschen Anfang 1938 eine Zeitlang
Angst um die erfolgreiche Durchführung ihre geplanten
Raubzugs. "Unterdessen (...) würden die Ignaz Petscheks
damit beginnen (S.40),
in der Schweiz und den Niederlanden Scheingesellschaften
zu gründen. Es sei keine Zeit zu verlieren, da die
Petscheks in wenigen Monaten ihr gesamtes Vermögen auf
ausländische Gesellschaften übertragen haben würden, ein
Vorgang, den die Deutschen 'Einnebelung' nannten",
schreibt Holocaust-Experte Raul Hilberg in seinem Buch
"Die Vernichtung der europäischen Juden".
Diese Scheingesellschaften waren nichts andere als durch
schweizer Strohmänner installierte Holdings, die zu
dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden schossen und der
Nationalbank in ihrem hartnäckigen Kampf gegen das
ausländische "hot money" einen Strich durch die Rechnung
machten. Der Kreuzzug der nationalen Währungshüter war
somit ganz im Sinne Berlins. Durch das Gentlemen's
Agreement mit den Banken mussten unzählige
Nazi-Verfolgte horrende Kommissionen berappen und auf
dringend benötigte Zinsen verzichten. Hinzu kam:
Der einmal von SNB-Generaldirektor Paul Rossy
geforderte, aber nie verwirklichte Bundesbeschluss gegen
das ausländische Fluchtkapital hätte auch eine Kontrolle
solcher Scheingesellschaften respektive Holdings
beinhaltet. Im Juli 1940 kam ein ähnlicher Vorschlag
nochmals auf, der Absender war diesmal das Dritte Reich.
[1940: Berlin fordert die Genehmigungspflicht für
Kapitalverschiebungen an Schweizer oder "Amerikaner"]
Nach der Kapitulation Frankreichs, Belgiens, Hollands
und Norwegens [und Dänemarks] wollten die Nazis unter
anderem Arisierungsprobleme à la Petschek nicht noch
einmal erleben. Sie machten Druck auf die [offiziell]
neutralen Staaten, die die Vermögensübertragungen auf
Schweizer oder Amerikaner einer Genehmigungspflicht
unterstellen sollten, damit diese Gelder und Firmen
nicht dem deutschen [und dem zionistischen] Einfluss
entzogen werden konnten. Die Drohung war
unmissverständlich: Übertragungen, die nach
Kriegsausbruch [nach September 1939] stattgefunden
hatten, sollten nicht als rechtsgültig anerkannt werden.
In der Schweizer Nationalbank zerbrach man sich den Kopf
über die technischen Probleme, die der Wunsch des
befreundeten Nachbarn bereitete - von politischem
Widerstand fehlte jede Spur.
[Der Wirtschaftsboykott der "USA" gegen Deutschland ab
1933 wird nie erwähnt. Alle Massnahmen gegen Juden sind
offiziell als Antwort gegen den Wirtschaftsboykott zu
verstehen. Wenn Hitler die Juden jedoch alle arisiert
hätte und für den Krieg eingesetzt hätte, dann wären
nicht nur viele Transportkapazitäten freigeworden...].
Auszug aus dem Direktionsprotokoll vom 31. Oktober 1940:
"Nach der deutschen Anregung wird nur auf eine Regelung
hinsichtlich der Beteiligungen an grossen,
wirtschaftlichen Objekten (gewerbliche Unternehmungen
auf landwirtschaftlichem, industriellem oder
bergbaulichem Gebiet) Wert gelegt. Die Hauptrolle würde
demzufolge praktisch die Beteiligung durch Aktienbesitz
spielen. Eine Kontrolle (die zudem unvollständig wäre,
da sie sich nur auf das Verhältnis der Gesellschaft zum
Erwerber bezieht) ist lediglich bei der Übertragung
(S.41)
von Namenaktien durch die Einrichtung des Aktienbuches
möglich. Bei den Inhaberaktien entfällt diese
Möglichkeit, und die Verwirklichung eines deutschen
Vorschlages, sie in Namenaktien umzuwandeln und durch
eine schweizerische Behörde abstempeln zu lassen, ist
undurchführbar."
Bei der Besprechung war auch ein Vertreter des
Eidgenössischen Politischen Departements anwesend, der
die Wirkungslosigkeit der schweizer Diplomatie
eingestand. Er bemerkte, dass mit weiteren Verhandlungen
über die deutsche Gesandtschaft in der Sache nichts
erreicht werden könne. Er würde es daher begrüssen, wenn
das Direktorium die Möglichkeit sähe, mit der Leitung
der Reichsbank Fühlung zu nehmen unter Hinweis darauf,
dass sich die Anregung zu einem schweizerischen Erlass
des gewünschten Inhalts nicht verwirklichen lasse. Die
Reichsbank werde sich zweifellos der Einsicht nicht
verschliessen können, dass ein solcher Erlass
Rückwirkungen auf die schweizerischen Guthaben in den
Vereinigten Staaten von Amerika haben müsste, was auch
vom Standpunkt der Reichsbank aus unerwünscht wäre.
Die Leitung der Nationalbank besprach die Angelegenheit
kurz darauf mit dem Reichsbank-Vizepräsidenten Emil
Puhl. Doch scheint der Vorstoss der Deutschen am Ende im
Sand verlaufen zu sein. Zumindest fanden im Direktorium
keine weiteren Besprechungen über diese Angelegenheit
statt.
[Firma in der Schweiz - Vermögen gutschreiben lassen
in der Schweiz - "Nichtarier reist der Ware nach"]
Die Methode mit den Scheingesellschaften konnte
lediglich von einzelnen, grossen, jüdischen Bankiers und
Geschäftsleuten angewendet werden. Händler und
Fabrikanten des Mittelstandes, die nur in ihrem
Heimatland eine Firma besassen, mussten sich eine andere
Variante ausdenken. Wer im Export tätig war und zugleich
auch Schweizer Firmen als Kunden hatte, konnte sich mit
einer einfachen Technik ein Vermögen in der Schweiz
aufbauen. Vorausgesetzt, der schweizer Partner spielte
mit, wurden die Rechnungen für Warenlieferungen schlicht
nicht bezahlt respektive der Betrag in der Schweiz
zugunsten des jüdischen Lieferanten, der seine
Auswanderung vorbereitete, zurückbehalten. Im Jargon der
deutschen Reichsbank nannte sich dieses Vorgehen:
"Nichtarier reist der Ware nach."
Die totalen Ausstände auf diesen Kommissionssendungen,
die auch mit anderen Ländern praktiziert wurden,
betrugen im Dezember 1934 schon 164 Millionen
Reichsmark. Im März 1935 waren sie bereits auf 231
Millionen und Ende September auf 305 Millionen
Reichsmark angewachsen. Die Absicht (S.42)
der Juden leuchtete ein. Nach der geplanten Auswanderung
oder Flucht wollte man sich das Geld bei der
entsprechenden Firma auszahlen lassen.
[Das Umgehen der NS Exportvalutakontrolle -
das Umgehen des weichen Wechselkurses der Reichsmark -
das Umgehen der Reichsfluchtsteuer]
Die Technik mit den Kommissionssendungen war eine heikle
Sache. Die Exportvalutakontrolle der Deutschen hatte
zwar Lücken, trotzdem bestand die Gefahr aufzufliegen.
Ein Verfahren wegen Devisenvergehen, wie im Fall Richard
Katz beschrieben, musste vermieden werden, denn nach
deutschem Recht wäre der Devisenerlös aus dem Export der
Reichsbank zugefallen. Exporteure bekamen lediglich den
Gegenwert in Reichsmark. Zudem galt es, die drakonische
Reichsfluchtsteuer zu umgehen. Diese Abgabe galt
grundsätzlich ab dem 8. Dezember 1931 für alle
auswanderungswilligen Reichsangehörigen. Am Anfang waren
davon Personen betroffen, die per 1. Januar 1931 ein
Vermögen von über 200.000 Reichsmark oder ein jährliches
Einkommen von mehr als 20.000 Reichsmark besassen. Mit
der bald nach Hitlers Machtübernahme einsetzenden
Auswanderung vieler Juden wurde die Steuer ausgedehnt.
Ab Frühling 1934 fielen bereits Vermögen ab 50.000
Reichsmark unter diese Regelung. Der Satz betrug
generell 25 Prozent des steuerpflichtigen Vermögens. Mit
diesem Mittel kassierten die Nazis von Tausenden
jüdischer Emigranten am Ende total 900 Millionen
Reichsmark.
[Schmuggelverfahren per Post]
Ob Auswanderung oder nicht, angesichts der gesetzlich
verordneten Schröpfung durch Devisenvorschriften,
Fluchtsteuer und anderem blieb den meisten Juden nur
eine Lösung, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen: Die
vor dem Fiskus verheimlichten Vermögen in Form von
Bargeld, Gold, Schmuck, Wertpapieren etc. mussten via
Mittelsmänner heimlich über die Grenze und dort bei
einer Bank oder einem Bekannten deponiert werden. Und wo
ein Bedürfnis war, da war auch ganz schnell ein Markt.
Zwar versuchten es ein paar Wagemutige auf eigene Faust
und schickten beispielsweise Goldringe in
Backpulverbriefchen mit der Post zu schweizer Bekannten
oder schlichen sich persönlich über die grüne Grenze.
[Beispiel: Vermögensschlepper Wegener -
deutscher Anwalt mit einer eigenen Bank in der
Schweiz]
[Die "Vermögensschlepper" in der Schweiz - der
Wahlschweizer Hans Wegener gründet ein Fluchtbüro und
ein "Beratungsbüro" für Deutsche und deutsche Juden in
Zürich - und eine Fluchtbank in Luzern - und
"Investitionen" in Immobilien]
Viele nahmen jedoch die Dienste von Vermögensschleppern
in Anspruch. Gegen horrende Provisionen von 10 bis 20
Prozent des verschobenen Betrages gelangten die Gelder
unter anderem auch in die Schweiz. Der Wahlschweizer
Hans Wegener hatte das Geschäft mit der jüdischen Not
schon sehr früh gewittert. Nach dem Rechtsstudium
schaffte es der Spross einer altpreussischen Offiziers-
und Beamtenfamilie mit (S.43)
den Jahren zum Kammergerichtsanwalt, Dozent und
juristischen Schriftsteller. Im Ersten Weltkrieg
arbeitete er für die deutsche Militärjustiz. Gegenüber
den schweizer Behörden erklärte er später, dass er
nachher nach Freiburg im Breisgau gezogen sei, um sozial
tätig zu sein, respektive "um den Rentner- und
Mittelstand vor dem drohenden Zusammenbruch zu retten".
Offenbar war das Krisenmanagement nicht sehr rentabel.
Wegener wechselte 1924 erneut den Wohnort und diesmal
auch gleich das Land.
Zusammen mit seiner Familie lebte er ab diesem Zeitpunkt
in Luzern, wo er sich im Frühling 1930 einbürgern liess.
Je lauter die braunen Töne in Deutschland wurden, um so
mehr konkretisierte sich bei ihm wohl die Idee zum
grossen Geschäft. Seine Erfahrungen mit deutschen
Behörden und Gesetzen sollten zu Geld gemacht werde.
Knapp eineinhalb Jahre vor Hitlers Machtübernahme
eröffnete er an der Stockerstrasse 31 in Zürich ein
Büro für "Deutsch-Schweizerische Rechts- und
Wirtschaftsberatung". Doch das war erst der
Anfang. Für Vermögensverschiebungen im grossen Stil
reichte ein kleines Büro nicht aus, es brauchte eine
Organisation. Zusammen mit dem Zürcher Rechtsanwalt
Albert Egli gründete Wegener laut Handelsregister wenige
Monate späte an derselben Adresse den "Verband von
Privatgläubigern Deutschlands (Abwehrorganisation
gegen die Rückwirkung der deutschen Notgesetzgebung)".
Zum letzten und entscheidenden Schritt inspirierte ihn
sein persönliches Umfeld. Wegener hatte in Luzern
regelmässig Kontakt mit einem schweizer Bankier, der
seine eigene Bank ein paar Jahre zuvor in den Ruin
getrieben hatte. Das Know-how seines gescheiterten
Freundes reichte immer noch für die Gründung eines neuen
Instituts aus. Mit Sitz an der Hirschmattstrasse 13 in
Luzern entstand im Oktober 1932 die Garantie- &
Credit Bank AG. Firmenzweck: Betrieb aller Arten
von Bank- und Kreditgeschäften, insbesondere die
Übernahme von Garantien.
Die jüdischen Kunden für seine Kapitalfluchtmaschine
liess sich Wegener teilweise durch den Zürcher
Immobilienmakler Georg Schwabe vermitteln. Dass gerade
ein Liegenschaftenhändler als Vermittler auftrat,
erstaunt nicht. Verschiedene Juden legten ihr Geld nicht
nur bei Banken, sondern auch in Immobilien an. Der
Besitz liess sich einfacher tarnen und hinterliess kaum
Spuren. Den Auftritt beim Grundbuchamt übernahm jeweils
der schweizer Makler, der als Strohmann fungierte. In
anderen Fällen kaufte man sich in
Immobiliengesellschaften ein, wo die Anonymität des
Investors noch einfacher zu (S.44)
sichern war. Pro Transaktion verlangte Wegener von
seinen Kunden 10 Prozent des verschobenen Vermögens. Der
Jurist begab sich häufig gleich selbst nach Deutschland,
um die entsprechenden Verträge abzuschliessen. Ein
riskantes Vorgehen, das ihm schon nach wenigen Monaten
zum Verhängnis werden sollte.
[Ergänzung: Im September 1933
beschlagnahmte Nazi-Deutschland alle ausländischen
Vermögen in Deutschland, darunter Milliarden schweizer
Investitionen. Zwei Jahre später wurden dann durch
"Arisierungen" deutsche Firmen auch an schweizer
"Freunde" verschenkt, quasi als Kompensation. Die
schweizer Politik förderte den Handel mit
Nazi-Deutschland mit einer "Freien Devisenspitze": Das
Dritte Reich erhielt somit in der Schweiz unbeschränkten
Kredit].
[Die Verhaftung Wegeners in NS-Deutschland - 100.000e
oder sogar Millionen Reichsmark in die Schweiz
verschoben - 10 Jahre Zuchthaus]
Dem Traum vom grossen Geld machten die deutschen
Behörden im Spätsommer 1933 abrupt ein Ende. Die Nazis
waren frisch an der Macht, und die Entlarvung des
schweizer Kapitalschmugglers kam wie gerufen. Man wollte
an ihm ein Exempel statuieren. Die Justizpressestelle
schlachtete den Fall entsprechend aus:
"Der Zollfahndungsstelle Berlin ist es im Zusammenhang
mit den Zollfahndungsstellen Freiburg und Stuttgart
gelungen, Devisenschiebungen grössten Ausmasses
aufzudecken und den Haupttäter in der Person des
früheren Rechtsanwaltes am Kammergericht Dr. Wegener
festzunehmen. Dr. Wegener, der inzwischen die
schweizerische Staatsangehörigkeit erworben hat, hat
systematisch von der Schweiz aus die Verschiebung
deutscher Vermögenswerte ins Ausland organisiert. In
Zürich und Luzern unterhielt er Beratungsbureaus für
deutsche Emigranten, besonders für solche jüdischer
Abstammung, denen er in einer von ihm gegründeten,
sogenannten Garantiebank gleichzeitig ein Institut für
die Verschiebungen ihrer Vermögenswerte ins Ausland zur
Verfügung stellte. Weiter bemühte er sich mit Hilfe
guter Beziehungen, das in Deutschland festliegende
Vermögen von Emigranten flüssig zu machen, und suchte,
gestützt auf sein ansehen als früherer deutscher Anwalt,
durch Ausstreuung unwahrer Gerüchte über die deutsche
Wirtschaftslage, die deutschen politischen Zustände, die
Überführung deutscher Werte ins Ausland zu
beschleunigen. In Berlin arbeitete er mit den
Börsenmaklern Ernst Strohheim und Erich Michaelis
zusammen, die gleichfalls festgenommen werden konnten.
Unter dem Druck des Beweismaterials hat Dr. Wegener
bereits Verfehlungen zugegeben, die in die
Hunderttausende gehen. Hierbei dürfte es sich aber nur
um einen Bruchteil seiner Schiebungen handeln. Aufgrund
der von Wegener selbst gemachten Angaben konnten weitere
Personen verhaftet werden."
Die deutschen Richter verhängten das absolute
Höchstmass: Zehn Jahre Zuchthaus und 100.000 Reichsmark
Geldstrafe. Wegener stand den Strafvollzug der Nazis
nicht lange durch. In trockenem Amtsdeutsch teilte das
Eidgenössische Politische Departement Frau Wegener 1935
mit, dass ihr Mann in einer deutschen Heilanstalt
interniert (S.45)
werde, wegen "Sinnestäuschungen" und "religiösen
Wahnideen". Die Deutschen hatten ganze Arbeit geleistet.
Kurz vor Kriegsausbruch schoben sie ihn über Kreuzlingen
in die Schweiz ab. Wegener war ein gebrochener Mann,
gesundheitlich am Ende. Seine Luzerner Bank war bereits
1935 liquidiert worden, kurz zuvor hatten seine Partner
den Firmensitz noch nach Zürich verlegt. Wohin die
Gelder seiner jüdischen Kunden verschwanden, ist
unbekannt. Zwei Varianten sind denkbar: Entweder wurden
sie vom Zürcher Rechtsanwalt Ernst Schuppli, dem letzten
Verwaltungsrat der Garantie- & Credit Bank,
weiterverwaltet oder an die Deutschen ausgeliefert.
[Beispiel: Vermögensschlepper mit Koffern mit
doppeltem Boden]
[Immer mehr Fluchtgelder vor dem NS-Regime -
schweizer Vermögensschlepper in der "Zeit der
doppelten Böden" - Juden verkaufen in Massen
Reichsmark in der Schweiz gegen Devisen]
Der Nazi-Terror zwang immer mehr Verfolgte, ihr Geld im
Ausland in Sicherheit zu bringen. Dementsprechend
stiegen immer mehr Schweizer und Schweizerinnen ins
lukrative, aber gefährliche Schiebergeschäft ein. Im
Gegensatz zu Wegener waren die kleinen
Durchschnittsschlepper keine Profis und verfügten über
keine ausgeklügelte Infrastruktur. Sie schmuggelten die
heisse Ware ganz einfach im eigenen Koffer über die
Grenze. Die einen hatten Glück, die andren landeten in
Deutschland hinter Schloss und Riegel. Die Zeit der
doppelten Böden [mit Transporten von Gold oder
Reichsmark-Noten] machte sich in der Schweiz sehr
schnell bemerkbar, als auch den Behörden des Dritten
Reiches nicht entging. Die deutsche Botschaft in Paris
beobachtete bereits im Frühling 1933 eine auffällige
Schwäche des Reichsmarkkurses. In einem Telegramm vom 7.
April an das Auswärtige Amt in Berlin meldete sie
mögliche Ursachen, die von französischen Finanzanalysten
diskutiert wurden. Neben dem Verhalten der Reichsbank
kam auch die Schweiz zur Sprache:
"... 2.) auf Kapitalausfuhr deutscher Juden, die in der
Schweiz besonders deutlich durch Angebot von Marknoten
in Erscheinung treten."
Danach strömten immer grössere Mengen an geschmuggelten
Reichsmarknoten in die Schweiz. Mit der Zeit kamen auch
deutsche Silbermünzen dazu, worüber die Nationalbank
1935 umgehend die Reichsbank informierte:
"Nach vertraulichen Mitteilungen der Schweizer
Nationalbank wird neuerdings auch grösserer Handel in
deutschen Silbermünzen im Ausland beobachtet (...).
Angebot offensichtlich auch aus Kapitalflucht. Disagio
zurzeit ca. nur 32 Prozent."
Dass die dem deutschen Fiskus entgangenen, jüdischen und
andren Fluchtvermögen in der Schweiz so einfach zu
Devisen gemacht werden konnten, stiess den
Reichsbankiers in Berlin sauer auf.
[Vor allem deswegen, weil gleichzeitig der Jüdische
Weltkongress alle jüdischen Organisationen dazu
aufgerufen hatte, Deutschland zu boykottieren und einen
Krieg gegen Deutschland ausgerufen hatte, und dieser
Boykott gegen Deutschland hatte massive Folgen für
Deutschland].
Der freie Markt neutralisierte in einem gewissen Mass
den Raubzug des deutschen Staates. (S.46)
[Das Handelsverbot für Reichsmarknoten - die
Reichsmark landet mit einem schlechten Wechselkurs auf
dem Schwarzmarkt]
Nach der Reichsfluchtsteuer und den drastischen
Devisenvorschriften mussten folglich weitere Hürden
aufgebaut werden, um die Kapitalflucht zu verhindern.
Das Leck in den Alpen sollte mit Hilfe der Schweizer
gestopft werden. Die Rechnung ging auf: Am 13. Juli 1935
verhängte das Volkswirtschaftsdepartement ein
Handelsverbot für Reichsmarknoten. Die offizielle
Begründung lautete auf "Missbräuche betreffend des
deutsch-schweizerischen Reiseverkehrsabkommens". Das
hiess im Klartext: Die mit Deutschland geltende
Abmachung über einen durch die Schweizerische
Verrechnungsstelle kontrollierten Zahlungsverkehr, das
sogenannte Verrechnugnsabkommen oder Clearing, sollte
durch diese Massnahme nicht mehr umgangen werden können.
Damit sollten sich deutsche Touristen und schweizer
Importeure nicht mehr mit billigen Reichsmarknoten
eindecken können, und den Schmugglern wurde so der
offizielle Absatzmarkt entzogen.
[Schmuggel von Reichsmark nach Deutschland -
Reichsmark darf nicht mehr nach Deutschland
importiert werden - Kreislaufschmuggel]
Die neuen Vorschriften änderten die Mechanismen des
inzwischen in beiden Ländern illegalen
Schiebergeschäftes schlagartig. Aufgrund des
Handelsverbotes konnten die Reichsmarknoten in der
Schweiz nur noch auf dem Schwarzmarkt zu einem
schlechten Kurs verkauft werden. Diese Noten wurden dann
nach Deutschland zurückgebracht, und die damit
gekauften, deutschen Silbermünzen flossen wieder
heimlich in die Schweiz zurück. Der Gewinn war die
Differenz zwischen dem Schwarzmarktpreis für
geschmuggelte Noten und dem höheren, offiziellen Preis
für Silber. Die staatliche Reaktion liess nicht lange
auf sich warten. Im Dezember 1935 verfügte Berlin für
deutsches Bargeld ein Einfuhrverbot.
"Unter diesen Umständen sind wir zu unserem Bedauern
nicht mehr in der Lage, die in unserem Schreiben vom 7.
März 1932 gegebene Zusage aufrechtzuerhalten. Um aber
für die Übergangszeit Schwierigkeiten zu vermeiden, sind
wir bereit, Ihnen die bei Eintreffen dieses Schreibens
in Ihrem Besitz befindlichen Reichsmarknoten noch in der
bisher geübten Weise gutzuschreiben. Wir möchten Sie
höflichst bitten, uns diese Noten unverzüglich
übermitteln zu wollen. Von weiteren Zusendungen von
Reichsmarknoten bitten wir Sie in der Folge Abstand zu
nehmen, da wir die Noten nach Massgabe der gesetzlichen
Bestimmungen nur auf Notensperrkonten gutbringen
können", teilte die Reichsbank der Nationalbank am 4.
Dezember mit.
Das neue Gesetz wurde wiederum umgangen, diesmal mit dem
so genannten Kreislaufschmuggel. Egal in welcher
Richtung, abgesehen von einem minimalen Freibetrag war
jetzt jeder Grenzübertritt einer (S.47)
Reichsmarknote illegal und dementsprechend gefährlich.
Dennoch florierte das Geschäft jahrelang.
[Reichsmark-Schmugglerin festgenommen - schweizer Häftlinge
werden manipuliert und als Lockvögel gegen Juden in
Deutschland eingesetzt]
Ein St. Galler Vormund schilderte Mitte 1939 in einem
Brief an das EPD die entsprechenden Erfahrungen seines
Mündels.
"Sie hatte versucht, deutsche Noten, die hier billiger
sind als Silber, in mir nicht bekanntem Betrage aus
Drittbesitz nach Deutschland zu verbringen, um sie dort
gegen Silber umzutauschen und dieses durch einen
Mithelfe hierherbringen zu lassen. Das Experiment ist
aber missglückt und Fräulein (...) wurde dann von der
ganzen Schwere der deutschen Devisengesetzgebung
getroffen."
In verschiedenen Fällen machten sich die deutschen
Zollfahndungsstellen den schweizer Volkssport auch
zunutze. Sie erpressten schweizer Häftlinge und setzten
sie als Lockvögel ein. Gegen das Versprechen einer
Freilassung inklusive Provision schickten sie die
Kuriere zu Juden, denen man mittels eines inszenierten
Devisenvergehens den Prozess machen wollte. Sobald das
Opfer auf das Angebot des schweizer Mittelsmannes
eingegangen war und mit ihm die Übergabe seiner
versteckten Reserven besprochen hatte, schlugen die
Fahnder zu. Der Jude wurde inhaftiert und das Bargeld
konfisziert.
[ab 1938: Bündel mit druckfrischer Reichsmark in der
Schweiz]
Erstaunlicherweise benutzten nicht nur die Juden deren
Mittelsmänner oder andere Privatpersonen den schweizer
Markt, um sich mit geschmuggelten Reichsmarknoten
sichere Währungen zu beschaffen. Im Sommer 1938 tauchten
bei Banken in Zürich und Basel auch immer öfter ganze
Bündel druckfrischer Reichsbarknoten auf, über deren
Herkunft zum Beispiel die Zollkreisdirektion
Schaffhausen in einem internen Bericht nicht lange
rätseln musste:
"Es stellt sich nun die Frage, wie gelangen ganze Bündel
neuer Reichsmarknoten der laufenden Nummer nach und mit
dem Kontrollband der Reichsbank versehen von Deutschland
nach dem Auslande, da faktisch solche Beträge an Private
nicht ausbezahlt werden? Die Vermutung liegt nahe, dass
dieses Geld event. im Einverständnis mit der Behörde
oder der NSDAP zum Verkauf nach dem Auslande gelangt, um
auf diese Art dem Reiche Devisen zu beschaffen." Die
Nazis unterliefen ihre eigenen Gesetze.
[Reichsmark, österreichischer Schilling - Wertgegenstände,
Gemälde, Gold]
Reichsmarknoten aus Deutschland waren nur ein kleiner
Teil der Vermögenswerte, die schliesslich in der Schweiz
landeten. Mit der Zeit kamen auch andere Währungen wie
beispielsweise der österreichische Schilling, für den in
der Schweiz nie ein Handelsverbot bestand. Zudem wurden
alle möglichen Wertgegenstände wie Gemälde, Gold und
(S.48)
vor allem Juwelen aus allen möglichen Ländern,
insbesondere auch aus den Oststaaten, in die Schweiz
verschoben.
In den Fällen, wo die Vermögen nicht durch Mittelsmänner
bei Bekannten oder Banken deponiert, sondern gleich von
Juden selbst geschmuggelt wurden, sahnten schweizer
Händler vielfach kräftig ab. Die Emigranten brauchten um
jeden Preis Liquidität, dementsprechend schwach war ihre
Verhandlungsposition. Verschiedene Kunst- und
Antiquitätenhändler erkannten sofort die Notsituation
ihrer Kunden und machten die Geschäfte ihres Lebens.
"Da liefen sehr viele Gaunereien", erinnert sich der
Zürcher Kunsthändler Max Bollag. Gerüchten zufolge
sollen vor allem einige Basler und Zürcher Galerien
wertvolle Gemälde für ein Butterbrot abkassiert haben,
der Verkauf nach dem Krieg ergab astronomische
Gewinnspannen. Der Devisenbedarf der Emigranten sorgte
schliesslich im Verlauf des Jahres 1940 sogar im
Direktorium der Nationalbank für Gesprächsstoff:
"Das III. Departement macht darauf aufmerksam, dass in
der letzten Zeit sich Devisengesuche mehren, die darauf
abzielen, für den Gegenwert von Liegenschaften und
sonstigen Werten, die von ausgewanderten Israeliten in
der Schweiz verkauft werden, Dollars zu erhalten. So
liegt von Seiten der Schweizerischen Bankgesellschaft
u.a. ein Gesuch um Abgabe von Dollars vor für den
Gegenwert von 1,3-1,4 Millionen Franken."
[Ende 1930er Jahre: Neue Tarnungen beim Schmuggel von
Vermögen und Wertgegenständen in die Schweiz - Gesetz
gegen jüdischen Besitz]
Im Gegensatz zum Gelegenheitsschmuggel war das
Verschieben von jüdischen Vermögen im gewerbsmässigen
Stil gegen Ende der dreissiger Jahre fast unmöglich, das
Risiko war enorm. Im Vergleich zu den Zeiten eines Hans
Wegener brauchte es jetzt zusätzlich spektakuläre
Methoden und Tarnungen. Die Gestapo kontrollierte
inzwischen engmaschig jede Bewegung der potentiellen
jüdischen Kunden, und die gut organisierten
Zollfahnungsstellen kannten nach jahrelangen Erfahrungen
beinahe jeden Trick. Zudem unterzeichnete Göring am 21.
Februar 1939 einen Erlass, gemäss dem die Juden alle
käuflich erworbenen Wertsachen und Juwelen innerhalb von
zwei Wochen an die Behörden abzuliefern hatten. Damit
bedeutete selbst der Besitz von versteckten
Schmuckstücken in manchen Fällen ein Todesurteil. Die
Affäre des Schweizers Walter Welti * zeigt, dass viele
Vermögen von Verfolgten selbst in dieser brenzligen
Situation noch in die Schweiz gelangten. (S.49)
[Beispiel: Vermögensschlepper Walter Welti -
ein Bahnschaffner im Nachtzug mit einer schweizer
Jüdin]
[Die schweizer Jüdin xy aus Luzern wirbt bei
deutschen Juden in Berlin für den Schmuggel - und der
schweizer Schlafwagenschaffner Walter Welti,
schmuggelt per Bahn das Geld von Berlin in die
Schweiz]
Walter Welti hatte es in Berlin weit gebracht. Der
Exilschweizer war Unternehmer und Angestellter in
Personalunion. Gemeinsam mit einem Partner betrieb er
eine Autovermietung, gleichzeitig jobte er bei der Bahn.
Letzteres war eine lukrative Sache, denn Welti hatte als
Schlafwagenschaffner eine ganz spezielle Stellung. Zwar
war das Salär bescheiden, aber mit dieser Position liess
sich gutes Geld nebenher verdienen. Das Personal von
internationalen Zügen war nämlich für das lukrative
Schmuggelgeschäft besonders anfällig. Ob Kellner im
Speisewagen der deutschen Gesellschaft Mitropa oder
Kondukteur im Schlafwagen, mit den Zöllnern waren sie
fast per Du. Der Grenzübertritt gehörte zur täglichen
Routine, das Zugpersonal wurde meist nur oberflächlich
oder gar nicht gefilzt. Angesichts der branchenüblichen
Provisionen für illegale Vermögensverschiebungen
brachten es die Vollprofis der Eisenbahn mit diesem
Geschäft zu kleinem Reichtum.
Welti arbeitete mit der Luzerner Jüdin Luise Zwirn*
zusammen. Bei ihren regelmässigen Reisen nach
Deutschland übernahm sie den Part der Kundenwerbung. Von
verschiedenen Freunden und Bekannten erhielt Zwirn,
Schmuck und Bargeld, das die Betroffenen in der Schweiz
in Sicherheit bringen wollten. Welti übernahm dann die
Sammelsendung und versteckte sie in seinem Schlafwagen.
Nah dem Grenzübertritt in Basel [der Zug fährt vom
Badischen Bahnhof zum Schweizer Bahnhof von allein über
die Grenze] gab er sie der mitreisenden Zwirn zurück,
die mit den Vermögen nach Zürich weiterfuhr. Der geheime
Handel ging lange reibungslos über die Bühne. Die
Beteiligten waren verschwiegen. Doch eines Tages änderte
sich die Situation völlig. Es gab plötzlich einen
unbekannten Mitwisser, dem die grossen Geschäfte des
kleinen Schaffners aufgefallen waren. Die zuständigen
Behörden erhielten einen verhängnisvollen Tip.
[1939: Ein anonymer Brief lässt den
Schaffner-Schmuggler auffliegen]
Am 12. April 1939 befand sich in der Post der
Zollfahndungsstelle Berlin ein anonymes Schreiben:
"Der Schaffner bei der internationalen Schlafwagen
Gesellschaft Walter Welti, wohnhaft Berlin, schweizer
Staatsangehöriger, der u.a. die Strecke Berlin-Nizza
über die Schweiz fährt, benutzt diese Fahrten dazu, in
seinem Schlafwagen versteckt jüdisches Fluchtkapital
nach der Schweiz zu schaffen. Das Geld soll er in Berlin
von einer schweizer Jüdin erhalten, die aus Luzern sein
soll und in Abständen nach Berlin fährt, wo sie die
Gelder sammelt. Sie soll auf der Rückreise von Berlin
nach der Schweiz den Zug und Wagen benutzen, in dem
Welti Dienst hat. Weiter soll Welti auch einem
polnischen Juden B. bei der Verschiebung behilflich
sein. Welti soll für (S.50)
seine Tätigkeit 5% der verschobenen Beträge erhalten. Er
soll sich aus diesem Verdienst in Berlin mehrere PKW
gekauft haben, die er an Selbstfahrer vermietet. Die
neuerliche Ankunft der schweizer Jüdin sei für die
nächsten Tage zu erwarten." Zu dieser Zeit konnten sich
die Fahnder noch blind auf die Informationen von Hitlers
willigen Spitzeln verlassen. Die Tips der Hobbyagenten
waren meist für alle beteiligten Seiten eine todsichere
Sache. Die Beamten eröffneten entsprechend schnell und
gründlich die Jagd.
[Die Observationen - eine "Aktion" im Nachtzug - ein
Dokument zerrissen und aus dem Fenster geschmissen -
eine Festnahme in Freiburg i.Br.]
Kurz nach Eintreffen des anonymen Schreibens begannen
mehrere Männer der Zollfahndungsstelle, die Wohnung von
Welti rund um die Uhr zu beschatten. Am 20. April
bestätigte sich bereits ein erster Teil des Verdachts.
Luise Zwirn bog ahnungslos in die Fehrbellinerstrasse
ein und betrat dann das Haus Nummer zehn, in dem Welti
wohnte. Das geheime Treffen dauerte nicht lange. Nach
einer halben Stunde verliess sie sein Wohnung wieder und
wurde daraufhin ebenfalls observiert. "Sie begab sich
von der Fehrbellinerstrasse nach Schöneberg, Freiherr v.
Steinstr. 7. Dieses Haus verliess sie gegen 16.00 Uhr
mit einer Dame. Sie bestiegen eine Taxe und fuhren
Richtung Bayrischer Platz", meldeten die Beschatter. Das
Ziel der deutschen Beamten war klar, sie wollten Zwirn
und Welti in flagranti erwischen. Zu diesem Zweck
mussten sie aber den Dienstplan von Welti kennen. Die
Vermutung lag nahe, dass die heisse Ware mit seinem
nächsten Einsatz in die Schweiz verschoben werden
sollte.
Die Gelegenheit kam bald. Laut einem Spitzel bei der
Schlafwagengesellschaft war Welti am 23. April für den
Zug Berlin-Freiburg-Basel-Nizza eingeteilt, Abfahrt am
Anhalter Bahnhof um 22.42 Uhr. Die Fahnder Adam und
Matthis [thypische Namen aus der Innerschweiz] fuhren in
dieser Nacht mit dem Auto nach Frankfurt am Main und
stiegen dort in den Zug ein. Auf der Weiterfahrt nach
Heidelberg liessen sie sich im Stile einer
Routinekontrolle von Welti die Fahrkarten seiner Gäste
geben. Der Schweizer schöpfte noch keinen Verdacht. Aus
den Karten war schnell ersichtlich, dass Zwirn aus der
Schweiz nach Deutschland gekommen war und als einzige
nach Zürich zurückreiste. Adam und Matthis entschlossen
sich zuzuschlagen. Sie nahmen den Dienstraum von Welti
völlig auseinander, sogar der Spiegel an der Abteilwand
wurde abgeschraubt. Doch die Aktion der beiden Ermittler
lief ins Leere, sie fanden absolut nichts. Zudem drängte
langsam die Zeit. Der Zug nährte sich Freiburg, der
letzten Station vor Basel, wo sie keine Verhaftungen
vornehmen durften. Obwohl (S.51)
immer noch ohne Beweise in der Hand, forderte einer der
beiden Luise Zwirn auf, das Abteil zu öffnen und sich
anzuziehen. Währenddessen stand der zweite Ermittler im
Nebenabteil am Fenster, was der Schweizerin zum
Verhängnis wurde. Denn in diesem Moment wurde ihr klar,
dass sie angesichts der bevorstehenden Untersuchung
belastendes Material unbedingt loswerden musste. In
ihrer Panik warf sie mehrere Papierfetzen aus dem
Fenster, sozusagen vor den Augen des Fahnders von
nebenan. Die beiden Ermittler hatten endlich einen
Vorwand, um Welti und Zwirn festzunehmen. Beide mussten
in Freiburg aussteigen, vom angeblich im Zug versteckten
Fluchtkapital fehlte jedoch immer noch jede Spur. Die
deutschen Fahnder konnten einzig die Einzelteile des von
Zwirn aus dem Fenster geworfenen Dokumentes wiederfinden
und zusammensetzen. Es war ein Brief an eine schweizer
Kontaktperson:
"Herrn Carl Kluch *, Berlin W. 30, Carl Schraderstrasse
12
Hierdurch teilen wir Ihnen mit, dass (...) heute bei uns
(...) in Noten einbezahlt hat, mit der ausdrücklichen
Bestimmung, dass Sie über den Betrag ausschliesslich zum
Zwecke der Auswanderung nach Übersee verfügen können und
zwar erst dann, wenn Ihr Pass den Immigrationsstempel
trägt und Sie ausländischen, nicht deutschen Boden
betreten haben.
Sie können jederzeit darüber verfügen, wenn es sich
darum handelt, dass der Betrag auf eine andere Bank
ausserhalb der Schweiz überwiesen wird.
Diese Zurverfügungsstellung der...... zu Ihren Gunsten
ist gültig auf ein Jahr."
[Die haarsträubenden Lügen des schweizer
Bahnschaffners Welti vor den deutschen
Untersuchungsbehörden]
Angesichts des mageren Belastungsmaterials spielte der
verhaftete Welti anfänglich volles Risiko. Während des
ersten Verhörs in Freiburg bestritt er alle Vorwürfe und
gab an, Luise Zwirn nicht zu kennen. Nachdem man ihn mit
der Tatsache konfrontiert hatte, dass Zwirn bei ihm in
der Wohnung war, entschied sich Welti, seine Haut zu
retten und die Schweizerin skrupellos ans Messer zu
liefern. Er konstruierte eine wilde Geschichte.
Angeblich gab er allen Gästen, die sich durch hohe
Trinkgelder auszeichneten, seine Adresse, damit diese
"guten Reisenden" sich informieren konnten, wann und in
welchem Wagen er Dienst hatte. Laut Welti gehörte auch
die Luzernerin zu diesen Gästen. "Frl. Zwirn ist dann
mehrmals in meine Wohnung gekommen und versuchte, mich
zuerst dazu zu bewegen, mit Hilfe meines schweizer
Passes einen ihrer guten Bekannten, dessen Name mir
nicht bekannt ist (S.52),
über die Grenze zu bringen, und zwar nach der Schweiz.
Als ich dies abgelehnt hatte, trat sie mit den Ansuchen
an mich heran, Schmuck und Wertgegenstände sowie Geld
für sie über die Grenze zu bringen. Ich habe das strikt
abgelehnt. (...) Am letzten Donnerstag (20.4.39)
versuchte Frl. Zwirn, mich zu überreden, einen Koffer
mittlerer Grösse mit Silber- und Schmuckgegenständen und
evtl. auch Geld heimlich über die Grenze zu bringen. Sie
wollte mir eine Adresse geben, wo ich den Koffer in
Berlin selbst abholen sollte. Ich habe aber auch dieses
Ansinnen abgelehnt", sagte Welti laut Verhörprotokoll.
Doch der Schweizer hatte ein Problem. Sein Gast, dessen
"Ansinnen" er angeblich alle abgelehnt hatte, besass
nicht die Kaltschnäuzigkeit eines Walter Welt. Luise
Zwirn gab nach mehreren Verhören innerhalb von zwei
Tagen auf und legte ein Teilgeständnis ab. Sie gab zu,
in Berlin und Freiburg Fluchtkapital von Juden erhalten
und diese zusammen mit Welti in die Schweiz verschoben
zu haben. Ihre einzige Rettung sah sie in dem Versuch,
die geschmuggelte Summe als so klein wie möglich
darzustellen. Ein Versuch, der zwingend scheitern
musste. Denn jedermann wusste, dass angesichts des
enormen Risikos und der hohen Provisionen für die
Schlepper niemand nur ein paar hundert Mark über die
Grenze schmuggeln liess. Nur Sammeltransporte im Wert
von mehreren tausend Reichsmark lohnten sich.
Nach den Verhören mit Zwirn glaubten die Ermittler Welti
kein Wort mehr. Zwar fehlte nach wie vor die
Schmuggelware, und der Schweizer verkaufte sich als
strenger Nationalsozialist. Doch die Indizien sprachen
gegen ihn. Indizien, die allerdings nur von einer
Nazi-Justiz als stichhaltig beurteilt werden konnten.
"Weiter hat Welti zugegeben, dass er 1933 oder 1934 eine
Devisenschiebung durch eine Jüdin, die ihm bekannt
geworden war, bei der Zollfahndungsstelle in Berlin
angezeigt habe. Auf den Vorhalt, weswegen er nicht auch
die Zwirn angezeigt habe, konnte er keine Erklärung
geben. Wenn er wirklich, wie er den vernehmenden Beamten
gegenüber mehrfach beteuert hat, mehr Deutscher als
Schweizer und im Herzen Nationalsozialist wäre, hätte er
die Zwirn auf jeden Fall angezeigt",
schrieben die Ermittler, denen auch das grossspurige
Unternehmertum des Kleinverdieners verdächtig erschien.
"Als weiteres Belastungsmoment gegen Welti muss
angesehen werden, dass er in Berlin am 1. Januar 1939
einen Auto--Verleihbetrieb mit fünf Wagen eröffnet hat,
in den er nach eigener mündlicher Angabe 6000.- RM
eingeschossen haben will. Sein (S.53)
Kompagnon, ein Kraftwagenführer (!) Tabisch*, soll
2000.- RM dazugegeben haben. Welti will dieses Kapital
in sfrs (Schweizer Franken) bei seiner Übersiedlung nach
Deutschland aus der Schweiz mitgebracht, umgewechselt
und in einer verschlossenen Stahlkassette, zu der nur er
angeblich den Schlüssel besässe, aufbewahrt haben.
Angeblich soll seine Frau über die Höhe des in der
Stahlkassette aufbewahrten Betrages nicht unterrichtet
sein.
Diese Angaben erscheinen vollkommen unglaubwürdig, da
wohl kein wirtschaftlich denkender Mensch einen Betrag
von mehreren tausend Mark etwas 12-13 Jahre lang zinslos
in der Wohnung aufbewahrt und davon nicht einmal seiner
eigenen Ehefrau etwas sagt."
[Die Aktenmappe taucht in Nizza auf - voller
Banknoten, Münzen und Schmuck - die
Urteilsschrift]
Walter Welti und Luise Zwirn wurden wenige Tage später
endgültig überführt. Durch einen Zufall hatten die
Zollfahnder plötzlich nicht mehr nur flaue Indizien in
der Hand. Das von den Deutschen fieberhaft gesuchte
Fluchtkapital tauchte doch noch auf. Wie üblich waren
nämlich die Schlafwagen im Endbahnhof Nizza abgestellt
und danach geputzt worden. Dabei entdeckte das
Reinigungspersonal im Abteil 7/8 in einem Bettkasten
unter den Matratzen und Decken die schwarze
Lederaktentasche, die der verhaftete Welti in Basel an
Zwirn hatte übergeben wollen. Die Tasche war randvoll
mit Notenbündeln, Münzen und Schmuck. Für einen harten
Prozess reichten diese Beweise völlig aus. Da nützte
auch das Gnadengesuch nichts, das die Frau von Walter
Welti an Adolf Hitler schrieb. Der schweizer
Schlafwagenschaffner wurde am 5. Dezember 1939 zu vier
Jahren Zuchthaus und 30.000 Reichsmark Geldstrafe
verurteilt.
"Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass Welti ausser Geld
und Wertsachen mindestens 21.120 RM unter Missbrauch
seiner Stellung als Schlafwagenschaffner ins Ausland
geschafft hat. Es liegt mit hinbei ihm ein besonders
schwerer Fall von Devisenvergehen vor. Bei der
Strafzumessung ist weiter berücksichtigt worden, dass
Welt nicht nur das Vertrauen, das ihm von den Beamten
des Grenzdienstes entgegegebracht wurde, sondern auch
das ihm in Deutschland gewährte Gastrecht schnöde
missbraucht hat. Er hat, obwohl er ein gutes Einkommen
hatte, das es ihm ermöglichte, mit Frau und Kindern
behaglich zu leben, als Arier Juden seines eigenen
Vorteils willen geholfen, Vermögenswerte aus Deutschland
zu schaffen",
lautete die Urteilsbegründung des Berliner Landgerichts.
Luise Zwirn, die inzwischen wie Welti im berüchtigten
Untersuchungsgefängnis Moabit sass, hatte mehr Glück.
Ihr konnte man schliesslich (S.54)
nur zwei Vergehen nachweisen. Sie musste für 2 Jahre und
sechs Monate hinter Zuchthausgitter, plus Geldstrafe von
16.000 Reichsmark. Die Nazi-Richter liessen es sich
allerdings nicht nehmen, das Verhalten von Zwirn auch in
moralischer Hinsicht zu verurteilen. "Im Gegensatz
hierzu hat sie sich im April 1939 trotz ihres Mitleides
mit ihren Rassegenossen nicht davon abhalten lassen, aus
ihrer 'Hilfe' ein Geschäft zu machen und sich zum Teil
recht erhebliche Provisionen zahlen zu lassen. Sie hat
auch ihre 'Hilfe' nicht nur ihren Freunden und Bekannten
angedeihen lassen, sondern jedwedem, der ihr zugeführt
wurde. Darüber hinaus hat sie sogar noch darauf
hingewirkt, dass ihr möglichst viel Juden zugeführt
wurden, die Geld und andere Werte ins Ausland schaffen
wollten."
[1000e Prozess wegen Devisenvergehens - viele
bleiben ein Leben lang im Gefängnis - Kaufmann Levy
endet im KZ Sachsenhausen]
In den in Deutschland damals zu Tausenden durchgeführten
Prozessen wegen Devisenvergehen blieben die jüdischen
Schlepperkunden natürlich nicht verschont. Viele von
ihnen kamen aus den Gefängnissen gar nicht mehr heraus,
obwohl sie die Strafen längst abgesessen hatten. Für sie
waren das Todesurteil meist nur noch eine Frage von
Monaten. In der Affäre Welti hatten die Nazis für den
jüdischen Kaufmann Maz Israel Levy* diese
Sonderbehandlung vorgesehen. Zwar hatte Levy seine
Strafe von sieben Monaten Gefängnis und 3000 Reichsmark
offiziell durch die Untersuchungshaft verbüsst, doch
seine Freilassung sollte er nicht mehr erleben. Die
Geheime Staatspolizei hatte dem Amtsgericht Berlin
bereits fünf Monat vor dem Urteilsspruch mitgeteilt,
dass Levy zu gegebener Zeit nicht zu entlassen, sondern
"an das hiesige Polizeigefängnis zu überstellen" sei.
Für Levy war das die zweitletzte Station vor seinem Tod.
Nach vermutlich mehreren Wochen Folter transportierte
ihn die Gestapo Ende 1939 oder Anfang 1940 nach
Oranienburg, einem Vorort von Berlin und heimliche
Hauptstadt von Heinrich Himmlers SS. Ein paar Schritte
neben den Wohnhäusern lag dort das Konzentrationslager
Sachsenhausen. Es war eine der ersten
Arbeit-macht-frei-Höllen des Dritten Reiches.
Anfänglich nicht als Vernichtungslager gedacht, wurden
schliesslich auch in Sachsenhausen Tausende von Juden
[...] durch die Genickschussanlage oder durch grausame
medizinische Experimente ermordet. Levy war einer von
ihnen. Er starb am 14. Februar 1940.
[Oft gelangen die Fluchtgelder in die Schweiz - aber
die Besitzer kommen in deutsche Gefängnisse und kommen
nie mehr raus]
Ob Welti für ihn schon früher Vermögen in die Schweiz
gebracht hatte, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass
bis zum Ende des Zweiten (S.55)
Weltkrieges Millionen Levys Schicksal teilten. Viele von
ihnen hofften lange auf eine Auswanderungs- oder
Fluchtmöglichkeit. Doch am Schluss hatten es via
Wegener, Welti oder andere nur ihre Gelder in die
Freiheit geschafft. Der Holocaust löschte teilweise
ganze Familien aus. Mit dem Tod dieser Menschen waren
auch die entscheidenden Informationen über den Verbleib
ihrer Vermögen für immer verloren. Ihre begründete
Vorsicht und ihr Misstrauen gegenüber allem und jedem
hatte zur Folge, dass nahe Verwandte und selbst die
eigenen Kinder vielfach im Ungewissen gelassen wurden.
Die meisten wussten nur von einem "Konto in der
Schweiz". Unzählige Banken, Versicherungen, Anwälte,
Zollfreilager und Privatpersonen sahen sich deshalb
plötzlich in der Rolle von Treuhändern, deren Vermögen
anscheinend niemandem mehr gehörte und nach dem auch
niemand mehr fragte.
Laut Max Bollag muss die Liste der Verwalter
nachrichtenloser Vermögen allerdings noch verlängert
werden.
"In den grossen Zürcher Hotels, in denen die [reichen]
Emigranten verkehrten, wurden für Bekannte massenhaft
Wertgegenstände in den Hotelsafes hinterlegt. Von diesen
Vermögen will heute niemand mehr etwas wissen." (S.56)
[Von all diesen Fluchtgeldern will die schweizer Politik
ab 1945 NICHTS wissen, sondern die schweizer Bankiers,
Anwälte und Direktoren bedienen sich bei den namenlosen
Konten und Safes und räumen alles aus. Die Schweiz wurde
auch NIE entnazifiziert. Und dank dem Eisernen Vorhang
in Europa und dem Ost-West-Konflikt lässt sich ab 1948
ab der Blockade von Berlin wunderbar neue Werbung machen
für ein "Konto in der Schweiz"...]
Quellen
Seite 37 - 38 - 39 - 40 - 41 - 42 - 43 - 44 - 45 - 46 - 47 - 48 - 49 - 50 - 51 - 52 - 53 - 54 - 55 - 56 -
Seite 57 Dokument: Nach der Verhaftung von Hans Wegener in Berlin [der
Schlafwagenschaffner] durchleuchteten die schweinzer (schweizer)
Behörden die Organisation des Vermögensschleppers
Seite 58 Dokument: Verhinderung der Kapitalflucht: Die Gestapo ordnete schon früh die Überwachung des Briefverkehrs an.
Seite 59: Der Grenzübergang von St. Margreten mit Stacheldraht gegen jüdische Flüchtlinge
Seite 60 Dokument: Gefährlicher Schmuggel:
Zahlreiche Schweizer versuchten, jüdisches Fluchtkapital heimlich über
die Grenze zu bringen.
Seite 61: Stacheldraht und Flüchtlinge:
Schweizer Bürokratie in einem Internierungslager - Seite 62 Dokument:
Der schweinzer Schlafwagenschaffner ist ein Vermögensschlepper: Nach
wenigen Wochen wurde der schweizer Schlafwagenschaffner endgültig als
Vermögensschlepper überführt: Inhalt der Aktentasche, die er in Basel
übergeben wollte.
Seite 63: Der Brief der Ehefrau an Hitler 1939 -
Seite 64: Das Devisenvergehen des Juden Max Israel gegen Deutschland,
ein Kunde des Schlafwagenschaffners, Dokument von 1939: Für einen Teil
seiner Kunden endete die Affäre mit dem Tod: Max Israel Levy geriet in
die Fänge der Gestapo und wurde am 14. Februar 1940 im
Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet.
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Quellen
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