aus: Walter Wolf:
Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der
Frontenbewegung in der deutschen Schweiz 1930-1945.
Flamberg-Verlag Zürich 1969.
Nach dem
Börsenzusammenbruch von 1929 und der grossen
Arbeitslosigkeit, die von den Arbeitgebern extra
zugelassen wurde, und durch die linken Programme der
Sozialisten und der Kommunisten, die eine "Diktatur des
Proletariats" im Programm hatten, und durch die schweizer
Justiz, die gegen diese kriminellen Parteiprogramme nichts
unternahm, kamen in der Schweiz nun auch immer mehr
rechtsgerichtete Strömungen, Bewegungen und
"Frontparteien" auf, die meinten, man müsse sich von der
Demokratie trennen, um bessere Lebensbedingungen
herzustellen. Die entschlossenen, rechtsgerichteten Leute
wollten "Front" machen gegen das Chaos, sie wollten keine
zweite russische Revolution in der Schweiz haben. Solche
rechtsgerichtete Ideen wurden von der Oberschicht in der
ganzen Welt vertreten, insbesondere auch deshalb, weil der
Kommunismus zum grossen Teil von jüdischen Cliquen geführt
wurde und sich damit auch eine pauschale Angst vor Juden
verband. Die Bosse liessen die Arbeitslosigkeit steigen
und meinten, die Politik würde darauf mit der Abschaffung
der Demokratie reagieren. Dies gelang dann vor allem in
Deutschland. In der Schweiz gelang das aber nicht, weil
die Schweiz mit deutscher Kultur, französischer Kultur und
italienischer Kultur nur mit demokratischen Strukturen
existieren konnte. Somit blieben die rechten,
diktatorischen Bewegungen in der Schweiz immer im
Anfangsstadium stecken.
Antidemokratismus in der Schweiz
Paul
Lang schildert den Ausgleich zwischen Demokratismus und
Aristokratismus - Napoleon brachte den Durchbruch für
demokratische Strukturen in Europa
Das Ablehnen der direkten Demokratie durch die
rechtsextremen Gruppierungen ging einher mit Appellen
gegen Freiheitsrechte, gegen die
demokratisch-parlamentarische Demokratie, z.B. in
Vortragszyklen von Paul Lang (Schrift: "Tote oder
lebendige Schweiz", Zürich 1932). In einem Vergleich
zwischen Demokratie und Aristokratie folgerte Lang:
-- alle Bürger haben gleichen Wert, gleiche Fähigkeiten,
gleiche Macht, gleiche Souveränität
-- die Bürger haben aber verschiedene Fähigkeiten,
verschiedenen Wert und sind in verschiedenen Funktionen
-- die Schweiz strebe den gesunden Ausgleich zwischen
Demokratismus und Aristokratismus an
-- im 17./18. Jh. war der Aristokratismus vorherrschend
und aus dem Volk kam keine Erneuerung mehr, die
Regierungsgewalt erfolgte nur über einige wenige Familien,
und dies sei die Entartung zur Oligarchie
-- die Französische Revolution habe den Umbruch gebracht,
wo sich die Idee der Demokratie durchgesetzt habe (S.174).
Paul
Lang schildert das "historische Pendel" zwischen
Demokratie und Aristokratie als "historischer
Kontrapunkt"
Lang deutet in seinem
Buch den historischen Prozess als ein Pendel und stellt
die Theorie auf, dass Demokratie und Aristokratie sich
ununterbrochen ablösen würden. Dies sei das Gesetz des
"historischen Kontrapunktes". Der Vorgang pendle immer
zwischen Organik (Schöpfung, Opfermut, Wirken im Geist)
und Mechanik (Routine, Mechanismus, Automatismus, mit
ersterbendem Leben und Tod) (S.174).
Paul
Lang meint, die Demokratie sei 1932/1933 am Ende und
Mussolini und Hitler seien die Träger der Gegenkraft
Lang meinte in der
Situation von 1932/1933:
-- das demokratische Prinzip habe sich erschöpft
-- das demokratische Prinzip habe zur Unterdrückung des
Einzelnen durch die Masse geführt
-- das demokratische Prinzip habe die Elite vernachlässigt
-- das demokratische Prinzip sei in seiner Endphase von
Entartung und Verfall gekennzeichnet (S.175).
Die Gegenbewegung zur Demokratie, so Lang, sei von
"Schmiedesohn Mussolini" und dem "Malergesellen
Hitler" getragen, mit neuen politischen Ideen und
neuen staatlichen Ordnungen: Faschismus, Action Française,
Nationalsozialismus. Lang meint, die Dimensionen der
Umwälzung würden die Dimensionen der Französischen
Revolution oder der Reformation erreichen, ein
welthistorischer Prozess, der jahrhundertelange Wirkung
haben werde, und an dessen Ende die Überwindung der
Irrtümer der Französischen Revolution steht (S.175).
Die
Schweiz in der Entwicklung
Lang meint, die Schweiz könne sich dieser
Entwicklung und politischen Bewegung nicht entziehen, denn
Europa könne in seinem Zentrum keine erstarrte und
entartete "Substanz ertragen" (S.175).
Die Tatsachen waren aber andere:
-- die Schweiz war Freiheitsinsel inmitten eines
diktatorisch geführten Europa
-- viele ehemals diktatorische Staaten kehren ab 1945 zur
Demokratie zurück
-- Langs Logik ist zu einfach und gewährt der
Entwicklung keinen Freiraum
-- Lang unterschätzt die Wirkung und die Vorarbeit
des Geistes. Er glaubt, ein paar Jahre frontistische
Propaganda genügten, um dem geistig-historisch gewachsenen
demokratischen System das Grab zu schaufeln
-- Faschismus und Nationalsozialismus haben mit
aristokratischen Idealen wenig gemeinsam, mit nackter,
brutaler Gewalt aber viel gemeinsam (S.176)
[-- ohne Demokratie kann die Schweiz gar nicht überleben,
also wird Faschismus und Nationalsozialismus in der
Schweiz kaum mehrheitsfähig].
Lang verkauft Faschismus
und Nationalsozialismus als aristokratisch, obwohl diese
totalitär sind. Er entscheidet sich aus Unwissenheit für
das totalitäre System und lässt so landesverräterische
Elemente aufkeimen (S.176-177) [und durch sein Buch
verkaufen - ein gutes Geschäft mit einem politischen
Irrtum...].
"Frontenfrühling" und Nazi-Euphorie in der
Schweiz nach Hitlers Machtübernahme 1933
Nach der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 kam es
in der Schweiz vorübergehend zu einer Nazi-Begeisterung,
die allgemein als "Frontenfrühling" bezeichnet wird:
Häufiges Verhaltensmuster der
Bevölkerung: zuerst Gutheissung, dann radikale Ablehnung
Die schweizer Bevölkerung hiess die Frontisten wegen ihrem
Bekennermut und "vaterländischen" Geist willkommen. Ein
paar Wochen später war die grosse Mehrheit der Bevölkerung
aber zu grossen Teilen radikal gegen die rechtsradikalen
Strömungen eingestellt:
-- gegen den Hitlerwahn / Führerkult / Endsiegglaube
-- gegen Antiliberalismus
-- gegen Antidemokratismus
-- gegen die Judenhetze und gegen das Verbot der
Einbürgerung von Juden und gegen einen Numerus Clausus
-- gegen Hakenkreuzler.
Die grosse Mehrheit der Bevölkerung der Schweiz hatte
nicht im Sinn, sich von Deutschland regieren zu lassen und
die Demokratie abzubauen. Bei einer Rassen- und
Stammesgemeinschaft wäre die Existenz der Schweiz auch
gefährdet gewesen wegen der Mehrsprachigkeit (S.120-147).
Die
Katholen-Führer plädieren für Hitler - die katholischen
Gläubigen bleiben demokratisch
Die Führer der katholischen Kirche griffen nun den
Liberalismus an und plädierten für den Frontismus. Die
katholische Bevölkerung wandte sich gegen den Frontismus
und blieb bei der Demokratie.
Die
schweizer Protestanten wollen keine autoritären
Strukturen
Die Führer der protestantischen Kirche waren vorsichtig
bei der Übernahme anderer, autoritärer Strukturen und
warnten, man solle sich ja nicht selbst aufgeben.
Max
Huber mahnte, eine "Erneuerung" erfordere
Selbstbesinnung, und man solle ja keine Freiheiten
aufgeben.
![Max Huber [1], Jurist und Diplomat,
später beim IKRK tätig, mahnte im Frühling 1933, man
solle keine Freiheiten aufgeben Max Huber
[1], Jurist und Diplomat, später beim IKRK tätig,
mahnte im Frühling 1933, man solle keine Freiheiten
aufgeben](d/02-stimmung-frontenfruehling-d/001-Max-Huber-portrait.jpg)
Max Huber [1], Jurist und Diplomat, später beim IKRK
tätig, mahnte im Frühling 1933, man solle keine Freiheiten
aufgeben
Die
schweizer Zeitungen mahnen zur Vorsicht und nennen die
Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland
Zeitungsstimmen in der Schweiz mahnten zur Vorsicht
gegenüber dem deutschen Nazi-Einheitsstaat und dem
"Dritten Reich":
-- deutsche Verhältnisse seien nicht auf die Schweiz
übertragbar
-- Deutschland sei kaum an Demokratie gewöhnt, denn dort
sei Demokratie erst seit 1919 eingeführt gewesen, die
Schweiz dagegen habe eine lange, demokratische Tradition
und viel Erfahrung
-- Deutschland sei ein traditioneller,
preussisch-deutscher Autoritätsstaat, der jetzt unter
Hitler wieder zum Vorschein gekommen sei
-- die Schweiz sei aus der Demokratie entstanden und solle
an der überlieferten Staatsform festhalten
-- in Deutschland verkörpere Bismarck den Rechtsstaat,
Hitler aber den Unrechtsstaat, so Albert Oeri
(Chefredaktor der Basler Nachrichten [1])
-- für die Schweiz gäbe es kein geheimnisvolles Schicksal
und keine Schicksalsergebenheit, sondern die Schweiz
brauche befreiende Taten (Ludwig Rittmeyer)
(S.179-183).