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Die nationalsozialistisch orientierten Front-Organisationen in der Schweiz 1930-1957
1. Die Sozialdemokratie und die Kommunistische Partei 1918-1933
Schweizer Sozialisten mit bedingungsloser Opposition - landesweiter Generalstreik von 1918 - Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz 1918 - die "Diktatur des Proletariats" als Ziel ab 1920 - die Extremisierung und der Börsencrash von 1929 - die Provokation zur Entstehung rechtsextremer Parteien
Landesstreik November 1918, z.B. in Lugano [1]
von Michael Palomino (1998 / 2005 / 2010)
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aus: Walter Wolf: Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz 1930-1945. Flamberg-Verlag Zürich 1969.
Schweizer Sozialdemokratie und die schweizerische Kommunistische Partei 1918-1933
Schweizer Sozialisten mit bedingungsloser Opposition - landesweiter Generalstreik von 1918 - Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz 1918
Zuerst betrieb die Sozialdemokratie in der Schweiz eine bedingungslose Opposition wegen der schlechten sozialen Verhältnisse im Land, kam dann unter den Einfluss kommunistischer Emigranten mit einer weiteren Radikalisierung, mit einem landesweiten Generalstreik im Jahre 1918, der ein grosses Truppenaufgebot provozierte. Dann spaltete sich die "Kommunistische Partei der Schweiz" ab (S.298).
Landesstreik November 1918, z.B. in Lugano [1]
Was passierte da genau? Die Industriellen der Oberschicht hatten sich im Ersten Weltkrieg eine "Goldene Nase" verdient, gaben die Gewinne aber nicht an die Arbeiter weiter. Dabei waren die Lebensmittelpreise im Krieg um 130 Prozent gestiegen.
Kinder warten im Jahre 1917 in Zürich-Aussersiehl vor dem Kern-Schulhaus, wo für arme Familien eine Suppenküche eingerichtet wurde,
die die hohen Lebensmittelpreise nicht mehr bezahlen konnten [2]
Im Februar 1918 plante der Bundesrat die Einführung einer Zivildienstpflicht, was die Gründung des "Oltner Aktionskomitees" begründete. Die Beretischaft zu Aktionen war jedoch schon durch die "Goldenen Nasen" und durch die Diskriminierung der Arbeiterorganisationen entstanden, die von der politischen Beschlussfindung ausgeschlossen worden waren. Sprich: Das Oltner Aktionskomitee wurde nun zum Sprachrohr der Arbeiterorganisationen. Die Anregungen des Komitees zu einer menschlicheren Lebensmittelversorgung und zu einer Reduzierung der Arbeitszeit etc. konnten aber nur mit Streikdrohungen und mit Streikvorbereitungen durchgesetzt werden. Schliesslich eskalierte die Situation und die schweizer Regierung liess Truppen auffahren [4]. Das Gerücht von einem Staatsstreich machte die Runde, und so besetzte die schweizer Armee Anfang November 1918 die gesamte Stadt Zürich [um eine jüdisch-kommunistische Revolution wie in Russland, Ungarn oder in Bayern zu verhindern]. Nun, das ging in Zürich mit schweren Drohungen und Provokationen einher, wie zum Beispiel die Drohung, Handgranaten gegen Häuser einzusetzen:
Der Handgranatenbefehl für Zürich vom 11. November 1918 [3]
Text:
<An die Einwohnderschaft der Stadt Zürich.
Unsere Truppen sind mit Handgranaten ausgerüstet. Sie haben Befehl, sie zu gebrauchen, wenn aus Fenstern und Kellerlöchern geschossen wird. Die Truppe weiss, dass auf blosse Vermutung hin, dass aus einem Fenster geschossen worden sei, keine Handgranate verwendet werden darf. Wo aber einwandfrei feststeht, dass aus Häusern geschossen worden ist, wird das Handgranatenwerfen zur befohlenen Pflicht.
Zürich, 11. November 1918.
Kommando der Ordnungstruppen für Zürich: Oberstdivisionär Sonderegger.>
Bewachung des Bundeshauses in Bern mit Bajonett im November 1918 [5]
Bern hielt die Besetzung der Stadt in Grenzen und versuchte dabei unter Oberstkorpskommandant Eduard Wildbolz, die Wachen so unauffällig wie möglich zu platzieren und Provokationen auszuweichen. Das Bundeshaus wurde z.B. nicht mit Soldaten vor dem Bundehaus bewacht, sondern die Wachen standen hinter den Gittern, wie man hier sieht [3].Das Kriegsgehabe in Zürich führte zu einer Protestreaktion in der gesamten schweizer Bevölkerung und zu einem landesweiten Generalstreik.
Flugblatt des Oltener Komitees mit dem Aufruf zum «allgemeinen Landesstreik» vom 10. November 1918 mit dem Titel "An das arbeitende Volk der Schweiz!" [7]
Die Forderungen beim landesweiten Generalstreik waren:
1. Sofortige Neuwahl des Nationalrats auf Grundlage des Proporzes
2. Aktives und Passives Frauenwahlrecht
3. Einführung der Arbeitspflicht
4. Einführung der 48stundenwoche in allen öffentlichen und privaten Unternehmungen
5. Reorganisation der Armee im Sinne eines Volksheeres
6. Sicherung der Lebensmittelversorgung im Einvernehmen mit den landwirtschaflichen Produzenten
7. Alters- und Invalidenversicherung
8. Staatsmonopole für Import und Export
9. Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden [3]
Der landesweite Generalstreik in der Schweiz dauerte 3 Tage, und die schweizer Armee konnte nicht das ganze Land besetzen. Dann brach der Streik zusammen [1] bzw. der Bundesrat stellte ein Ultimatum, und um ein Blutvergiessen zu verhindern, liess das Oltener Komitee den Streik beenden. Die Hauptaktivisten Grimm, Schneider und Platten wurden von der schweizerischen Militärjustiz wegen "Meuterei" (begangen durch die Streikproklamation), am 10.4.1919 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt [3] [ein typisch autitäres Hotzenplotz-Verhalten der schweizer Militärjustiz].
Die Solidaritätsbewegung durch den Generalstreik bewirkte später die Annahme einer Initiative zum Proporzwahlrecht, eine weitere Initiative zur Einführung der 48-Stundenwoche, und zur Einführung kollektiver Arbeitsverträge, ausserdem zum Aufbau der Altersvorsorge und der Arbeitslosenfürsorge [1].
Oberstdivisionär Sonderegger selber fühlte sich als "Sieger von Zürich" und liess Postkarten mit seinem Portrait verkaufen [3].
Postkarte mit dem Portrait von Sonderegger, der sich als "Sieger von Zürich" fühlte [4]
[Was für ein Obertrottel, mit Handgranaten und Bajonettreitern hatte er Zürich terrorisiert. Nun, auf eine gewisse Art konnte sich Sonderegger trotzdem als "Sieger von Zürich" fühlen, weil im Land eine kommunistische Revolution verhindert worden war. Schlussendlich aber konnte sich die gesamte schweizerische Bevölkerung als "Sieger" fühlen, weil landesweit das Frauenwahlrecht, Sozialeinrichtungen und Verbesserungen am Arbeitsplatz eingeführt wurden. Sonderegger hatte den Landesstreik und die Willensbildung zu sozialerer Gesetzgebung provoziert. Es war ein "heisser" Weg, aber es ging 1918 ohne Tote ab, dank der Willensstärke in der schweizer Bevölkerung und der geistigen Schulung der schweizer Soldaten, angespannte Situationen "durchzuhalten"].
Aber gleichzeitig blieben nun die schweizer Sozis und die schweizer Kommunisten absolute Extremisten, lehnten weiterhin die Demokratie und die Landesverteidigung ab (S.298) [obwohl sie ja der Demokratie und der Landesverteidigung ihre Existenz zu verdanken hatten!] und setzten noch einen drauf: Sie setzten die demokratiefeindliche Haltung in ihren Parteiprogrammen fest:
Die "Diktatur des Proletariats" als Ziel der schweizer Sozis ab 1920
Am 12. Dezember 1920 gab die Sozialistische Partei der Schweiz (SPS) ein Programm heraus. Ziel sei
-- die Einführung des Staatssozialismus
-- die Errichtung der Diktatur des Proletariats
-- und eine militärfeindliche Haltung (S.299).
[Es waren also die Sozialisten und Kommunisten, die die Demokratie zuerst ablehnten. Dies sei an dieser Stelle festgestellt. Und noch was: Die schweizer Justiz unternahm nichts. Wieso unternahm die schweizer Justiz eigentlich nichts gegen diese Parteiprogramme? Bei der nächsten Krise war dann eine Reaktion fällig, und die Krise kam]:
Die Extremisierung und der Börsencrash von 1929 - die Provokation zur Entstehung rechtsextremer Parteien
[Fortan war der Klassenkampf auch in der Schweiz eröffnet, denn die Bürgerlichen und die Reichen wollten sicher keine "Diktatur des Proletariats". Aber eben: Die schweizer Justiz unternahm nichts. In der Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash von 1929 wurde die Situation dann geistig derart labil, dass nun auch gewisse rechtsextreme Gruppen die Abschaffung der Demokratie forderten, für mehr Sicherheit im Land, um die Sozialdemokraten und die Kommunisten mit ihrem Ziel "Diktatur des Proletariats" zu verbieten und zu vernichten. Vielleicht sind ja die Sozis und die Kommunisten, wo zu einem erheblichen Teil jüdische Gruppen führende Positionen innehatten, nicht ganz unschuldig, dass der Nationalsozialismus entstand. Die Situation war derart gespannt, dass in der Schweiz 1932 ein Massaker passierte]:
Unruhen am 9. November 1932 in Genf forderten 13 Toten durch Militäreinsatz
(S.299)
Was passierte da in Genf? Da waren 13 Tote und 65 Verletzte [5].
Genf 9. November 1932: Bewaffnete Truppen (bzw. junge Rekurten aus Lausanne mit nur 6 Wochen Rekrutenschule) sind gegen linke Demonstranten in Stellung gegangen [8]. Aber diese linken Demonstranten wollen die Demokratie abschaffen und es steht die "Diktatur des Proletariats" im Programm...
Da passierte genau das:
-- den Bossen war die Arbeitslosigkeit egal [2] (die Arbeitslosigkeit in Genf lag bei 8,5%, insgesamt über 8000 Arbeitslose, davon bekamen nur 1410 Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung [6])
-- die Verarmten suchten Rettung bei den extremen Parteien (bei den Sozialisten mit Anlehnung an die Kommunisten) [2]
-- im Plainpalais von Genf tagte eine rechtsextreme, antidemokratische Partei [2] (die "Nationale Union" von Geo Oltramare mit einem faschistischen Parteiprogramm á la Mussolini, die Parteimitglieder liefen in den Tagen zuvor in Militäruniform und mit Musikkapelle durch die Strassen [6])
-- die antidemokratische Linke mit der "Diktatur des Proletariats" im Programm demonstrierte mit 8000 Leuten [2] oder 4-5000 Leuten [6] gegen die faschistische Nationale Union im Plainpalais [2]
-- und dazwischen stand die Armee [2] (z.T. mit unerfahrenen Rekruten mit nur 6 Wochen Rekrutenschule aus Lausanne [6]) mit einem Trottel-Leutnant Raymond Burnat, der um 21:34 Uhr [6] einen Schiessbefehl gab [2]. [Und statt in die Luft zu schiessen, wurde in die Demonstranten geschossen].
Es gab somit mehrere Provokationen gleichzeitig:
-- den schweizer Bossen und der schweizer Regierung war die Arbeitlosen egal
-- die schweizer Regierung hatte immer noch zugelassen, dass die Sozialisten den Punkt "Diktatur des Proletariats" im Programm hatten
-- die rechtsextreme, faschistische, antidemokratische Partei "Nationale Union" hatte sich im Plainpalais verschanzt und mehrere Tage mit kleinen Paraden provoziert
-- und die schweizer Regierung liess die bewaffnete Armee auffahren, statt eine Deeskalationstaktik anzuwenden.
Es herrschte also auf vielen Seiten eine absolute Verantwortungslosigkeit, auch auf der Regierungsseite beim Bundesrat [7].
Die Beerdigung der Todesopfer am 12. November 1932 wurde von Tausenden Trauernden begleitet. Ein ausgerufener Generalstreik für Genf für denselben Tag wurde nur teilweise befolgt [6].
Aus dieser Stimmung der Dauerkonfrontation heraus zwischen den zahlenmässig überlegenen, antidemokratischen Linken und den zahlenmässig unterlegenen, antidemokratischen Rechten gründeten sich nun immer mehr rechtsextreme Gruppen in der Schweiz, die gegen die demokratiefeindlichen Sozialisten und Kommunisten mehr "Ordnung" schaffen wollten: die Fronteparteien (Fronten). Aber diese Frontenparteien hatten oft den Sprachen-Rassismus im Programm, der die Auflösung der Schweiz bedeutet hätte, und NS-Deutschland nahm diese kleinen Gruppierungen sowieso kaum Ernst. So kam es zu vielen kleinen Frontparteien, die nur eine kurze Lebenszeit besassen, ein absolutes Chaos im Land mit Auf und Ab, Verirrungen und Tätlichkeiten, Hoffnung und Gerichtsurteilen.
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