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20. Kriminelle schweizer Kinderheime mit psychischem und körperlichem Kindsmissbrauch - Meldungen 01

Wie die schweizer Justiz den Sadismus gewisser Angestellten in schweizer Kinderheimen einfach nie ahndete und gegen kriminellste Heimleiter nicht vorging - weil es "keine Rechtsgrundlage" gab

Meldungen

präsentiert von Michael Palomino

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Einleitung
Das Personal von schweizer Kinderheimen hatte noch bis in die 1980er Jahre die grausame Tradition, Kinder kaputtzuschlagen und zu terrorisieren und zu missbrauchen. Der systematische Kindsmissbrauch in Kinderheimen fand also nicht nur in England statt, wie die Meldungen im Jahre 2008 nahelegten, sondern auch in der "sauberen" Schweiz. Die Berichte sind schrecklich. Ich selbst habe nicht so schöne Behandlungen mit Psycho-Terror in schweizer Ferienlagern erlebt, aber geschlagen wurde nicht. Prozesse gibt es in der Schweiz wegen Kindsmisshandlung in der Kindheit eigentlich nie, denn juristisch ist das alles "verjährt". Aber lesen Sie selbst, was sich in der Schweiz so alles hinter der Fassade tut:

Buchtip: "Weggesperrt. Warum Tausende in der Schweiz unschuldig hinter Gittern sassen"

Wer nicht «recht tat», wurde eingesperrt - ohne Gerichtsurteil. Die Beobachter-Spurensuche zu den administrativ Versorgten - einem dunklen Kapitel Schweizer Geschichte. http://www.beobachter.ch/buchshop/recht/shop-produkt/weggesperrt/

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1.10.2008: <Hindelbank: "Was die mit uns gemacht haben!>

aus: Der Schweizerische Beobachter; Ausgabe 20/2008, 1.10.2008;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/hindelbank_was-die-mit-uns-gemacht-haben/

<Text:Dominique Strebel

Drei Frauen suchen Wiedergutmachung. Als junge Mädchen wurden sie ohne Gerichtsurteil zur Erziehung in die Strafanstalt Hindelbank eingewiesen. Jahrzehnte später kehren sie dorthin zurück. Mit einem Ziel: «Es soll wenigstens mal jemand sagen, dass das falsch war.»

Eingesperrt. Die eine Tür hat sich hinter den drei Frauen geschlossen, die andere vor ihnen noch nicht geöffnet. Sie stehen in der Sicherheitsschleuse der Strafanstalt Hindelbank BE. Zusammengedrängt auf vier Quadratmetern. Schnell schieben sie ihre Identitätspapiere durch den Schlitz im Panzerglas der Loge. Lange Minuten prüft der Polizeibeamte die Papiere. Man sieht den Frauen an, dass Angst hochkommt, blockierte Erinnerungen rauswollen.

Es ist das erste Mal, dass Rita Schreier, 62, Ursula Biondi, 58, und Regina Schluep (Name geändert), 51, zurückkehren an den Ort, wo sie als junge Mädchen «auf unbestimmte Zeit zur Erziehung» eingesperrt waren. Keine von ihnen hatte ein Verbrechen begangen - sie waren bloss unbequeme Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen. Man hatte sie erst bevormundet, dann in Erziehungsheime gesteckt und zuletzt nach Hindelbank verfrachtet. Die Vormundschaftsbehörden konnten bis 1981 eine Anstaltseinweisung verfügen, ohne dass die Betroffenen eine Möglichkeit hatten, sich vor Gericht dagegen zu wehren.

Zeitreise in der Sicherheitsschleuse

«Hast du den Zehnder noch gekannt?» - «Und die Haldimann?» - «Nein, Schwester Ursula war bei den Gerichtlichen.» - «Wann warst du denn drin?» Wie bei einer Klassenzusammenkunft hatten die drei Frauen auf der Fahrt nach Hindelbank Erinnerungen ausgetauscht. Dann tauchte am Horizont das Schloss auf. Das Geplauder verstummte. Wie viele Schweizer Strafanstalten ist auch Hindelbank in einem ehemaligen Patriziersitz untergebracht. «Früher war da der Psychiater drin, die Küche und der Zahnarzt», sagt Regina Schluep. Rund ums Schloss stehen langgezogene niedrige Bauten, in denen derzeit rund 100 Frauen ihre Strafen verbüssen. Bis vor rund 30 Jahren waren es nur zur Hälfte Straftäterinnen, die andere Hälfte waren Frauen, die zur Erziehung nach Hindelbank geschickt worden waren. Zum Beispiel wegen «lasterhaften Lebenswandels» oder wie Rita, Ursula und Regina als «schwererziehbare» Kinder.

Schloss Hindelbank in den sechziger Jahren: heute der Sitz der Gefängnisverwaltung


«Der Stempel Hindelbank sitzt ein Leben lang», sagt Biondi. «Er belastet meinen Alltag.» Aus diesem Grund fordern die drei Frauen moralische Wiedergutmachung - stellvertretend für ein weiteres Dutzend Betroffene, die sich beim Beobachter gemeldet haben, nachdem dieser Ursula Biondis Geschichte publik gemacht hatte (siehe Artikel zum Thema «Behördenwillkür: Zur Erziehung ins Gefängnis»). «Es soll wenigstens mal jemand sagen, dass es falsch war, uns zur Erziehung in eine Strafanstalt zu stecken», fordert Biondi. Die Verantwortlichen zu finden ist nach 30 oder 40 Jahren schwierig, denn die einweisenden Behörden sind längst neu besetzt. In dieser Hilflosigkeit wird die Reise nach Hindelbank zum symbolischen Ersatz, und die Minuten eingeschlossen in der Sicherheitsschleuse werden zur Zeitreise.

Regina Schluep wurde 1976 als 19-Jährige nach einem Suizidversuch nach Hindelbank gebracht. «Sie lebt seit ungefähr einem Jahr mit einem übel beleumdeten und mehrfach vorbestraften Manne, der 15 Jahre älter ist als sie, zusammen», begründete die Vormundschaftsbehörde der Bürgergemeinde Recherswil SO die Einweisung. «Von diesem Mann hat sie im Dezember 1975 ein Kind geboren. Um das Kind bekümmert sie sich wenig oder gar nicht. (...) Sie ist eine notorische Lügnerin. Sie begeht gelegentlich kleinere Diebstähle, ist hingegen strafrechtlich nie verfolgt worden.» Nach Hindelbank sei sie einzuweisen, weil die psychiatrische Klinik zu wenig sicher sei. Wieso genau sie in die Strafanstalt gesperrt wurde, wusste Schluep nicht - bis im Juni dieses Jahres, als sie auf Anraten des Beobachters erstmals ihre Akten einsah. «Statt Hilfe zu bekommen, wurde ich weggesperrt», sagt die Frau, die heute in einem Behindertenheim arbeitet. Immerhin erwirkte damals ein aufmerksamer Anstaltspsychiater, dass sie nach drei Monaten in eine psychiatrische Klinik und nach sechs Monaten freikam.

Die Denunziation des Sekundarlehrers

Im Alter von 16 Jahren wurde Rita Schreier 1962 in Hindelbank eingewiesen. Der Grund: Sie soll einer Mitschülerin zehn Franken aus dem Etui gestohlen haben. Aus den Erziehungsheimen, in die man sie deswegen gesperrt hatte, war sie immer wieder zu ihrem Grossvater geflohen. «Ich rebellierte gegen die Ungerechtigkeit, wegen eines angeblichen Diebstahls aus meiner Familie gerissen worden zu sein», sagt die resolute Frau heute. Ebenfalls erst dieses Jahr bei der Akteneinsicht realisierte Schreier, dass für die Einweisung ihr Zuchwiler Sekundarlehrer entscheidend gewesen war. Er zeigte den Diebstahl an und schrieb an den Solothurner Jugendanwalt: «Rita fällt sofort auf. Zur Schule fährt es mit einem Velo, bei dem die Enden der Lenkstange nach oben gerichtet sind. Es trägt einen Mantel mit übergrossem Pelzkragen und Schuhe mit hohen Absätzen. Das Streichen der Lippen und der Fingernägel sowie das Sichparfümieren habe ich ihm wenigstens für die Dauer der Schulzeit abstellen können.» Rita Schreier wurde nach einem Jahr entlassen, lernte Coiffeuse, heiratete, zog zwei Söhne gross und leitete während über 20 Jahren ein Taxiunternehmen.

Ursula Biondi wurde 1967 mit 17 Jahren in Hindelbank eingesperrt. Weil der Vater sie schlug, riss sie immer wieder von zu Hause aus. Ein Au-pair-Jahr im Welschland brach sie ab, weil sie vom Hausherrn sexuell missbraucht worden war. Und dann traf sie in der Hawaii-Bar im Zürcher Niederdorf den sieben Jahre älteren Eisenleger Heinz. Mit ihm reiste sie nach Genua, und von ihm wurde sie schwanger. Als sie in die Schweiz zurückkehrte, galt sie als schwer erziehbar und wurde von der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich «für die Dauer von zwei Jahren in ein geeignetes Erziehungsheim eingewiesen». Nach rund einem Jahr in Hindelbank wurde sie entlassen, arbeitete zuerst als Kellnerin, dann als Sekretärin, machte Karriere als Informatikausbildnerin bei Uno-Organisationen, zog ihren Sohn gross und lebt heute am Zürichberg.

Der Sicherheitsbeamte schiebt die Identitätskarten zurück durch den Schlitz im Panzerglas, die Innentür öffnet sich. Marianne Heimoz, die heutige Direktorin der Strafanstalt, und Martin Kraemer, Vorsteher des Amts für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern, begrüssen die Ex-Insassinnen. «Personenkontrolle brauchen wir heute keine», sagt Heimoz und führt ihre Gäste am Metalldetektor vorbei in den Hof der Strafanstalt.

Die Frauen sagen nichts. Sie stehen direkt vor jenem Zellentrakt, in dem sie damals untergebracht waren. Von aussen sieht er noch genau gleich aus wie damals. Stumm gehen sie ans Tor, blicken in den Innenhof, wo sie manchmal spazieren durften. Es herrscht beklommene Stille. Die Frauen haben Tränen in den Augen. Aber bald wandelt sich die Trauer in Wut. «Was die mit uns gemacht haben!», sagt Schluep. «Das sollen sie mir büssen.» Doch die Wut bleibt ohnmächtig, weil sie kein konkretes Gegenüber hat

Auch Kinder wurden eingesperrt

Bis 1981 war Hindelbank zugleich Strafanstalt und Erziehungsheim. Doch gab es lange weder therapeutische noch erzieherische Hilfe und auch keine Möglichkeiten zur beruflichen Aus- oder Weiterbildung. Die jungen Frauen arbeiteten in der Wäscherei zusammen mit erwachsenen Mörderinnen, Räuberinnen oder Brandstifterinnen. Die zur Erziehung eingewiesenen Mädchen waren teilweise erst 14 Jahre alt. «Zuerst hatten wir nur Frauen, die 18 Jahre und älter waren», erinnert sich Fritz Meyer, der heute 89-jährige ehemalige Direktor der Strafanstalt, der noch immer wenige hundert Meter weit entfernt in Hindelbank wohnt. «Im Laufe der sechziger Jahre wurden immer jüngere Frauen eingewiesen. Es kam sogar der Antrag, eine 13-Jährige aufzunehmen. Den lehnten wir aber ab.»

 

Beobachter: Herr Meyer, wieso hat die Gesellschaft damals junge Mädchen zur Erziehung in die Strafanstalt gesteckt?
Fritz Meyer: Die Gesellschaft war ratlos und überfordert. Diese jungen Frauen liefen den Eltern davon und flüchteten aus Erziehungsheimen. Zuletzt landeten sie bei uns. Man wollte nichts von ihnen wissen und steckte sie weg.

Beobachter: Haben Sie sich nie gefragt, ob die Strafanstalt das Richtige sei für diese Mädchen?
Fritz Meyer: Doch. Das fragte ich mich immer wieder. Aber wir waren verpflichtet, sie aufzunehmen. Wenn ich heute mein Tagebuch von damals durchlese, frage ich mich, wie ich das verantworten konnte.

Beobachter: Hat es Sie nie gestört, dass Vormundschaftsbehörden diese Frauen ohne gerichtliche Überprüfung einweisen konnten?
Fritz Meyer: Doch. Die Vormundschaftsbehörden hatten damals zu viel Macht.

 

Fragt man bei damaligen Verantwortlichen nach, tönt es hilflos: Es sei eine verzwickte Sache gewesen, sagt etwa der frühere Präsident der Vormundschaftsbehörde der Bürgergemeinde Recherswil, die Regina Schluep nach ihrem Suizidversuch in die Strafanstalt Hindelbank eingewiesen hat. Damals hätten sie einfach keine andere Möglichkeit gehabt, ihr beizukommen. Ähnlich ohnmächtig tönt es beim früheren Präsidenten der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde Wald ZH, die noch 1979 eine 15-jährige Frau administrativ in Hindelbank versorgte. Der heute 80-jährige Mann beschreibt am Telefon seine Mühe, für diese junge Frau eine sinnvolle Lösung zu finden. Aus Heimen sei sie ausgebrochen, und selbst als er sie zu sich in die eigene Familie aufgenommen habe, sei sie geflohen. Man habe damals sogar den Beobachter angefragt, was sie mit dem Mädchen tun sollten. Doch auch der wusste keinen Rat. Man wies bloss darauf hin, dass es zwischen halbfreien Heimen und der geschlossenen Anstalt leider noch keine Alternativen gebe.

Nochmals einige Sicherheitsschleusen. Doch diesmal ist die Anstaltsdirektorin dabei und öffnet sofort jede Tür. Rita Schreier, Ursula Biondi und Regina Schluep treten ein ins Schloss, jenen Teil der Anstalt, in dem heute die Gefängnisverwaltung untergebracht ist. Der Innenhof ist lauschig wie eine gemütliche Gartenbeiz. In den hohen Räumen hängen Kronleuchter von der Decke und ehrwürdige Porträts des Erbauers Hieronymus von Erlach an den Wänden. Unter seinen Blicken setzen sich die drei ehemaligen Insassinnen am grossen Eichentisch Direktorin Heimoz und Amtsvorsteher Kraemer gegenüber. Wie hatte es Ursula Biondi formuliert? «Es soll wenigstens mal jemand sagen, dass es falsch war, uns zur Erziehung in eine Strafanstalt zu stecken.»

Die Opfer fühlen sich ernst genommen

Direktorin Heimoz serviert Kaffee und bietet Patisserie an. Hergestellt von einer Insassin, die eben eine Anlehre abgeschlossen hat. Die drei Frauen erzählen ihr Leben. Die Strafvollzieher hören zu. Nach eineinhalb Stunden sagt Martin Kraemer: «Ich verstehe Ihren Zorn, Ihre Wut und Ihren Aufruhr gegen die Behörden, die Ihnen Unrecht getan haben.»

Er habe nicht gewusst, dass in Hindelbank junge Frauen ohne gerichtliches Urteil zur Erziehung eingesperrt wurden - und zwar nicht im tiefen Mittelalter, sondern bis vor 27 Jahren, zu einer Zeit also, «als ich bereits erwachsen war. Ihre Lebensgeschichten führen mir vor Augen, wie wichtig es ist, dass ich im Strafvollzug nur das mache, wovon ich wirklich überzeugt bin, dass es für die Betroffenen förderlich ist.» Die Geschichte des Strafvollzugs zeige aber, dass sich jede Generation für ihre Arbeit bei der späteren Generation entschuldigen müsse für die Fehler, die sie gemacht habe. «Wenn es Frauen gibt, die als Jugendliche von Berner Behörden ohne gerichtliches Urteil in Hindelbank eingewiesen wurden, werden wir gründlich prüfen, ob eine Wiedergutmachung angebracht ist.»

Der Besuch hat den Frauen geholfen. Sie wurden ernst genommen. Ursula Biondi legt den beiden Vollzugsangestellten aber noch etwas ans Herz: «Jugendliche dürfen nie mehr bloss aus erzieherischen Gründen in Anstalten untergebracht werden, die den gleichen Namen tragen wie ein Gefängnis. Eine Stigmatisierung, wie wir sie erlebt haben, darf nie mehr passieren.» Die Tür zur Freiheit geht diesmal problemlos auf. Draussen umarmt eine junge Strafentlassene gerade einen jungen Mann. «Auf mich wartete damals nicht der Freund, sondern der Vormund», meint Rita Schreier trocken.

Einweisungen bis in die achtziger Jahre

Das Angebot des Berner Strafvollzugschefs, eine Wiedergutmachung gründlich zu prüfen, nützt den drei Frauen allerdings herzlich wenig, denn sie wurden von Solothurner oder Zürcher Behörden eingewiesen. Und die bieten keine Wiedergutmachung an:

«Aus heutiger Sicht mag zwar die Einweisung in die Strafanstalt Hindelbank befremden», schreibt der heutige Präsident der Vormundschaftsbehörde Recherswil, die damals Regina Schluep eingewiesen hatte. «Indessen entsprach das Vorgehen der damaligen Behörden den rechtlichen Bestimmungen, und es liegt nicht an den heutigen Behörden, jenes Vorgehen zu kommentieren oder gar zu kritisieren.»

Bei Schreier und Biondi reagieren die Verantwortlichen ähnlich: Die Einweisung wird bedauert, doch den damaligen Behörden mag niemand einen Vorwurf machen.

Entschuldigungen gibt es keine. Diese Reaktionen befriedigen die Berner Historikerin Tanja Rietmann nicht. Sie schreibt eine Dissertation über Frauen und Männer, die im Kanton Bern administrativ in Heime oder Strafanstalten eingewiesen wurden. «Bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert forderten professionelle Fürsorgerinnen und Sozialarbeitende, dass man bei schwierigen Jugendlichen zuerst eine ‹soziale Diagnose› stellen muss, genau hinschauen sollte, was es für Gründe gibt, wieso sich jemand auffällig benimmt. Doch davon wollten viele Vormundschaftsbehörden bis in die siebziger Jahre nicht viel wissen.»

Etwa die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt. Sie wies noch im Frühling 1980 eine junge Frau in Hindelbank ein, weil sie mit der Pflegemutter nicht auskam und ihr einen Wäschesack nachgeworfen hatte. Da hatten Bundesrat und Parlament bereits realisiert, dass es menschenrechtswidrig ist, Leute in geschlossene Heime oder Strafanstalten zu stecken, ohne dass ein Gericht angerufen werden kann: Sie hatten das Zivilgesetzbuch revidiert und auch beim fürsorgerischen Freiheitsentzug eine gerichtliche Überprüfung vorgesehen.

Doch als die Revision Anfang 1981 in Kraft trat, erfuhr die Baslerin nicht etwa von der Vormundschaftsbehörde, dass sie rechtswidrig in Hindelbank festgehalten wurde, sondern von einer Mitinsassin, die ihr einen Zeitungsartikel zusteckte. «Das überrascht mich nicht», sagt Christoph Häfeli, ehemaliger Rektor der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern und Experte im Vormundschaftsrecht. «In den Vormundschaftsbehörden arbeiteten bis weit in die neunziger Jahre vorwiegend Laien, die keine professionelle Ausbildung hatten. So änderte sich im Vormundschaftswesen oft erst etwas, wenn die Behörden von den Gerichten gerüffelt wurden.»

Viele alte Akten sind bereits zerstört

Die jüngere Geschichte des Vormundschaftswesens ist weitgehend unerforscht. Erst die administrative Versorgung wird historisch aufgearbeitet. Die Quellenlage aber ist schlecht: Von 2700 im Kanton Bern zwischen 1942 und 1981 administrativ Versorgten sind nur noch 207 Dossiers vorhanden. Der Rest wurde vernichtet. «Das ist unhaltbar», protestiert Ursula Biondi. «Akten dürfen nicht mehr vernichtet werden, sondern sind den Betroffenen auszuhändigen.» Sie fasst zusammen mit Rita Schreier und Regina Schluep ein neues Ziel ins Auge: Die drei Frauen wollen ein Archiv aufbauen, wo die Fälle von Männern und Frauen dokumentiert werden, die ohne Urteil in Erziehungsheimen landeten. «Damit man nicht vergisst, was man uns angetan hat», sagt Biondi.>

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12.5.2010: Schlimmste Zustände bis zum sexuellen Kindsmissbrauch in schweizer Kinderheimen der 1950er bis 1980er Jahre

aus: Der Schweizerische Beobachter: Kinderheime: Düstere Jahre; 12.5.2010;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/kinderheime_duestere-jahre/
<Text:
  • Otto Hostetter
  • , Markus Föhn
  •  und Christoph Schilling

Die Gesellschaft wollte sie «erziehen», doch die Kinder wurden systematisch gedemütigt, verprügelt, missbraucht. Jetzt berichten Betroffene, was ihnen angetan wurde.

[Samstag ist Badetag im "Töchterinstitut auf der Steig" in Schaffhausen - die rabiate "Erzieherin" schlägt die Mädchen - Anfassen der Genitalien - ertränkt die Mädchen fast]

«In wenigen Sekunden lernte ich, dass ich mir mit Gewalt Respekt verschaffen konnte.»
Karin Bürgisser wurde beim Baden fast ertränkt

Samstag ist Badetag. Wöchentlicher Höhepunkt der Demütigungen Anfang der siebziger Jahre im Töchterinstitut «auf der Steig» Schaffhausen. Die Mädchen müssen sich halbnackt vor dem Badezimmer aufstellen. Auf Kommando treten sie ein. Links die Waschbecken, vorne die Toiletten, rechts eine Sitzbadewanne, davor Fräulein Arnet, die Erzieherin mit der rabenschwarz gefärbten Ponyfrisur. Mit steinerner Miene fertigt sie jedes der Mädchen ab, vom siebenjährigen Kind bis zum 13-jährigen Teenager.

In der einen Hand die Seife, in der anderen den Waschlappen. «Hinstellen!», brüllt sie, reisst die Mädchen an Armen, Beinen, Haaren, verteilt Hiebe, schert sich einen Deut um die Wassertemperatur. «Beine auseinander!» Wer Gegenwehr leistet oder sich nicht zwischen den Beinen einseifen lassen will, spürt Fräulein Arnets harte Hand. Schluchzend verlassen die Mädchen das Badezimmer. «Die Nächste!»

Karin Bürgisser, damals Karin Hefty, kommt 1970 ins Töchterinstitut, als uneheliches Kind einer 19-Jährigen. Die ersten Jahre wuchs das Mädchen bei seinen Grosseltern auf. Mit fünf holte ihre Mutter sie zurück, aber in ihrer neuen Familie war die Kleine ein Störfaktor. Als sie elf war, steckte die Mutter sie ins «Institut» nach Schaffhausen. Ein «Badetag» ist der inzwischen 51-Jährigen in allen Einzelheiten in Erinnerung geblieben: Eines Samstags schickt sie die Erzieherin überraschend in den zweiten Stock. Dort durften die älteren Mädchen eine richtige Badewanne benutzen. Sie schliesst das Badezimmer ab und geniesst es, fern der Erniedrigungen alleine in einer Badewanne zu liegen. Bis die Erzieherin zur Kontrolle erscheint. Sie tobt vor verschlossener Tür. Eingeschüchtert öffnet Karin, die Erzieherin stürmt herein, wirft sich auf das Kind und drückt es so lange unter Wasser, bis es beinahe ertrinkt. «Mir ging die Luft aus. Plötzlich begriff ich, dass ich mich wehren musste, sonst würde sie mich ersäufen.» Die Zwölfjährige kann sich befreien, die Erzieherin ist klitschnass. «In wenigen Sekunden lernte ich, dass ich mir mit Gewalt Raum und Respekt verschaffen konnte.»

[Die rassistische Terminologie der schweizer Vormundschaftsbehörden mit den Begriffen "Verwahrlosung", "Sozialwaise", "pflichtwidrig", "schwererziehbar" etc.]

Bis weit in die siebziger Jahre benutzten die Vormundschaftsbehörden den dehnbaren Begriff der «Verwahrlosung» als Disziplinierungsmittel für Familien, die sich nicht gesellschaftskonform verhielten. Ins Heim kamen sogenannte Sozialwaisen. Uneheliche Kinder, deren Mütter gezwungen waren, einer Arbeit nachzugehen. Kinder aus zerrütteten Verhältnissen. Kinder aus geschiedenen Ehen. Kinder, die eines gemeinsam hatten: Aus Sicht der Behörden verhielten sich ihre Eltern «pflichtwidrig» und waren nicht willens oder in der Lage, sie vor «Verwahrlosung» zu schützen. Waren Kinder auch nur ansatzweise auffällig, eigensinnig oder aufbegehrend, wurden sie als «schwererziehbar» eingestuft und weggesperrt. Erst der gesellschaftliche Wandel als Folge der 68er Bewegung leitete einen grundsätzlichen Umbruch ein.

Die Zahl der Kinder, die über die Jahrzehnte in Heimen lebten, dürfte in die Hunderttausende gehen. Genaue Statistiken gibt es nicht. Mitte der siebziger Jahre sprach der Bund noch von 60'000 bis 80'000 fremdplatzierten Kindern. Etwa drei Viertel davon lebten in Heimen.

«Mir ging die Luft aus»

«Sie packten uns von hinten an den Armen, hoben uns hoch und traten mit voller Wucht gegen uns.»
Willy Mischler über die Methoden im Waisenhaus «Mariahilf»

«Beim ersten Mal war ich fünf Jahre alt» - [Waisenhaus "Mariahilf" in Laufen: die volle Dusche ins Gesicht ist die "Lieblingsstrafe"]

Es ist Anfang der sechziger Jahre im Waisenhaus «Mariahilf» in Laufen, damals Kanton Bern. Willy Mischler mit den blauen Augen ist sieben, und wann es ihn wieder trifft, weiss er nicht. «Man musste nicht unbedingt etwas angestellt haben», sagt er fast 50 Jahre später. «Oft reichte es, wenn man nicht sofort gehorchte.» Dann konnte es zu dem kommen, was in der Sprache der Kinder «geduscht werden» hiess. Eine der Ingenbohler Schwestern und die weltliche Betreuerin schleppen das Kind in den Duschraum und sagen ihm, es solle sich schon mal ausziehen und beten, bis sie zurückkämen. Willy Mischler erinnert sich: «Beim ersten Mal war ich vielleicht fünf, sechs Jahre alt. Als sie wiederkamen, warfen sie mich in die Badewanne und hielten mir die Duschbrause mitten ins Gesicht, das Wasser voll aufgedreht. Ich konnte nicht mehr atmen, ich strampelte wie verrückt, ich geriet völlig in Panik. Ich dachte: ‹Jetzt ist es aus, jetzt sterbe ich.› Das war ihre Lieblingsstrafe.»

Die brutalen «Barmherzigen Schwestern» - [Einsperren über halbe Nächte wegen ein paar Worte und Fingernagelabdrücke in den Armen - rote und blaube Flecken an den Armen - Kopfbadstrafe - im Waisenhaus "Mariahilf" in Laufen]

Willy Mischler, der aus einer zerrütteten Familie stammt, wird auf Anordnung der Amtsvormundschaft 1960 als Dreijähriger nach Laufen gesteckt und bleibt bis 1969 dort. Über lange Jahre muss er die Strafen über sich ergehen lassen. Halbe Nächte verbringt er eingesperrt im Dunkeln hinter der Tür zum Estrich, weil er nach Lichterlöschen nicht sofort mucksmäuschenstill war. Die Oberarme des Jungen sind gezeichnet von den Abdrücken der Fingernägel seiner Peinigerinnen. «Sie mochten es, uns von hinten an den Armen zu packen, hochzuheben und mit voller Wucht gegen uns zu treten», sagt Mischler heute. «Wir flogen durch die Luft, als seien wir ein fortgekickter Fussball.»

Als die Grossmutter einmal die roten und blauen Stellen an seinen Armen bemerkt, reklamiert sie; die Schwestern verlegen sich danach auf Foltermethoden, die keine Spuren hinterlassen. Einmal, der kleine Willy hält während des obligatorischen Mittagsschlafs seine Augen nicht geschlossen, schleppt ihn die Betreuerin in die Waschküche und stellt ihn kopfüber in einen Putzeimer voll Wasser. Zieht ihn an den Beinen hoch, stellt ihn wieder hinein. Zieht ihn wieder hoch. Immer wieder.

[Das Anleitungsbuch "Wegweiser" für die Ingenbohler Schwestern verachtet Körperstrafen - die Realität sind Knüppel und Rohrstock mit grünen und blauen Flecken]

«In der Kirche beteten sie, und zurück im Heim schlugen sie uns mit Knüppel und Rohrstock.»
Maria Magdalena Ischer über die Ingenbohler Schwestern

Offiziell war die katholische Ordensgemeinschaft der Ingenbohler Schwestern, die in der Schweiz zahlreiche Kinderheime führte, der puren Nächstenliebe verpflichtet, der Fürsorglichkeit für Kinder, die ohne Eltern aufwachsen mussten. In einem Wegweiser für die «Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuze» hiess es bereits 1926: «Körperliche Strafen sollen stets mit grosser Vorsicht gegeben werden. Das Schlagen auf den Kopf, auf den Mund oder auf den Rücken, Reissen an den Ohren und Haaren ist für Ordensschwestern unwürdig.»

Maria Magdalena Ischer, die in zahlreichen Heimen die Methoden der Ingenbohler Schwestern zu spüren bekam, sagt: «In der Kirche beteten sie, und zurück im Heim schlugen sie uns mit Knüppel und Rohrstock, bis wir grün und blau waren. Sie wollten Kinder zurechtbiegen, wollten sie brechen, angeblich zu ihrem eigenen Wohl.» Irgendwann hat sie angefangen, sich zu wehren. «Wenn ich geprügelt wurde und den Stock zu fassen bekam, schlug ich zurück. Dann hiess es wieder, ich sei halt ein böses Kind.»

["Schöne" Namen der Ingenbohler-Schwestern-Kinderheime - inklusive Schläge und auf dem Holzboden einschlafen wegen Bettnässens]

Die Heime trugen Namen wie «Gott hilft», «Paradies», «Hoffnung», «Guter Hirte», «Zur guten Herberge», «Kinderdörfli», und das Motto des Verbands für Schwererziehbare lautete: «Schwererziehbarkeit, von der anderen Seite gesehen, heisst: Geduld, Mut, Vertrauen und immer brennende Liebe.»

In der Realität ist von Liebe wenig zu spüren. Vielerorts werden die Kinder systematisch gedemütigt. 1948 kommt die vierjährige Margot Heutschi ins Kinderheim «Paradies», eine Institution der Heilsarmee in Mettmenstetten ZH. Schon am zweiten Tag muss sie Schläge einstecken, weil sie ins Bett gemacht hat. Sie ist Bettnässerin.

Heute sitzt die 66-jährige Frau auf dem Sofa, neben ihr ein kleinkindgrosser brauner Teddybär. Sie trägt rosa Socken mit Snoopy-Figuren darauf. Als ob sie, mit Teddybär und Kindersocken, ihre geraubte Kindheit beschwören wollte. Zuweilen blickt sie, während sie nach Worten sucht, abwesend zu Boden, stochert in Erinnerungen, um wieder aufzutauchen, mit wachem Blick. «Monatelang musste ich zur Strafe im Flur auf dem harten Holzboden einschlafen.» Jeden Morgen kam die Pflegerin, «eine grosse, starke Frau», prüfte das Laken und versohlte ihr den Hintern. Mit der Zeit hielt Margot freiwillig hin, weil sie wusste, dass sie sowieso drankäme. «Ich hatte mich daran gewöhnt, atmete tief ein, wusste, dass es nach ein paar Minuten vorbei sein würde.»

Versorgt für 250 Franken pro Jahr - [die "Kinderversorgung" in der Schweiz war ein "Geschäft", mehr nicht - Heime mit viel zu wenig Personal - für billige Gebühren]

Über Jahrzehnte arbeiteten Vormundschaftsbehörden, Kinderheime und Erziehungsanstalten in einem Beziehungsgeflecht zusammen, sagt Thomas Huonker, Experte für die Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen wie Kindswegnahmen und Anstaltseinweisungen (siehe Nebenartikel «Die Heime brauchten Zöglinge, die Behörden lieferten sie»). Gisela Hürlimann, die über «versorgte Kinder» an der Uni Zürich ihre Lizentiatsarbeit schrieb, kommt gar zum Schluss: «Die Kindsversorgung wurde wie ein Geschäft gehandhabt.»

Plätze in kirchlichen Heimen waren für die Gemeinden günstiger, ebenso grosse Institutionen mit wenig Personal. Der Aufenthalt im Erziehungsheim Rathausen etwa, von dem ehemalige Zöglinge in der Sendung «DOK» des Schweizer Fernsehens kürzlich erschütternde Erlebnisse erzählten, kostete in den vierziger Jahren 250 bis 500 Franken pro Kind und Jahr. Auf 230 Kinder kamen gerade mal zwölf Erzieher

[Waisenhaus Winterthur: Prügel vom "Waisenvater" im "Grünen Gang", auch in den Bauch]

«Ich werde den Geruch, das Stöhnen und die Stimme nie in meinem Leben vergessen.»
Eveline Kuster über den ersten sexuellen Missbrauch

Vielerorts war die Vielfalt an sadistischen Ideen beachtlich. Wie ein roter Faden zieht sich aber eines durch Heime, Anstalten und andere Einrichtungen: Prügel. Im Waisenhaus Winterthur war es der «grüne Gang», vor dem die Kinder Angst haben mussten. Eveline Kusters* Blick ist leer, wenn sie erzählt. Wer zu spät zum Essen kam oder jemandem einen Streich spielte, wurde vom Waisenvater in den «grünen Gang» gerufen. Alle wussten, was das bedeutete. Der Waisenvater führte die Kinder in den Keller und schloss ab. Im grün gestrichenen Korridor schlug er zu. Immer auch in den Bauch. Der Waisenvater suchte sich mit Vorliebe jene Kinder aus, die aufmuckten. Eveline Kuster erzählt: «Ich war eines seiner bevorzugten Opfer. Ich war ihm zu rebellisch, zu bockig.» Nach der Prügelstrafe stieg der Waisenvater, ein Liedchen pfeifend, die Treppe hoch. Die Opfer schickte er ohne Essen ins Zimmer.

[Kindsmissbrauch durch den Leiter der Mädchenriege Schaffhausen - es fehlten Ansprechpersonen]

Über eines haben viele einstige Heimkinder bis heute kaum gesprochen: sexuelle Übergriffe. Als Zwölfjährige darf Karin Bürgisser, die damals im Töchterinstitut Schaffhausen wohnt, im benachbarten Dorf den Kunstturnunterricht besuchen. Einmal fährt der Leiter der Mädchenriege sie zurück. «Unterwegs hielt er an und vergriff sich an mir.» Zurück im Heim, gab sie bekannt, sie werde nicht mehr ins Kunstturnen gehen. Den Grund dafür hat sie niemandem erzählt. Heute sagt sie: «Wem hätte ich das melden sollen? Der Heimleiterin? Dem Jugendstaatsanwalt? Der Mutter, die kaum je zu Besuch kam? Mir hätte ja sowieso niemand geglaubt.»

In der Nacht ins «Chämmerli» geschleppt - [der "Waisenvater" in Winterthur verübt sexuellen Kindsmissbrauch in der Kammer]

Eveline Kuster erzählt regungslos die Geschichte, die nicht einmal ihr eigener Sohn kennt: Das Mädchen ist neun Jahre alt, eines Nachts steht der Waisenvater, der sie regelmässig im «grünen Gang» windelweich schlägt, neben ihrem Bett. Er weckt sie und flüstert ihr zu, sie müsse mitkommen. Aus dem Tiefschlaf gerissen, versteht das Mädchen nicht, was vor sich geht. Der Waisenvater geht mit ihr in ein kleines Zimmer nebenan. Niemand sonst im Heim weiss, was sich hinter dieser Tür verbirgt. Niemand hat einen Schlüssel. Nur der Waisenvater. Er nennt das Zimmer «s Chämmerli». Darin steht ein Bett, sonst nichts. In dieser Nacht berührt er das Kind intim, es muss ihn befriedigen, übergibt sich dabei. Fast 50 Jahre später sagt die Frau: «Ich werde den Geruch, das Stöhnen und die Stimme nie in meinem Leben vergessen.»

«Ich hatte mich daran gewöhnt, atmete tief ein, wusste, dass es nach ein paar Minuten vorbei sein würde.»
Margot Heutschi, wegen Bettnässens geprügelt

Alle wussten davon, niemand tat etwas - [der "Waisenvater" in Winterthur vergewaltigt ein Mädchen 4 Jahre lang in der Kammer - Waschzwang und schwerste Lernschwierigkeiten]

Doch das Schlimmste steht ihr [Eveline Kuster in Winterthur] noch bevor. Einige Wochen später steht der Waisenvater wieder neben ihrem Bett, sie muss mit ins «Chämmerli». Er vergewaltigt sie. Ihr Blick versteinert, wenn sie erzählt. «In dieser Nacht ging ein Wandel in mir vor.» Eveline duscht sich in der Folge oft, schrubbt sich immer wieder blutig, will den Geruch des Waisenvaters loswerden. Vergeblich. Immer wieder steht er nachts neben dem Bett, befiehlt sie ins «Chämmerli». Über vier Jahre dauert die Pein. Eveline Kuster zieht sich von allen Heimkindern zurück. Sie wird aggressiv, verweigert das Essen, übergibt sich immer wieder. Sie wird mager, sehr mager. Am Abend hat sie Angst vor dem Einschlafen, in der Nacht Alpträume. Ihrer Aggressivität lässt sie in der Schule freien Lauf, prügelt sich mit den Knaben, wird zur Einzelgängerin. Immer wieder muss sie die Klasse wiederholen, gilt als schwierig. Als sie die Schule verlässt, hat sie gerade mal die fünfte Klasse beendet.

[Der "Waisenvater" von Winterthurs Waisenhaus wird denunziert - aber darf "weitermachen" - und dann im Kinderheim Freienstein]

Wenn der Waisenvater sich sexuell an Eveline Kuster vergeht, hat sie dafür eine Woche Ruhe vor dem «grünen Gang». Doch dann prügelt der verheiratete Vater von acht Kindern sie weiter. Einmal steht plötzlich eine Angestellte im Keller, der Waisenvater hatte vergessen abzuschliessen. «Alle wussten, was der grüne Gang ist», sagt Eveline Kuster. «Die Angestellten, seine Frau, mein Vormund. Niemand hat etwas gegen den Waisenvater unternommen.» Zweimal wird sie mit einem gebrochenen Arm ins Spital eingeliefert. Es kommt zu einem Gerichtsverfahren. Eveline Kuster wird vorgeladen und muss aussagen. Auch zu den sexuellen Übergriffen. «Ich hatte das Gefühl, niemand glaubt mir.»

Kurz danach wird Eveline Kuster in ein anderes Heim versetzt, später kam sie in die geschlossene Erziehungsanstalt «Lärchenheim» im appenzellischen Lutzenberg. Was sie damals nicht wusste: Der zuständige Winterthurer Stadtrat liess Mitte der sechziger Jahre Vorfälle im Waisenhaus wegen «Missbrauchs des Züchtigungsrechts» untersuchen. Schliesslich verbot die Behörde dem Waisenvater sogar «jedwelche körperlichen Züchtigungen» (siehe nachfolgender «Hintergrund»). Trotzdem konnte er unbehelligt weiter Kinder missbrauchen. Weshalb er nicht seines Amts enthoben wurde, ist unklar. Aktenkundig ist nur, dass der Waisenvater 1967 seine Stelle selbst kündigt – er wechselt als Heimleiter ins evangelische Kinderheim in Freienstein. Dort bleibt er nur zwei Jahre. Nach seinem Abgang heisst es im Jahresbericht vielsagend: «Das Erziehungsheim hat kaum je so grosse Erschütterungen erlebt und ist kaum je durch solch grosse Schwierigkeiten gegangen.» Die Rede ist von «mannigfachen Problemen», von «Gottes Fügung» und von «Schicksal». Was genau vorgefallen ist, wird mit frömmelnden Worten verwedelt.

[Der psychische Schaden bei Missbrauchskindern: kaum noch Liebesfähigkeit]

Die Jahre im Heim liessen Menschen zurück, die in ihrem Innersten verletzt sind, auch heute noch. Menschen, die sich ihrer Kindheit und Jugend beraubt fühlen und sich entwurzelt vorkommen. Die meisten haben lange gebraucht, bis sie sich gegenüber anderen öffnen konnten. «Wärme habe ich nicht erfahren als Kind, Liebe schon gar nicht», sagt die 60-jährige Maria Magdalena Ischer. «Ich musste mein Herz verschliessen und hart werden lassen, um die Demütigungen ertragen zu können. Als ich mich das erste Mal richtig verlieben konnte, war ich 50 Jahre alt.»

Eine lauwarme Entschuldigung - [Einweisung in eine geschlossene Erziehungsanstalt "Lärchenheim" ohne Straftat in Schaffhausen]

Auch Karin Bürgisser ist die Vergangenheit nicht losgeworden. Auch wenn sie jahrelang versucht hat zu verdrängen. Auch sie, die wie Eveline Kuster nie etwas verbrochen hatte, landete in der geschlossenen Erziehungsanstalt «Lärchenheim». «Mit dieser Geschichte war für mich das Leben gelaufen, bevor es richtig begonnen hatte.»

Vor einigen Jahren wollte Karin Bürgisser ihre Akten einsehen. Um zu verstehen, weshalb sie ins Heim gesteckt wurde, weshalb sie bei einer Strafaktion in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde. Wieso sie dort wie ein Tanzbär Salto und Spagat vorturnen musste, um mit einer Zigarette belohnt zu werden. Nach langem Kampf erhielt sie 2004 vom Kanton Schaffhausen eine lauwarme Entschuldigung: «Der Regierungsrat entschuldigt sich bei Frau Bürgisser in aller Form für die aus heutiger Sicht unkorrekte Behandlung im Zusammenhang mit der Versetzung in die geschlossene Station F. Der Regierungsrat (…) wünscht ihr auf dem weiteren Lebensweg alles Gute. Leider ist es nicht möglich, Frau Bürgisser für dieses erlittene Unrecht zu entschädigen, da eine rechtliche Grundlage fehlt.»

[Einige der Heimkinder schaffen den "Weg nach oben"]

Hart sind die damaligen Heimkinder geworden, auf eine schon fast unheimliche Art. «Mit der Zeit machten mir die Prügel nichts mehr aus, ich spürte keinen Schmerz mehr.» Eveline Kuster kann nicht mehr weinen, die Tränen sind ihr ausgegangen. «Wenn ich mich heute beim Kochen in die Finger schneide, fühle ich nichts.»

Viele der ehemaligen Heimkinder haben den Rank nie recht gefunden. Manche aber haben es geschafft. Wenn auch auf Umwegen. Margot Heutschi begann mit 20 eine Ausbildung zur Pflegerin. Sie ackerte. Mit 24 wog sie nur noch 39 Kilo. «Ich war damals näher am Tod als am Leben.» Eine zehnjährige Psychoanalyse rettete sie. In den ersten zwei Jahren brachte sie kein Wort heraus, schrieb nur ihre Träume auf. «Ich war wütend, dass ich jemals auf die Welt gesetzt worden war.» Sie floh vor ihrer Geschichte in den Sport, lief sogar den New-York-Marathon. Dann die Heirat mit 35. Sogar Gemeinderätin wurde sie. Heute wirkt sie robust, sie lacht sogar ab und zu, redet versöhnlich.

Auch Willy Mischler hats geschafft. Nach neun Jahren in Laufen kam er für vier Jahre ins Kinderdörfli Rathausen. 1973, mit 15, konnte er es verlassen. «Ich schwor mir: Ich lasse mein altes Leben zurück», erzählt er. Mischler hatte Glück. Konnte Maurer lernen, sich weiterbilden und hocharbeiten. Heute ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann. «Mir gehts gut», sagt er. Was aber bleibt, sind plötzlich auftretende Atemprobleme. Unvermittelt bleibt ihm die Luft weg, die Ärzte haben keine Erklärung dafür. Mischler: «Manchmal habe ich den Wunsch, den Leuten von damals ins Gesicht zu sehen und sie zu fragen: ‹Warum? Warum habt ihr das mit uns gemacht?›» Er atmet tief durch, Willy Mischler, den die Ordensschwestern immer wieder kopfüber ins Wasser steckten. Er hat gelernt, die Luft anzuhalten. Bis vor ein paar Jahren schaffte er fast zwei Minuten.

*Name geändert

HINTERGRUND
Die Aufarbeitung beginnt – und Winterthur entschuldigt sich

Endlich kommt Bewegung in die Institutionen, die für Miss­bräuche an Heimkindern mitverantwortlich waren. Die Barmherzi­gen Schwestern vom heiligen Kreuz, die Ingenbohler Schwestern, haben mit der Aufarbeitung begonnen. Provinzoberin Marie-Marthe Schönenberger sagt: «Wir durchforsten unsere Archive und sind dabei, Schwestern zu befragen, die damals in Heimen arbeiteten.» Und: «Wir bieten ein persönliches Gespräch und sind auch bereit für eine Entschuldigung.»

Vielerorts ist die Aufarbeitung allerdings nicht einfach. Einst Verantwortliche sind tot, Akten gingen verloren, Institutionen wurden geschlossen oder umorganisiert. Auch die Heilsarmee stellt sich ihrer nicht immer ruhmreichen Geschichte. «Die Heils­armee ist bereit, sich im gegebenen Fall bei betroffenen Personen zu entschuldigen», sagt Sprecher Martin Kün­zi. Er gibt aber zu bedenken, es sei schwie­rig, heutige Massstäbe in der Erziehung auf damals anzuwenden.

Konfrontiert mit den Recherchen des Beobachters, liess in Winterthur Stadträtin Pearl Pedergnana die Situation im damaligen Waisenhaus abklären: Der Waisen­vater war brieflich mehrmals gemassregelt worden. Weshalb er nicht entlassen wurde, ist unklar. Pedergnana will sich im Namen der Behörden bei Eveline Kuster formell entschuldigen. «Was damals im Waisenhaus Winterthur passiert ist, ist eine ­Tragödie. Diese Frau hat Unrecht erlitten, dafür entschuldigen wir uns.»

Kommentare

    • 13.09.2010 03:18 Uhr  - [die Justiz von heute ist nicht anders als die Angestellten im Jugendheim von damals]

      dome

      Die Weichen für die Zukunft werden im Kindesalter gesetzt, sagt man ja. Doch wie wahr und tief greifend diese Aussage tatsächlich ist, dessen sind sich leider die wenigsten bewusst. Absolut kein Bewusstsein dafür scheint bei jenen vorhanden zu sein, bei welchen es am notwendigsten ist. Und dabei spreche ich nun von all den stattlichen Institutionen, begonnen beim Jugendamt und endend bei der Justiz. Denn solange wir Bürger bereits bei den kleinsten Vergehen, gnadenlos von der Justiz zur Verantwortung gezogen werden, können Behörden machen was sie wollen, ohne dabei jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch ich wurde bereits im Alter von 3 Jahren in das erste Kinderheim verfrachtet und "durfte" anschliessend eine Kindheit verbringen, welche zu Recht als Hölle auf Erden bezei...

    • 18.07.2010 13:46 Uhr [schnarchende Zimmermitbewohner lassen einen nicht schlafen - und das wurde bestraft - die Kinder warteten, bis die Angestellten schliefen und gingen dann heimlich auf Toilette]

      j.k.

      im badezimmer schlafen wenn man nicht ruhig war. man konnte auch nicht immer ruhig schlafen den was will man machen wenn der zimmermitbewohner schnarcht!?darum wurde man bestraft!! um auf die toillete zu gehen mussten wir noch mit 13 jahren fragen und sie konnten uns auch dies verweigern weil man erst auf der toillete war.später stellte sich heraus dass ich eine blasenentzündung hatte,wurde aber nie ernst genommen.ich blieb manchmal stundenlang wach bis die erziehre schlafen gingen.und dann konnte ich endich auf die toillete,ohne angst haben zu müssen dass ich bestraft werde. ach ich könnte noch soooo viel schreiben und hoffe das dies auch mal publiziert wird damit ich mit meiner vergangenheit abschliessen kann.leider gibts auch noch heute solche fälle in diversen heimen :-(

    • 18.07.2010 13:38 Uhr [die Heimangestellten gehören in die Hölle - Schläge, Haare reissen, Badewannenstrafe, Essen stopfen, schlafen ohne Essen, Essensreste werden später kalt aufgetischt, Puppenkleider der Puppe des Heimkindes werden nach Afrika gespendet]

      j.k.

      wenn ich so zürück denke müssten alle erziehrenden in die hölle kommen. sie haben uns geschlagen,an den haaren gerissen, ein kind wollte etwas nicht essen wurde gepackt in die bade wanne gedrückt und das esssen wurde hinein gestopft. wenn wir zu spät nach hause kamen mussten wir ohne abendessen ins bett.auch wenn jemand etwas nicht aufgegessen hatte wurde das essen kalt zum zvieri aufgetischt,dann zum abendessen und schliesslich zum frühstück.es gab nichts anderes bis man es aufgegessen hatte.ich bekam von meiner mutter für die puppe ein selbst gestrickten pullover.den musste ich weggeben mit der begründung kinder in afrika hätten dies nötiger weder ich!!!das war grauenhaft,sie können sich ja vosrstellen wie einem dabei geht.auch musste man des öfteren mit der matraze im b...

    • 18.07.2010 13:32 Uhr [Kinderheim "Paradies" in den 1990er Jahren - verlogene Heilsarmee - Betzwang mehrfach am Tag - Psychoterror]

      j.k.

      mit 6 jahren kam ich in den 90er jahren ins kinderheim paradies,paradiesisch war es jedoch nicht. dazu kam noch das es von der heilsarmee geführt wurde.eigentlich habe ich nichts gegen den glauben,aber die heilsarmee ist ein verlogenes misstück. leider kann ich dies nicht anders formulieren. man denkt dass sich in den 90er jahren vielen was erziehungsmethoden betrifft verändert hat,dem war leider nicht so. wir mussten vor jedem essen und nach dem essen beten inklusive andacht am morgen und das täglich.wir machten dies natürlich,schliessslich wurde uns beigebracht dass nicht gläubige zum teufel in die hölle kommen würden. auch wenn wir lügen werden wir in die hölle kommen,darum immer unsere sünden von jesus christus vergeben lassen.

    • 22.07.2010 11:03 Uhr [die Mutter ist gefühlslos und eine Schlägermutter, weil die Mutter aus dem Kinderheim "Lärchenheim" kommt]

      Julia B.

      Teil 2... worden bin. Meine Mutter hatte keine gute Kindheit an sich, dann die Erfahrungen aus diesem Lärchenheim und ich waren wohl schon viel für ein junges Leben um da gefühlsmässig eine Mauer zu bauen. Denn sie kann bis heute mir gegenüber keine guten Gefühle entgegenbringen. Sie sieht in mir das "Böse" sozusagen. Leider war meine Kindheit auf Grund ihrer Erfahrungen auch nicht von Liebe geprägt. Es gab viel Gewalt und noch mehr psychischen Missbrauch. Ich bin heute eine fast 45 Jahre alte Frau und habe mich mit meinem Inneren viele Jahre auseinandergesetzt um aus mir heraus "glücklich und frei" von äusseren Umständen zu werden. Das bin ich. Doch mein Verständnis für meine Mutter wird mit diesem Artikel noch grösser als es bislang schon war. Sie hatte bis jetzt nicht...

    • 14.07.2010 08:31 Uhr [geplagt im Kinderheim "Lärchenheim" in Lutzenberg]

      Julia B.

      Danke! Gestern kam mir einfach so der Gedanke mich über das Mutter-und Kind Heim Lärchenheim Lutzenberg im Internet zu informieren. Vielleicht gibts was. Ich wusste vorher von dem erst geschriebenen Artikel nichts.Ja meine Mutter nannte es immer Mutter-Kind Heim. Ich bin Mitte der 60er geboren von meiner damals 17 Jahre alten Mutter. Mit ihr war ich eben in diesem besagten Heim. Selten erzählte sie mir von dieser Zeit, nur hin und wieder kleine Bröckchen, dass daraus schliessen liess das es da nicht ganz so sauber immer zuging. Doch nie hatte ich bisher den Eindruck dass es ziemlich extrem ablief.Ich weiss nur dass meine Mutter nach ihrer Heirat von einer der netten Pflegerin aus dem Lärchenheim angehalten wurde mich doch zu sich zu holen da ich von einer anderen Pflegerin geplagt...

    • 22.07.2010 11:03 Uhr

      Walter Emmisberger [Heimkind mit Platz auf dem Bauernhof - und die Bauern erhalten von den Behörden noch Geld dafür]

      Mit ca. 12 Jahren kam ich weg von der Pfarrersfamilie auf einen Bauernhof. Dort musste ich noch härter arbeiten und die Schule wurde zur Freizeit für mich. Einmal fragte ich die Bauersfrau ob ich auch an einem Schulfreien Nachmittag ins Schwimmbad gehen dürfte. Sie antwortete nur ob ich überhaupt wüsste wieviel ich sie koste im Tag. Als ich erwachsen war erfuhr ich das die Bauern noch Geld erhielten weil sie mich zu sich nahmen. Heute bin ich verheiratet mit einer lieben Frau und wir haben zusammen zwei Schätze von Töchtern, welche ich nie geschlagen oder angebrüllt hatte.

    • 22.07.2010 11:03 Uhr

      Walter Emmisberger [terrorisierte Waisenkinder bei Pflegeeltern einer reformierten, schweizer "Pfarrersfamilie" - kleine Vergehen werden mit Kellerstrafe oder Besenkammer geahndet]

      Bin heute 54 Jahre alt lese in Zeitschriften und sehe im Fernseh immer mehr Berichte über Verding- und Waisenkinder.Misshandlungen und diktatorische Erziehungen welche man früher in den Kinderheimen durchführte, wurden aber auch bei Waisenkinder welche bei Pflegeeltern waren verwendet.Auch ich war ein Waisenkind und wuchs bis 1962 in einem Kinderheim auf. 1963 nahm meine 22 jahre ältere Stiefschwester mich für ca. ein Jahr in ihrer Familie auf, bei ihr war es die schönste Zeit meiner Kindheit. Dann kam ich zu einer reformierten Pfarrersfamilie wo ich hart arbeiten musste. Wegen nichts oder einer Kleinigkeit wurde ich im dukeln Keller oder in der finsteren kleinen Besenkammer stundenlang eingesperrt. Momentan möchte ich nicht mehr schreiben was sonst noch bei diesen Pfarrersleut...

    • 04.06.2010 16:56 Uhr [Folter in Heimen mit Stromstössen]

      R. Lang, Basel

      Die Folterbeschreibung der Heimkinder von C.M im Beobachter Nr. 11/2010 hat mich sehr erschüttert. Zwei spontane Gedanken dazu möchte ich noch äussern. Ich vermute, der Onkel benutzte die Decke nicht sosehr als Schutz vor dem Urin, sondern um sich selber vor den Stromstössen zu schützen, und „das Opfer schreit wie am Spiess“ könnte vielleicht darauf hindeuten, dass eine der Elektroden nicht seitlich sondern unten in der Mitte angebracht wurde, was die Schmerzen auf ein vielfaches steigern konnte.

    • 23.05.2010 13:07 Uhr [Terror im schweizer Waisenhaus Rorschach bis zum sexuellen Missbrauch - die "Waisenhäusler" zählen nicht]

      poldi.r@bluewin.ch

      Die Jugendzeit im "Waisenhaus" in Rorschach war sicher sehr streng, die unschönen Dinge (körperliche und seelische Gewalt, sexuelle Überfgriffe, etc.) passierten jedoch durch Aussenstehende (Fürsorger, Lehrer, usw.), ein "Waisenhäusler" war ein "unwertes Nichts", ein Objekt. Die Ingenbohler - Schwestern während meines >10- jährigen Aufenthaltes behandelten uns (mehr oder weniger) korrekt, diejenigen davor sollen ihre DOMINAnz an den über 40 Kindern ausgelebt haben.

    • 21.05.2010 17:35 Uhr [überflüssige Heimeinweisungen geschehen in der Schweiz auch heute noch (2010) - und der Vater soll das auch noch bezahlen]

      Richard

      Noch heute werden viele Kinder meist auf Antrag von Sozialarbeiterinnen auf den Jugendsekretariaten in Heime gesteckt, wo sie härtere Überlebensstrategien entwickeln müssen oder untergehen. Dabei wäre die Familienhilfe oft für alle Beteiligten besser und erst noch viel kostengünstiger. Ich habe als Vater zehn Jahre für das Sorgerecht meiner Tochter gekämpft (die Mutter war heroinabhängig). Doch statt das Kind mir zuzusprechen, haben es die Behörden lieber in Pflegefamilien und Heime gesteckt. Sie dachten, ich handle nicht im Sinne des Kindswohls, sondern aus Rachelust der Mutter gegenüber, was völlig abstrus ist. Der Gipfel: Heute soll ICH dafür Tausende von Franken bezahlen!

    • 19.05.2010 09:11 Uhr [Film "Turi" - die "saubere" Schweiz hat eien dreckigen "Keller"]

      sagra

      Bin selber Sozialpäadoge und habe meine ausbildung in einem Jungenheim gemacht. Ich kann nur sagen zum glück sind diese Zeiten heutzutage vorbei. Jetzt lassen die Sozialpädagogen ihren frust höchstens noch gegenseitig aneinander aus. ich habe aber auch schon heimbewohner kennengelenrt die früher dort waren und auch aus der geschichte des heimes geht hervor das strafen wegen bettnässen etc. lange zeit üblich waren. allen die eine authentische biografische filmdokumentation darüber sehen möchten denen kann ich nur den film "turi" empfehlen. finde es gut dass hier in der ach so sauberen schwiez mal der keller ausgemistet und vergangenheitsbewältigung gemacht wird. wäre vielleicht wichtiger als burka und minarettverbote....

    • 18.05.2010 10:27 Uhr [Bade-Terror im "Töchterinstitut auf der Steig" in Schaffhausen - Terror im Haushaltungsschuljahr bei Schläger-Nonnen - Vormundschaft Basel-Stadt verweigert die Aufkunft, wieso das Kind im Heim gelandet ist]

      Christine R.

      Ich wurde als 12 jährige Halbwaisin im Töchterinstitut auf der Steig Schaffhausen untergebracht (Juli 1968 - April 1970). Der von Karin beschriebene Bade-Terror ist 100% wahr, habe es ähnlich erlebt. Die liebevolle Erziehung war noch viel grauenhafter. Entsprechend war ich eine Querulantin,habe rebelliert. Im darauf-folgenden 1 jährigen Haushaltungsschuljahr bei Nonnen wiederholten sich die Demütigungen erneut. Das traurigste erlebte Kapitel meines Lebens begleitet mich noch heute. Dank Therapie, meinen Tieren und Rente kann ich das Leben meistern. Mir wurde jahrelang nicht geglaubt, wurde alls Lügnerin hingestellt. Ich weiss bis heute nicht, was ich damals verbrochen habe. Die Vormundschaft BS verweigerte mir jegliche Auskunft. Danke Beobachter dass Du das Thema aufgegriffen hast.

    • 17.05.2010 16:34 Uhr [Treffen mit einem Heimopfer, dem es heute gut geht]

      Willy Mischler

      gerechtfertigt? Gerne würde ich mich mit Ihnen und andern Ehemaligen treffen und austauschen. Melden Sie sich doch beim Beobachter-Team.

    • 17.05.2010 15:57 Uhr [Waisenhaus "Mariahilf" in Laufen: Vor allem die Schwester-Oberin war die Schlägerfrau]

      Willy Mischler

      -> C.Strub: Wir waren teilweise Zeitgleich in Laufen (Sie sind also auch auf dem Bild?). Nicht alle Schwestern waren so grausam zu uns. Es war insbesondere die Schwester Oberin (auf dem Bild die Zweite von links, vorne) und die weltliche „Betreuerin“ (in der Mitte des Bildes). Jedoch glaube ich, dass alle Bescheid wussten und die Zustände zumindest tolerierten. Sie sind 5 Jahre jünger als ich und haben die Schwester Oberin und die weltliche Betreuerin nur als Kleinkind kennen gelernt. Wurden Sie nie „geduscht“ und/oder „gedünkelt“? Gemäss Ihrem Beitrag hat es sich „in allen Fällen um einzelne Personen gehandelt, die sich Fehlverhalten haben“! Frage - welch schlimmes Fehlverhalten konnte ein Junge im Alter von 8-12 Jahren gemacht haben, dass solche Strafen gerec...

    • 17.05.2010 15:54 Uhr [Waisenhaus "Mariahilf" in Laufen: es gab genug Ansprechpersonen für die Kinder]

      Willy Mischler

      immer leicht hatten u.s.w. Heute bin ich (zum 2. mal) verheiratet und Vater von zwei lieben Töchter (18 und 23) und ich darf mit ein bisschen Stolz von mir sagen „ich bin ein guter Vater“. Zur Überforderung der Schwestern: Das Verhältnis Kinder/Erzieherinnen war 27/7 (inkl. 2 Küche, rechts auf dem Bild) die grossen Kinder mussten helfen beim putzen und betreuen der kleinen.

    • 17.05.2010 15:52 Uhr [Ansprechpersonen, die Liebe und Zukunft vermitteln, sind wichtig]

      Willy Mischler

      Erst mal vielen Dank an den Beobachter, die Redaktoren und an alle, die sich für dieses Thema interessieren und sich hier äussern. Gerne nutze ich hiermit die Gelegenheit auf Fragen zu antworten. -> vimada: Jeder verarbeitet es auf seine Weise. Bei mir war es so, dass ich nach der Zeit in den Heimen, immer wieder Leute kennen lernte die an mich glaubten und mir liebe schenkten. Sie gaben mir die Kraft an eine positive Zukunft zu glauben. Selbstbewusstsein fand ich beim Sport und Selbstverwirklichung im Beruf, ich bildete mich weiter bis zum dipl. Bauführer. Auf der Gefühlsebene musste ich bis heute lernen, lernen, lernen. Als recht unsicherer Jugendlicher lernte ich (auf unterschiedliche Art) Recht und Unrecht zu unterscheiden. Im Alltag sieht man, dass es auch andere nicht immer...

    • 17.05.2010 08:57 Uhr [einzelne Personen waren die Schläger und die Schlägerinnen]

      C.Strub

      Liebes Beobachter Team, Liebe Opfer, Liebe Leser. Ich selber bin mit 1 Jahr 1963 ins Kinderheim Laufen gekommen. Meine ganze Jugend verbrachte ich im Alten wie auch im Neuen Kindereim. Die Artikel welche ich gelesen und zu Gesicht bekommen haben, haben mich zu tiefst schockiert und traurig gemacht. In keinster Weise tolleriere und akzeptiere ich Misstände und Misshandlungen. Sie müssen aufgeklärt werden. Was mich jedoch am meisten erschütterert hat, ist die Einseitigkeit der Berichterstattung.Formulierungen, welches sich schon schon fast wie Hetzkampanien anhören. Wörter, Tittel und Institutionen werden verhöhnt und globalisierend bezeichnet, wobei es in allen Fällen um einzelne Personen handelt die sich Fehlverhalten haben. Schade! Nicht profesionelle Aufarbeitung. Neues Leid...

    • 17.05.2010 03:59 Uhr [Kinderheim in Hemberg - Rückkehr nach Hause als "dressierter Affe" und abgestumpft]

      Trauma

      Als Kind habe ich auch einige Zeit ("Erholungsaufenthalt") in einem Heim in Hemberg verbracht. Um es kurz zu sagen: Es hat mir gereicht. Als ich aus em Heim zu meinen Eltern zurückkehrte, war ich ein gut dressierter Affe aber menschlich total abgestumpft. Einen kleinen Primarschüler ohne Vorwarnung einfach von den Eltern wegzunehmen und in ein Heim zu stecken wo keinerlei Elternliebe vorhanden ist grausam. Heute bin ich 58 Jahre alt und bringe es immer noch nicht fertig, durch diese Ortschaft zu fahren, so gross ist das Trauma auch heute noch. Eines habe ich mir jedoch in jungen Jahren geschworen: Für meine eigenen Kinder wir es NIE einen Heimaufenthalt geben, egal was passieren wird. Die Zeit hat mir recht gegeben. Heute habe ich einen gut geratenen 24-jährigen Sohn.

    • 16.05.2010 22:37 Uhr [In der Dritten Welt werden Kinder in den Heimen immer noch terrorisiert]

      vimada

      Der Beitrag war echt schockierend! Ein grosses Lob an die Opfer, welche ihre Vergangeheit ablegen konnten, um weiter zu leben! Viele Fragen: Hätte ich das geschaft? In 3. Weltländern, aber auch hier(nicht so extrem) gibt es diese Art von Erziehung immer noch! Wenn ein Kind dies von Anfang an miterlebt, stumpft es ab u. empfindet das vielleicht als normal? Waren die Opfer später auch Mütter/Väter? Wir erlebten sie deren Erziehungsstil? Die Religion würde ich aus dem Spiel lassen. Die Schwestern waren schlicht und einfacht TOTAL überfordert. Aggression ist ein Zeichen von Überforderung. Kein Wunder 23 zu 230. Heute ist der Betreuungsschlüssel zum Glück tiefer! Eine ganz feste liebe Umarmung an die Opfer!

    • 21.05.2010 17:35 Uhr [Warum gibt es in der Schweiz so viele Kinderheime??? und so viele Selbstmorde?? - die Schweiz ist nicht so happy]

      Miss Bousquart

      @Adrian Müller, Ihre Bemerkung: "ist die heutige Zeit etwa besser–wenn sie die Kinder im Mutterleib umbringt?"....Wo ist die Garantie wann ein Frau ein Kind zu Welt bringt, die das Kind eigentlich nicht möchte, dass diese Kind glücklich wird? Dass diese unerwünschte Kind nicht depressiv, drogenabhängig usw wird??? Warum gibt in der Schweiz so viele Kinderheime??? Weil Abtreibung ein Tabu ist. Lieber ein Kind zu Welt bringen, egal wie er/sie aufwachsen wird, hauptsache ist: nicht abtreiben......und warum hat die Schweiz so viele Suiziden?? Warum hat Schweiz so vilel Psychiatern, für wem??? Happy Swiss people??? I don't think so....

    • 16.05.2010 01:35 Uhr [Heute haben Jugendliche mehr Freiheiten mit Kuscheljustiz und erlauben sich alles bis zum Mord]

      Bündner

      @Adrian Müller Ihre Bemerkung: "ist die heutige Zeit etwa besser–wenn sie die Kinder im Mutterleib umbringt?" Ich hatte auch wenn nicht im Erziehungsheim gelandet eine schlimme Jugend und hatte mir damals oft gewünscht nie geboren zu sein, so können Sie sich die Frage selbst beantworten. Ich meine nicht das ist das Problem von gestern zu heute, "früher" gab es übertriebene Strafen heute keine mehr oder "Kuscheljustiz" Heute können manche Jugendliche sich alles erlauben, Autos zu Schrott fahren, Brandstiften, Einrichtungen beschädigen, Leute mit Waffen bedrohen oder gar verletzen oder umbringen manche bekommen dann als Strafe ein Plauderstündchen beim Psychiater. Ich meine die Verhältnissmässigkeit der Strafen ist seit eh und je das Problem, man soll die Fehler nicht ver...

    • 21.05.2010 17:35 Uhr [Den Willen der Kinder brechen war das erste Ziel - und den Opfern wird kaum geglaubt - die Artikel des Beobachter helfen]

      I.M.

      Logisch gibt es nicht nur negative Seiten der Heimgeschichten, immer wieder gab es auch Lichtblicke. Trotzdem ist es wichtig, dass das Schlimme ans Tageslicht kommt, da alles immer tabuisiert wurde und wird. Es gibt nicht nur Horrorgeschichten, selbst normaler Alltag in den Heimen war schlimm genug. In der damaligen Zeit wurde viel getan, den Willen der Kinder zu brechen. Ist man selber betroffen, und will davon erzählen, wird oft bagatellisiert, ausgewichen, oder das Gegenüber relativiert alles, was das Schmerzliche nochmals verstärkt. Deshalb schweigen wir alle lieber darüber. Ich bin deshalb froh, wenn in der Presse mehr darüber berichtet wird. so kann ich den Artikel einfach mal einem Gegenüber zum Lesen geben, und muss nicht selber so viel dazu sagen...

    • 15.05.2010 09:50 Uhr

      Adrian Müller, Heitenried [die kriminellen Machenschaften der Erzieher - aber nicht alle waren so]

      Dass die Harten und zum Teil übertriebenen Machenschaften der Erzieher unserer letzten oder vorletzten Generation in Frage gestellt und verurteilt werden ist richtig aber… Die Kinder wurden, in der damaligen Zeit wenigstens in ein Heim aufgenommen und betreut. Man bekommt den Eindruck, dass die Zeit damals nur „brutal, düster“ und die Kinder, gemäss Artikel vom Beobachter „systematisch gedemütigt, missbraucht und verprügelt“ wurden. Nicht zu vergessen das Foto auf dem Beobachter ist natürlich wieder ein sehr bedenklicher Seitenhieb gegen die katholische Kirche. Schlussfolgerung für den Leser - Kindererziehung - katholische Kirche = Horror Bedenke lieber Leser, ist die heutige Zeit etwa besser – wenn sie die Kinder im Mutterleib umbringt?

    • 21.05.2010 17:35 Uhr [der "Grüne Gang" in Winterthur ist nun ein Abstellplatz - ein Heimopfer in Oberwinterthur ist nun Alkoholiker]

      Beobachter

      Leider bin ich gerade im kinder&jugendheim Oberi, dieser grüne gang hatte ich einmal gesehen, dieser gang ist jetzt geschlossen und wird als Abstellraum gebraucht. In einem Nachbarhaus wohnt ein Mann den ich kenne der war in dieser Zeit in diesem Heim, er hat mir Sachen erzählt aus dieser Zeit, ich habe ihm nicht geglaubt. Bis jetzt. Es ist UNGLAUBLICH was er mir erzählt hat, da gibt es viel mehr als der grüne gang. Trauriger Weise wurde dieser Mann Alkoholiker und zieht mit einem Bier immer in Oberwinterthur umher. Manchmal sitzt er Stunden Weise auf der Wiese und sieht das Heim an.

    • 21.05.2010 17:35 Uhr [Beobachter, bleib dran!]

      Ursula Müller

      Es wurde mir fast schwindlig vor lauter Erleichterung, dass diese Themen „Kinderheime“ und das der „administrativ Versorgten“ endlich an die Öffentlichkeit gelangen! Vielen, vielen Dank an das ganze „Beobachter-Team“ für den unermüdlichen Kampf gegen die damaligen sowie auch heutigen Ungerechtigkeiten in unserem Land. Bitte bleiben Sie dran! Wichtig, wir brauchen ein Umdenken in unserer Gesellschaft! Uschka

    • 12.05.2010 22:14 Uhr [Akteneinsicht wird bis heute verweigert - ehemalige kriminelle Heimleiter sind heute Chef der Behörden]

      Chris

      @m.m. So ist es! Und auch heute noch wird vertuscht und werden Akten verschwinden gelassen... Ich kämpfe nun schon fast 3 Jahre und das ganze geht nun schon über 3 Instanzen und wieder zurück... Es ist teilweise auch so, dass die damaligen für die Vertuschung Verantwortlichen heute in den selben Behörden aufgestiegen sind und heute Chef bzw. Chefin dieser Behörden sind, da wundert es einem natürlich nicht mehr, wenn diese nicht gerne von der Vergangenheit eingeholt werden... Doch eines garantiere ich, ich werde nicht aufgeben, bis ich meine Genugtuung habe oder die Täter unter der Erde liegen!

    • 12.05.2010 20:45 Uhr [Religionen sind das Allerschlimmste]

      Kritischer

      Das Allerschlimmste, was die Menschheit je erfunden hat, sind die Religionen.

    • 12.05.2010 19:56 Uhr [schweizerische "schwarzkatholische" Familie mit Lachverbot und Dauergebet - Schlafen auf dem Holzboden - Schlafunterbruch alle 30 Minuten]

      Markus

      Ich habe Jahrgang 1962 und war nie im Heim aber in einer isolierten schwarzkahtolischen Familie aufgewachsen. Alles war Sünde, immer in die Kirche und zur Beichte, auch zu Hause wurde nie gelacht, dafür dauernd gebetet. Wenn ich mal aufmuckte gab es Liebesentzug, eine Woche nicht reden, oder aussperren. Eine beliebte Strafe meiner Mutter war die Matraze und sämtliche Decken aus meinem Zimmer zu entfernen. Die Nacht musste ich dann bei offenem Fenster auf dem Boden verbringen, was jede halbe Stunde mit Wecken kontrolliert wurde. Es gäbe noch viele Müsterchen und im Gegensatz zu den Heimkindern hatte ich doch sowas wie eine Familie. Trotzdem, ich habe das bis heute nicht verarbeitet. Es sind Narben oder offenen Wunden, ein Leben lang, ein zufriedenes, glückliches Leben nicht möglich.

    • 12.05.2010 18:45 Uhr [die Religion ist das Übel: Zuerst schlagen die religiösen Schläger - und dann beten sie um Vergebung]

      Ernst Lüthi

      Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken: in der Politik und VOR ALLEM in der Religion. Da werden Kinder misshandelt, geschlagen, missbraucht und wenn es auskommt wird es zuerst abgestritten und dann mit gefalteten Händen mit dem Blick zum Himmel um Vergebung gebeten und dann weiter misshandelt, geschlagen und missbraucht und dann uswusf.

    • 12.05.2010 15:26 Uhr [Sexueller Missbrauch musste als Verdingmädchen "hingenommen werden" - Bauern verfügten über die Mädchen - und es glaubt einem niemand bis heute in der "schönen Schweiz"]

      m.m.

      „So eine muss doch nicht meinen, dass sie ein Recht auf ein Recht hat!“ „Wir sind hier in der Schweiz!““ Da geht man mit so einem Lumpenpack um wie es sich gehört. Der treiben wir die Flausen schon aus.“ So viel zum sexuellen Missbrauch, welcher einfach hin zu nehmen war als Verdingmädchen. Man war Freiwild und jeder Bauer konnte über einem Verfügen auf welcher Art auch immer. Wehren hatte keinen Sinn. Man bekam von keiner Stelle Unterstützung oder Hilfe. Selbst als Erwachsene, muss man sich noch Übergriffe gefallen lassen. Wenn bekannt ist, welcher Herkunft man ist und was man war, hat man selbst heute kein Rechtliches Gehör, geschweige denn Vertrauen zum Schweizer Staat.

    • 12.05.2010 15:23 Uhr [die Gemeinden haben auch nach dem Skandal um die Pro Juventute weitergemacht - sie machten alle "die drei Äffchen" - bis heute (2010)]

      m.m.

      Im Übrigen gab es Verdingkinder bis in die Ende 80-gern. Vielleicht sogar darüber hinaus. Es wurde einfach vertuscht. Die Gemeinden gerade in Ländlichen Gegenden haben auch nach dem Pro Juventute Skandal weiter gemacht mit Hilfe der Kirchen und Heimen. Ich glaube nicht, dass man davon nichts wusste und auch nicht, dass man von den Vergewaltigungen und Gewaltanwendungen nichts gewusst haben will. Alle haben die drei Äffchen gemacht! Und ganz viele Eidgenossen und Eidgenössinnen machen die drei Äffchen bis heute! Nichts gesehen, nichts gehört und nichts gesagt!

    • 12.05.2010 14:34 Uhr [Verdingkindern in der Schweiz wurde das Arbeiten mit Schlägen "beigebracht" - Aktenvernichtung ist wahrscheinlich]

      m.m.

      Die Gesellschaft ist nicht unschuldig! Bis heute! Wurden und werden Heimkinder und Verdingkinder benachteiligt. So gibt es heute noch Aussprüche gerade in ländlichen Gegenden, dass solche „Minderwertige“ „Zigeunerbrut“ wie sie von Bauern heute noch betitelt werden, halt mit Schlägen das Arbeiten bei gebracht werden müsse, da sie „Schwierige“ seien. Diese Aufarbeitung wird noch sehr, sehr lange dauern, bis das im hintersten und letzten eidgenössischen Kopf verstanden wird, geschweige dann, verstanden werden will! Wahrscheinlich wird es wieder im Sand verlaufen und es wird nach wie vor etliche geben, die all die Machenschaften verleugnen und Akten existieren plötzlich keine mehr.

    • 12.05.2010 13:59 Uhr [systematische Misshandlung und Demütigung in der Wohngruppe im Heim jeden Tag]

      Tina

      Guten Tag,auch ich war als 3-wochen kleines Baby in ein schweiz.Heim im Aargau mit kath. Schwestern gebracht worden (von der Behörde).Bis 15 lebte als einziges Kind 365 Tage in dieser Institution.7 Mt.war ich bei der leiblichen Mutter.Diese Zeit war negativ noch intensiver.Das erlebte belastet mich bis heute in allen Bereichen.Seit Jahren raten mir Ärzte,Freunde und die inzwischen erwachsenen Söhne,das Erfahrene Publik zu machen.Mehrmals täglich wurde ich auf jede erdenkliche Art und Weise Misshandelt und Gedemütig.Selbst jetzt wo dieses Thema eine grosse Resonanz findet fällt das mir schwer.Vor allem weil ich weiss,dass andere Kinder aus derselben Wohngruppe auch heute noch wie ich unter den traumatischen Ereignissen leiden.

    • 12.05.2010 13:59 Uhr [Heimkinder, die Eltern werden, können sich manchmal nicht beherrschen und geben die Gewalt an die Kinder weiter - und die arschdummen schweizer Behörden helfen NICHT!!!]

      Esther Buchmann

      Es ist noch nicht vorbei... Heim- und Verdingkindergeschichten wirken nach. Mein Schwiegervater Jahrgang 1917 war ein Verdingkind. Seine Verletzungen konnte er ein Leben lang nicht überwinden und gab sie weiter. Als ich mich vor 3 Jahren von meinem Mann trennte und mit den drei Kindern versuchte ein neues Leben auf zu bauen, wurde der Druck und die Angst vor ihm immer grösser. Meine Hilfeschreie bei verschiedenen Behörden versandeten. Bei der Vormundschaftsbehörde Zürich liegen zwei Schreiben - einmal von meinem Anwalt aufgesetzt. Nichts... In Folge verliess ich meine Kinder, weil ich es nicht mehr aushielt und hatte ein Jahr lang keinen Kontakt mehr zu ihnen. Mittlerweilen sehe ich sie sporadisch, aber bis das alles aufgearbeitet ist wird es wohl noch Jahre dauern...

    • 12.05.2010 10:52 Uhr [Prügelheime in der Schweiz bis Ende der 1980er Jahre - und alles wurde gedeckt - auch in öffentlichen Schulen]

      Urs

      ich weiss von solchen Prügelheimen in der Schweiz bis Ende der 80er Jahre, und dass die Heimleiter von Behörden und anderen Institutionen gedeckt wurden. Geprügelt und misshandelt wurde auch in öffentlichen Schulen bis in diese Zeit.

    • 12.05.2010 07:29 Uhr [Beobachter bleib dran!]

      Fredy

      Danke dem Beobachter, dass er auch Missbrauch von Mädchen veröffentlich! Weiter so, es gibt noch viel arme Geschöpfe die heute noch darunter leiden müssen>

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12.5.2010: <Thomas Huonker: "Die Heime brauchten Zöglinge, die Behörden lieferten sie">

aus: Beobachter online; Heft 10/2010, 12.5.2010;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/thomas-huonker_die-heime-brauchten-zoeglinge-die-behoerden-lieferten-sie/
<Text:
  • Otto Hostetter
  •  und Christoph Schilling

Thomas Huonker ist froh, dass die Gräueltaten an Kindern publik werden. Der Historiker über die einstige Praxis in Heimen und Verflechtungen mit Behörden.

Thomas Huonker ist Autor und Experte für die Geschichte der fürsorglichen Zwangsmassnahmen wie Kindwegnahmen und Anstaltseinweisungen.

Beobachter: Waren Prügelstrafen in Schweizer Kinderheimen in den sechziger Jahren noch weit verbreitet?
Thomas Huonker: Ja. Viele Verdingkinder, die oft auch Heimkinder waren, haben mir von solchen Strafen berichtet: aufs Dreikantholz knien, Schläge auf den Hintern wegen Bettnässens, den Kopf unters Wasser drücken. Das war durchgehend Praxis und wird zum Glück jetzt öffentlich. Ich erinnere mich an diese Fotografie von einem Mann mit Hut, der 16 Kinder als Gespann vor eine Walze gespannt hat – wie Ochsen. Das sind zweifellos Heimkinder. Das zeigt die Marotten eines Schweizer Heimleiters. Man fotografierte das noch und fands wahrscheinlich lustig. Es diente einzig der Demütigung und Machtdemonstration.

Beobachter: Warum ist das alles nicht früher bekannt geworden?
Huonker: Die Sozialhistoriker haben diese Missstände noch kaum erforscht. Allerdings ist auch der Widerstand der Heime nicht zu unterschätzen – viele wollen Historiker nicht an die Akten heranlassen. Bei den Jenischen und der Aktion «Kinder der Landstrasse» dauerte es von der Publikation der ersten Fälle 25 Jahre bis zur Akteneinsicht. Daneben gibt es Jubiläumsschriften ehemaliger Heimleiter – aber die zeigen natürlich eine beschönigende Sicht. Die Brutalität, die sexuellen Missbräuche, die in solchen geschlossenen Orten möglich sind, die Bandenbildung unter den Heimkindern, all das kommt nicht vor.

Beobachter: Bandenbildung? Wie in einem Gefängnis?
Huonker: Es gibt neuere Arbeiten, die das belegen. Kinderheime waren kleine Königreiche. Aufnahmerituale, die auf sexuellen Missbrauch hinausliefen, oder krasse Demütigungen waren nicht selten.

Beobachter: Wurden die Heime denn nicht kontrolliert?
Huonker: Bei den staatlichen Heimen bezog sich die Kontrolle aufs Finanzielle, nicht aber auf Missbräuche. Wenn trotzdem solche ans Licht kamen, und das kam vor, gab es Untersuchungen, die auch zur Schliessung von Anstalten führte, wie 1944 beim «Sonnenberg» in Kriens. Spaziergänger hatten beobachtet, wie der Heimleiter Zöglinge verprügelte.

Beobachter: Das waren aber seltene Fälle?
Huonker: Ja. Viel öfter wurde wohl vertuscht und verwedelt. Eine Supervision unter Einbezug der Kinder gab es sowieso nicht. Heimleiterinnen und -leiter waren kleine Könige und wurden selten belangt. Und selbst wenn: Alfred Siegfried etwa wurde in Basel als Lehrer wegen sexueller Übergriffe an Kindern verurteilt. Trotzdem brachte er es später zum Leiter der Abteilung Schulkind der Pro Juventute, nahm Hunderte von ­jenischen Kindern ihren Eltern weg und platzierte sie in Anstalten. Das ist als ­«Kinder der Landstrasse»-Skandal bekannt ­geworden.

Beobachter: Herrschte damals Einigkeit darüber, dass man Kinder prügeln darf?
Huonker: Ja. Das war damals auch noch in der Schule so. Und zu Hause. Erst die «Heimkampagne» von 1970 kritisierte die Zustände in den Heimen, auch die Prügelstrafen. Das war ein militanter Flügel der 68er Bewegung, der zur Flucht aus den Erziehungsanstalten aufgerufen hatte. Viele Heim­insassen türmten tatsächlich und wurden auf dem Land versteckt. Das war nach Carl Albert Loosli in den zwanziger Jahren die bedeutendste Welle der Heimkritik im 20. Jahrhundert.

Beobachter: Wer kam überhaupt ins Heim?
Huonker: Kinder von alleinerziehenden und von ledigen Müttern, von Fremdarbeiterinnen, Jenischen und sogenannt Schwererziehbare. Das Zivilgesetzbuch, das 1912 in Kraft getreten war, erlaubte den Behörden einen leichteren juristischen Zugriff auf solche Kinder. Die Übergänge zwischen Kinder- und Erziehungsheimen waren übrigens fliessend. Wer im Kinderheim nicht spurte, der war sofort «schwererziehbar» und fand sich schnell in einer geschlossenen Erziehungsanstalt wieder.

Beobachter: Arbeiteten Behörden und Heime zusammen?
Huonker: Ja. Es war ein Beziehungsgeflecht zwischen Ämtern und Anstalten. Die Hei­me brauch­ten Zöglinge, die Behörden lieferten sie. Dabei war der Preis nicht unwichtig. Es existierten damals richtiggehende Heimkataloge: Abgebildet waren die Heime mit Anzahl Plätzen und dem Preis pro Kind und Monat. Die religiösen Institute und jene mit grosser Landwirtschaft waren billiger. Je höher der Tagessatz, desto sorgfältiger wurde das Heim in der Regel geführt. Wenn man also jemanden in ein billiges Heim steckte, konnte man davon ausgehen, dass das Regime dort härter war. Der Preis erlaubte eine Steuerung, die nicht zu unterschätzen ist.>

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Der
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Schweiz 26.5.2010: <Misshandlungen in Kinderheimen: Weitere Opfer klagen an>

aus: Der Schweizerische Beobachter online; Ausgabe 11/2010; 26.5.2010;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/misshandlungen-in-kinderheimen_weitere-opfer-klagen-an/

<Text:
  • Otto Hostettler

Als Reaktion auf den Artikel «Düstere Jahre» in der letzten Ausgabe meldeten sich zahlreiche weitere Opfer beim Beobachter.

Musterbrief Akteneinsicht

Betroffene können hier einen Musterbrief herunterladen, damit sie ihre Akteneinsicht beantragen können.
Download Musterbrief (Word; 20kb)

«Ich zweifle»: Willy Mischler

So berichtet etwa C. M. über folterähnliche Strafen im Kinderheim Soldanella in Klosters in den sechziger Jahren. Der Heimleiter (genannt «Onkel») hielt den Kindern Elektroden an den nackten Hintern, seine Frau (das «Tanti») drehte derweil an einem verkabelten Telefon­induktor und erzeugte so Strom. Andere Kinder mussten dem Prozedere im Halbkreis zuschauen.

Wiedergutmachung gefordert

In Winterthur sucht Stadträtin Pearl Pedergnana aufgrund des Beobachter-Berichts Kontakt zu einem Opfer des früheren Winterthurer Waisenvaters. Das tut auch die Frau des schwer beschuldigten, vor einigen Jahren verstorbenen Heimleiters.

Die Ingenbohler Schwestern, die zahlreiche Heime führ­ten, riefen öffentlich Betroffene auf, sich beim Orden zu melden. Willy Mischler, der im Kinderheim Laufen (damals BE) von Ingenbohler Schwestern miss­handelt wurde, sagt dazu: «Ich zweifle, ob es den Schwestern ernst ist, sich ihrer Geschichte zu stellen.» Mischler hatte dem Orden geschrieben – aber auch nach drei Wo­chen keine Antwort erhalten. Er erwartet von den Ingenbohler Schwes­tern eine offene Aufarbeitung ihrer Geschichte und symbolische Wie­dergutmachung für die Opfer. Dazu will er sich nun mit anderen Betroffenen zusammenschliessen.

Im Kanton Luzern hat der Regierungsrat den Geschichts­professor Markus Furrer be­auftragt, die Vergangenheit in den Luzerner Heimen zu untersuchen. Im Fokus steht insbe­sondere das Kinderheim Rathausen.

Wer sich über seinen Heimaufenthalt bei den Ingenbohler Schwestern ­austauschen will: kinderheim-vergangenheit@gmx.ch

    • 28.05.2010 12:31 Uhr

      C.stern

      was sich in vergangenheitsform nun mutig an die oberfläche wagt und in unser bewusstsein dringt, setzt sich tagtäglich - wenn auch in scheinbar neuem kleid - im hier und jetzt und nicht nur in unseren kinderheimen fort. solange er-ziehung nicht auf be-ziehung und ver-trauen gründet, ver-ziehen wir tagtäglich neu, was kein "ziehen" braucht. sowie gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.>


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Der
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22.7.2010: <Kinderheime: "Die Schwester mit dem Stock gab das Kommando"> - Berichte von Ex-Angestellten von Kinderheimen
aus: Der Schweizerische Beobachter; 22.7.2010;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/kinderheime_die-schwester-mit-dem-stock-gab-das-kommando/

<Text: Otto Hostettler

Sie waren Täter und Opfer zugleich: Angestellte in Kinderheimen der sechziger und siebziger Jahre hatten es schwer, wenn sie sich gegen Gewalt an den Kindern wehrten.

[Das Strafsystem im Kinderheim "Albisbrunn" in Hausen am Albis: Prügel als "Vorspeise" - Beten beim Essen - und neue Strafaktionen]

«Alle Angestellten wussten von den Zuständen, aber was sollten wir tun?»: Elisabeth Stadler vor dem Heim Albisbrunn in Hausen am Albis, wo sie als junge Sozialarbeiterin tätig war.

Als Vorspeise gab es eine Tracht Prügel. Beim Essen wurde gebetet, anschliessend ging es im Heimleiterbüro mit neuen Strafaktionen weiter. «Alle Angestellten wussten von den Zuständen, aber was sollten wir tun?», erzählt Elisabeth Stadler. Sie litt unter Schlaflosigkeit, fühlte sich schuldig und überfordert. Sie war verzweifelt über die eigene Machtlosigkeit. Immer wieder wälzte die damals 25-Jährige Suizidgedanken.

Als frischgebackene Sozialarbeiterin hatte Stadler 1966 den Kopf voller Ideale – landete aber in der harten Realität. An ihrem ersten Arbeitsort im damaligen Landerziehungsheim Albisbrunn in Hausen am Albis herrschte Mitte der Sechziger ein Strafsystem, das ihr noch 44 Jahre später Angst macht. Ausgerechnet in diesem Vorzeigeheim, das zuvor jahrzehntelang von Koryphäen der Sozialarbeit geführt worden war und die Entwicklung schweizweit prägte.

Die Kinder vor dem Heimleiter geschützt - [Bettnässer noch als Jugendlicher - und wer Meldung macht, wird gekündigt!]

Als junge Angestellte leitete sie mit ihrem Mann eine Gruppe mit einem guten Dutzend Burschen im Alter von 15 bis 21 Jahren. Ein Vorfall veränderte ihr weiteres Berufsleben: Ein Bewohner hatte eine Lehrstelle als Koch in Aussicht. Sein Makel: Er war Bettnässer. Der Heimleiter sagte ihm kurzerhand, er könne die Lehre nur antreten, wenn er das Bett nicht mehr nässe. Der Bursche liess sich fortan heimlich über Wochen jede Nacht mehrmals von Zimmerkollegen wecken, um rechtzeitig die Toilette zu erreichen. Aus Angst, dennoch ins Bett zu machen, schnürte er sich sogar das Glied zu. War das Bett am Morgen trotzdem nass, schaffte Stadlers Mann die nassen Laken heimlich in die Wäscherei.

Der Heimleiter wusste von alledem nichts. Seiner jungen Angestellten sagte er deshalb schulterklopfend: «Sehen Sie, es geht doch. Man muss nur wollen!» Das war Elisabeth Stadler zu viel. Sie sprach Mitarbeiter auf die Missstände an. Schliesslich wandte sie sich an die Heimkommission.

Was als Aktion des Personals gedacht war, funktionierte aber nicht. Die anderen Mitarbeiter hielten sich zurück, Elisabeth Stadler und ihr Mann standen plötzlich alleine da – und erhielten die Kündigung. Die allgemein gehaltene Begründung lautete: «unterschiedliche Arbeitsauffassung». Am Rand einer Sitzung aber sprach ein Mitglied der Heimkommission Klartext: «Wir seien störende Elemente und müssten aus dem Mitarbeiterstab eliminiert werden.»

Elisabeth Stadler arbeitete nie mehr in einem Kinderheim. Aber sie engagierte sich später während Jahrzehnten in der Freiwilligenarbeit, stellte einen Kinderhütedienst auf die Beine und half, einen neuen Spielplatz zu bauen. Ihr sei klargeworden, dass es damals in allen Heimen nur darum ging, Kinder zu gefügigen Arbeitern, zu «Industriefutter», zu formen.

«Ich weigerte mich, das zu verfüttern» - [Beispiel Kinderheim "Birnbäumen" in St. Gallen - Prügel wegen Kleinigkeiten, eiskalte Dusche gegen blaue Flecken durch die Schläger-Ordensschwester]

Nicht nur Kinder litten, auch Angestellte kämpften gegen sadistische und brutale Heimverantwortliche. Erika B. zum Beispiel. Als angehende Kinderkrankenschwester arbeitete sie 1964 im St. Galler Kinderheim Birnbäumen. Im von Vinzentius-Ordensfrauen geführten Heim war eine jähzornige Schwester tätig. «Den vierjährigen Walterli verprügelte sie wegen Kleinigkeiten, danach duschte sie ihn eiskalt ab, damit sich keine blauen Flecken bildeten.»

[Kotzen aus Angst vor der jähzornigen Schläger-Ordensschwester - Erbrochenes wieder "einlöffeln" - Entdecken blauer Flecken]

Einen anderen Knaben, den eineinhalbjährigen Mario, habe sie jeden Morgen mit Milchbrocken füttern müssen. Er habe jeweils auch artig gegessen – bis die berüchtigte Schwester im Türrahmen stand. Dann kam dem Kleinen alles hoch – aus Angst vor der Ordensschwester. «Sie wies uns an, ihm das Erbrochene wieder einzulöffeln. Einmal zog ich aber den Teller weg, und das Erbrochene landete auf dem Boden. Ich weigerte mich, das dem Kleinen wieder zu füttern. Die Schwester war ausser sich.» Erst als sich die Klagen des Personals häuften und auch eine aussenstehende Kindergärtnerin an den Heimkindern blaue Flecken entdeckte, wurde die Schwester in die Küche versetzt.

Auch nach 50 Jahren plagt das Gewissen - [sadistische schweizer Heimleiter setzen sich gegen alles durch - Kinderheim Courtepin (Kanton Fribourg) mit Schläger-Ingenbohler-Ordensschwester gegen zweijähriges Mädchen]

Nicht immer brachten Angestellte in Kinderheimen die Kraft auf, sich gegen sadistische Heimleiter oder gewaltbereite Nonnen zu wehren. Viele taten, was von ihnen verlangt wurde. Anita Reimann* plagen noch heute Gewissensbisse, wenn sie an ihr Jahr im Kinderheim Courtepin FR denkt. 1961, nachts, wenn die kleine Claudia weinte, stapfte eine Ordensschwester durch den Schlafsaal und packte das knapp zweijährige Mädchen am Nacken – «als wäre es ein Chüngel». Mit der anderen Hand griff sie zwischen die Matratze, zog einen Stock hervor und schlug zu.

[Kinderheim Courtepin: Fesseln von Händen und Füssen von Knaben - schleifen der Knaben in den Keller - Zwangsdusche unter Wasserhahn - die Schläger-Ingenbohler-Ordensschwester gibt das Kommando]

Anita Reimann, damals 17, war Praktikantin im Heim der Ingenbohler Schwestern. Immer wieder musste sie auf Geheiss der Schwestern mit anderen Praktikantinnen Knaben an Händen und Füssen fesseln und in den Keller schleifen. Der heute 66-jährigen Frau zucken die Hände, wenn sie erzählt: «Dort mussten wir die Knaben so lange unter den Wasserhahn drücken, bis sie blau anliefen. Die verantwortliche Schwester stand mit dem Stock in der Hand auf der Treppe und gab das Kommando.»

[Kinderheim Courtepin: Nachttopf wird mit Lederriemen an das Hinterteil gebunden - zum Teil stundenlang]

Rohe Sitten herrschten auch, wenn es darum ging, die Kinder an die Toilette zu gewöhnen. Auf Befehl der Schwestern hatten die Praktikantinnen den Kleinen den Topf mit einem Lederriemen an den Hintern zu binden. Die Kinder mussten in Reih und Glied ausharren, teils über Stunden. Bis sie ihr Geschäft erledigt hatten.

Von Schuldgefühlen geplagt, täuschte Anita Reimann nach einem Jahr schwere Zahnschmerzen vor und konnte so das Kinderheim verlassen. Als sie im Beobachter die Geschichte über damals misshandelte Heimkinder las, fasste sie einen Entschluss: Sie wollte die Ingenbohler Schwestern von damals zur Rede stellen und kontaktierte das Kloster. Die Westschweizer Provinzoberin Schwester Louise-Henri Kolly organisierte darauf ein Treffen zwischen Anita Reimann und einer 89-jährigen Schwester, die damals im Kinderheim Courtepin gearbeitet hatte.

Ein Treffen mit der Peinigerin von damals - [die Schläger-Ingenbohler-Ordensschwester erinnert sich nicht]

So kam es im freiburgischen Kloster zur Begegnung. «Am liebsten hätte ich ihr jetzt zurückgegeben, was sie damals den Kindern angetan hatte.» Auf ihre Art hat Anita Reimann das auch getan. In einer Mischung aus Deutsch und Französisch unterhielten sie sich über die Namen dieser und jener Knaben. Als sie auf die Strafaktionen zu sprechen kam, wollte sich die betagte Schwester nur oberflächlich erinnern können. Doch Anita Reimann schilderte ihr in allen Einzelheiten Episode um Episode. Darunter auch, wie sie als Praktikantin die Knaben unter Kontrolle der nun am Tisch sitzenden Schwester unter den Wasserhahn drücken musste. Immerhin habe die Schwester gegen Ende des Gesprächs gesagt, es tue ihr leid, dass in jener Zeit Unrecht geschehen sei.

Eineinhalb Stunden dauerte die Unterredung im Kloster. Reimann ging danach in die neben dem Kloster gelegene Kirche, begleitet von der Provinzoberin. Wortlos setzten sich die beiden Frauen in eine Kirchenbank, Schwester Louise-Henri Kolly hielt Anita Reimanns Hand.

«Die Begegnung im Kloster war wichtig für mich», sagt Anita Reimann. Und doch: «Abschliessen kann ich immer noch nicht. Ich fühle mich schuldig und von den Schwestern ausgenutzt.» Und eine Frage will ihr nicht aus dem Kopf gehen: «Was ist aus diesen Kindern geworden?»

*Name geändert

Kommentare

    • 04.09.2010 00:37 Uhr

      Walter Emmisberger

      Ich war auch in den 1960er Jahre im St. Galler Kinderheim Birnbäumen. Weiss aber nicht viel von damals. Würde so gern jemanden kennen lernender oder die auch dort war. Oder vielleicht gibt es eine Schwester oder sonst ein Pflegepersonal wo einiges über meine Kindheit Kinderheim Birnbäumen erzählen könnte.

    • 16.08.2010 20:34 Uhr

      Name

      Die Berichterstattung über die Zustände in Heimen mögen der Psychohygiene der damals Betroffenen dienen, bilden aber kaum die heutige Realität ab. Als Mitglied einer Heimleitung bin ich mitverantwortlicher für das Wohl der anvertrauten Jugendlichen und erwarte eine umfassende Berichterstattung. Diese soll das Heimleben der heutigen Jugendlichen kritisch beleuchten und vor allem auch zeigen, welche Auflagen zu erfüllen und welche Kontrollen durch Bund, Kantone und Fachgremien das Kindeswohl heutiger Heiminsassen garantieren. Es lässt sich nie absolut ausschliessen, dass heute noch einzelne Institutionen - als "schwarze Schafe" - die psychische und physische Integrität der Klienten nicht als oberstes Handlungsprinzip beachten. Guter Journalismus zeigt aber auch die heutige Realit

    • 03.09.2010 13:19 Uhr

      WBa

      Hier ist das falsche Bild zum Thema. Im Albisbrunn wurden meines Wissens keine Zöglinge vom Personal misshandelt. Ich war selber in etwa zu dieser Zeit als Zögling im Albisbrunn. Es war kein Zuckerschlecken. Wir waren aber auch keine Sonntagsschüler! Wir sind aber nie körperlich misshandelt worden!! Die Behandlung war hart aber korrekt. WBa

    • 03.09.2010 13:19 Uhr

      Scandinavian Frau

      Mann kann sich fragen warum es so extrem viele Kinderheime in der Schweiz gibt...hat es möglicherweise mit Religion zu tun...warum alle diese Kindern in Kinderheimen nicht bei ihre Eltern bleiben konnte...Ich finde es so traurig dass in so ein "moderne" (???) Land wie die Schweiz, so viele Kinderheime gibt......

    • 25.07.2010 14:57 Uhr

      Matthias Hunn

      Ich fände es mal wunderbar, wenn der Beobachter auch von einem positiven und vorbildlichen Beispiel schreiben könnte. Oder gibt es kein einziges gut geführtes Heim in der Schweiz?

    • 22.07.2010 15:46 Uhr

      Werner A. Disler, Psychoanalytiker, Zürich - [Zustände im Kinderheim Aarburg - wer Meldung macht, wird gekündigt!]

      Als ehemaliger Erzieher in der Erziehungsanstalt Aarburg, wie sie damals noch hiess, erlebte ich katastrophale Verhältnisse zwischen "Erziehern" und Jugendlichen. Damals waren am Abend zwei Erzieher auf ca 80 Jugendliche anwesend. Zu schildern, was dort alles vorgegangen ist, würde den Platz hier bei weitem sprengen. Ich brachte 1969/70 diese unmenschlichen Vorkommnisse an die Öffentlichkeit. Ich gelangte gar nicht erst an die Heimkommission, weil ich wusste, dass hier alles verdeckt würde. Das Resultat war, dass ich entlassen wurde, aber immerhin hatte ich den Erfolg, dass die Schweizer Jugendanwälte niemand mehr nach Aarburg schicken wollte. Dies führte in der Folge dazu, dass man dort endlich ein fortschrittliches Jugendheim mit qualifizierten Mitarbeitern einrichtete. Werner A...

    • 22.07.2010 11:12 Uhr

      Name* - [schweizer Heime sind bis heute (2010) noch kleine Diktaturen]

      Meine Ausbildungszeit bis 2008 habe ich in verschiedenen Jugendheimen verbracht und zum glück kann man ja sagan, dass die Zeiten von damals vorbei sind. Eines scheint sich aber irgendwie nicht geändert zu haben und das ist der despotische Führungsstil der von vielen aktuellen Heimleitern ausgeht. Heutzutage bekommen meinst nicht mehr die Kinder und Jugendlichen ihr Fett weg sondern die Mitarbeiter. Es gibt wohl nirgendwo so psychische ungesunde Arbeitsplätze wie im Heimbereich. Heime sind meist immer noch kleine Diktaturen und werden von ihren Heimleiter eher beherrscht als geführt. Autorititativer (demokratischer) Führungsstil wie er sonst schon überall üblich ist, sucht man meist vergebens was sich auf auch auf die Jugendlichen negativ auswirkt.

    • 21.07.2010 19:09 Uhr

      Chris [die einzige Angestellte im Kinderheim, die Meldung macht, wird gekündigt!]

      Irgendwie kenne ich das auch, die einzige "Erzieherin" die es damals gewagt hatte sich für die Kinder einzusetzen und auf den einen oder anderen Fall aufmerksam zu machen, wo andere Erzieher Kinder ohne Grund prügelten oder sogar einfach wegschauten wenn Verbrechen geschahen, wurde auch einfach gekündigt! Ich habe später versucht sie ausfindig zu machen um mich bei ihr zu bedanken und mich mit ihr zu unterhalten, denn sie ist ja auch so was wie eine Zeugin und es ist wichtig für die Verarbeitung solche zu haben. Leider weiss ich nicht wo sie sich aufhält und wahrscheinlich hat sie nun auch einen neuen Namen angenommen, wird also schwierig werden. Hab von ihr als die gehen musste ein Fotoalbum als Erinnerung bekommen, so werde ich sie wenigstens nie vergessen...>



Der
                  Beobachter online, Logo

Mettmenstetten 16.9.2010: <Kinderheime: Heilsarmee foutiert sich um 82-jährige Frau> - eine Entschuldigung für erlittene grausame Kindheit im Kinderheim "Paradies" in Mettmenstetten kommt erst nach der Intervention des Beobachters
In diesem Fall wurde ein Mädchen in einem Kinderheim namens "Paradies" in Mettmenstetten im Kanton Zürich über Jahre gedemütigt und geschlagen. Haferbrei, den das Mädchen erbrochen hatte, wurde ihr wieder in den Mund gestopft. Am Abend musste sie Socken reparieren, bis die Finger bluteten. Bettnässer wurden systematisch gequält und gefoltert. Und es galt die Drohung, wer etwas erzählt, wird von Geschwistern isoliert. Aber lesen Sie selbst:

aus: Der Beobachter, Ausgabe 19/10;
http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/kinderheime_heilsarmee-foutiert-sich-um-82-jaehrige-frau/

<Text von Otto Hostettler

Die Heilsarmee versprach, sich bei Betroffenen für erlittenes Leid in ihren Kinderheimen zu ent­schul­digen. Eine betagte Frau wartete vergebens.

Wo Klara Zelg* durch die Hölle ging: das «Paradies» in Mettmenstetten - Foto Aus: «Heime für die Schwererziehbare Jugend in der Schweiz», Hg. v. Schweiz. Verband für Schwererziehbare

Jahrzehntelang verdrängte die 82-jährige Klara Zelg*, was sie in ihrer Kindheit im Kinderheim Paradies der Heilsarmee in Mettmenstetten ZH durchgemacht hatte. Als der Beobachter diesen Frühling über Gewalt, Demütigungen und Missbrauch in Kinderheimen berichtete, holte die Vergangenheit sie ein.

«Die Heilsarmee ist bereit, sich bei betroffenen Personen zu entschuldigen», kündigte Sprecher Martin Künzi damals an. In der Folge schrieb die Frau der Heilsarmee in einem Brief, wie sie als Kind im «Paradies» geschlagen wurde, wie ihr der Haferbrei auf brutale Art als Erbrochenes in den Mund gestopft wurde, wie sie Abend für Abend Knabensocken flicken musste, bis die Finger bluteten.Oder wie Bettnässer leiden mussten und die Heimleiterin ihr eintrichterte: «Wenn du in der Schule etwas über das ‹Paradies› erzählst, dann wirst du von deinen Geschwistern getrennt und kommst in eine Erziehungsanstalt.»

Klara Zelg erhoffte sich, dass sich die Heilsarmee bei ihr entschuldigen würde. Doch die Frie­denstruppe Gottes liess die 82-Jährige warten. Die betagte Frau schrieb ein zweites Mal, wieder keine Antwort. Auch nach drei Monaten herrschte Funkstille.

«Gewisse Pendenzen»

Erst als sich der Beobachter einschaltete, fand Heilsarmee-Sprecher Künzi Zeit, sich um den Fall zu kümmern. Jahresabschluss, Ferienabwesenhei­ten und die Flutkatastrophe von Pakistan hätten dazu geführt, «gewisse Pendenzen etwas hinauszuschieben».

Gegenüber dem Beobachter hält die Heilsarmee nun fest, man sehe keinen Grund, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Denn es habe auch eine «sehr positive» Rückmeldung über das «Paradies» gegeben. Zum Fall der 82-jährigen Frau sagt Künzi lediglich: «Die Heils­armee bedauert das Unrecht sehr, das sie in ihrer Kindheit erlitten hat.»

* Name geändert>









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