9. Von
Reitern, Fuhrleuten und Jägern
Reiter
Schimmelreiter
[Tenniken und Zunzgen (beide Region Sissach):
Schimmelreiter erscheinen zu "Feiertagen" in der Nacht]
In der [Jesus-Fantasie]-Weihnachtsnacht reitet aus der
Häftleten [Häfleten?] ein Mann mit einem Schimmel. Er
führt noch eine Kuh mit sich, die er beim Wasenhaus
unterhalb Tenniken verscharrt.
Ein anderer Schimmelreiter erscheint jede Silvesternacht
in Zunzgen und trabt durch den Graben zum Bach hinunter.
Dort wäscht er sich und verschwindet beim zwölften
Glockenschlag wieder im Graben. [S.83]
Transporte (Fuhrleute)
Der Chachelifuhrmann
[Zwischen Reigoldswil und Lauwil verunglückte ein
Kacheltransport - und manchmal hört man Gerassel,
Klappern, Knirschen und Weinen]
Ein Weg von Reigoldswil zum Bergdörfchen Lauwil führt
durch das hübsche, einsame Emlistälchen. Alte Leute
erinnern sich noch, dass früher hier das Bächlein
stellenweise als Weg benützt wurde, an welche Zeit auch
die Sitte älterer Bauern erinnert, beim Heuen die
geladenen Schneggen unten besonders gut "auszuputzen". Auf
diesem früher primitiven Wege soll einmal ein
Geschirrfuhrmann mit seinem Gefährt verunglückt sein. Doch
ist der Verunfallte noch nicht zur Ruhe gekommen; denn zu
gewissen Zeiten hören Bauersleute, die im Emlistälchen
arbeiten, etwa das Gerassel seines [S.83] fahrenden
Wagens und das Klappern der stürzenden Kacheln, ohne dass
sie etwas sehen können. Andere wollen auch das Knirschen der
Räder und das Weinen kleiner Kinder dabei hören. Kurz nach
dieser Erscheinung pflegt sich jeweils starker Gewitterregen
einzustellen. [S.84]
Der Riedbergfuhrmann
[Bretzwil neben Reigoldswil: Ein Geist eines Fuhrmanns hat
Probleme]
Ein Landwirt aus Bretzwil arbeitete an einem schönen
Spätherbsttag allein auf dem Felde. Da hörte er trotz der
weiten Entfernung im Riedberg drüben ein Fuhrwerk. Der
Fuhrmann trieb mit lautem Geschrei und Fluchen die Pferde
an. Die Räder des Wagens knarrten so heftig, dass man
glauben konnte, es sei eine schwere Last geladen. Der Lärm
und das Gepolter nahmen ständig zu und gingen in ein
heftiges Krachen und Getöse über. Der Fuhrmann stiess
zuerst entsetzliche Hilferufe, dann markerschütternde
Schreie aus. Plötzlich war alles wie abgestellt.
Der Bauer wollte zu Hilfe eilen, denn da war sicher ein
Unglück geschehen. Da sah er ganz in der Nähe des
vermeintlichen Ortes am Fusse des Berges zwei Bauern ruhig
pflügen, die wohl von allem gar nichts gehört hatten. Das
kam dem zu Hilfe Eilenden seltsam vor. Er kehrte nach
Hause zurück und erzählte den Vorfall seinen Eltern. Sie
waren gar nicht verwundert, da man früher oft von diesem
Riedbergfuhrmann gehört hatte. Kurz darauf änderte das
Wetter und es herrschte während zwei Wochen stürmische,
von schweren Regenfällen unterbrochene Witterung. [S.84]
Das Fuhrwerk im Bachbett
[Oberdorf (neben Waldenburg): Der Geist eines Fuhrmanns
knirscht und stampft, wo heute ein Bach verläuft]
Die "Schwarzhäuser" unterhalb der ehemaligen Bandfabrik in
Oberdorf kehren sonderbarerweise ihre Fensterfront nicht der
Landstrasse, wohl aber dem hinten durchfliessenden
Frenkenbache zu. Das wundert einen nicht, wenn man weiss,
dass die Strasse bis ins 18. Jahrhundert dort durchführte,
wo heute der Bach läuft. An jene alte Zeit erinnert auch
eine Erscheinung, welche gewisse Bewohner jener Häuser zur
Weihnachtszeit schon beobachtet haben wollen. Da soll man im
Bach deutlich das Geräusch eines fahrenden Fuhrwerkes gehört
haben. Dabei knirschten die Steine des Bachbettes und auch
das Stampfen der schwer ziehenden Gäule war hörbar. [S.85]
Der Grammelfuhrmann
[Hersberg mit dem Berg Grammel neben Liestal: Der Geist
eines Fuhrmanns, der seine Pferde folterte]
Südlich des Dorfes Hersberg bildet ein langgestreckter Berg,
der Grammont (Grammel), die Grenze zwischen den Bännen
Liestal und Lausen. Aus dieser bewaldeten Höhe dringt
manchmal Peitschenknallen und Fuhrmannsgeschrei bis ins
Dörfchen Hersberg herüber. Der Urheber dieses Lärmes ist der
Grammelfuhrmann. Er fuhrwerkt so gewaltig, dass er weit
herum zu hören ist. Gewöhnlich folgt auf diesen Lärm
Regenwetter. "Mer hei der Grammelfuehrme kört, s'git
Rägewätter", pflegt man in Hersberg zu sagen. Von dem
Fuhrmann aber, der in dem Wald sein Wesen treibt, wird
erzählt, er habe zu Lebzeiten seine Pferde gequält und
geplagt.
Einmal wollten ein paar beherzte Burschen dem Spuk auf den
Leib rücken und folgten dem Lärm. Aber [S.85] sie wurden bös
irre geführt, denn immer wieder ertönte das Knallen und das
Hü- und Ho-Rufen an anderer, weit entfernter Stelle. [S.86]
Jäger
Der grüne Jäger
[Waldenburg: Ein Jäger lässt sich immer wieder blicken]
Im gebirgigen, waldreichen Bann des Städtchens Waldenburg
trieb einst "der grüne Jäger" sein tolles Wesen. Überall
wurde er angetroffen. Der eine behauptete, er habe beim
Heuen auf der Studenweid den gefürchteten Nimrod
[Fantasie-König in der Fantasie-Bibel] oder wenigstens seine
grüne Bluse hinter einem Wacholderbusch verschwinden sehen.
Ein anderer wollte ihn im Richtacker hinter einem
Holderbusch beobachtet haben, ein dritter gewahrte ihn im
Gerstel [Gerstenfeld?]. Zu Zeiten, als die Jagd noch nicht
offen war, hörte man auch etwa das Horn des sagenhaften
Jägers. [S.86]
Der tote Jäger
[Ettingen: Ein Jäger starb am Totenweglein - und sein Geist
irrt herum]
In Ettingen wohnte vor vielen Jahren ein Jäger. Nach den
einen [die einen sagten] wurde er ermordet, nach andern nahm
er sich selbst das Leben. Heute noch kann man ihn im Walde
sehen. Mit Vorliebe hält er sich am Totenweglein auf, wo er
aus dem Leben schied. Er ist grün gekleidet und führt eine
Schar kleiner Hündlein mit sich. Gerne lässt er auch um
Mitternacht sein "Hudädä" hören, womit er seine Hunde ruft.
[S.86]
Der Elbisjäger
[Füllinsdorf (neben Liestal) mit Brombeeren am Elbisberg:
Vor dem Regen kommt noch schnell der Geist des Elbisjägers
vorbei]
Eine alte Frau aus Füllinsdorf suchte am Elbisberg
Brombeeren. Ein Gewitter war im Anzug, schwarze Wolken
überzogen den Himmel und es wurde dunkel. Da hörte sie
nahendes Pferdegetrappel und Hundegebell. Schliesslich ritt
ein Mann in alter Rittertracht auf [S.86] einem Schimmel in
unmittelbarer Nähe vorbei. Er war begleitet von einigen
munter kläffenden Jagdhunden. Als die Frau die Erscheinung
näher ins Auge fassen wollte, war sie mit einmal
verschwunden und es setzte ein heftiger Regenguss ein, der
sie zwang, eilends nach Hause zu laufen. [S.87]
S'grau Männli
[Oltingen (Region Tecknau): Jäger schiesst auf Hase - da
steht ein graues Teufelchen - und der Jäger hört auf zu
jagen]
Ein früherer Oltinger Jäger erzählte: "I bi einischt ufem
Astand gsi i der Sennweid obe, grad i der Nöchi vom
Bahnstei. Lang isch nüt cho, aber do undereinischt pürzle
zweu Tier überenander übere, vor mer zue. I ha se für Hase
agluegt, nimme d'Flinte und tätsch! Wo sie der Rauch e chly
verzoge gha het und i will luege, öb wenigschtens ein vo
dene Kärlene ligg, gsehni niene kei Has meh, derfür stoht es
graus Männli vor mer zue, we der Tüfel het's usgseh. En
Augeblick ha-n-is agluegt und es isch mer i Sinn cho, ass
mer einischt eine gseit het: die Graue sy vill schlimmer as
die Schwarze. Item, i ha my Flinte-n-aghänkt, bi d'Eimet ab
und heizue so gschwind as i ha chönne. Und jetz wüsset-er,
worum [S.87] ass i nümme-n-uf d'Jagd goh. I will nit noh
einischt eso öppis erläbe." [S.88]
Der wilde Jäger
[Känerkinden (Region Läufelfingen): Ein Jäger fing Füchse
wegen des Fells - sein Geist kommt nicht zur Ruh]
Droben auf dem Hasenflühli, inmitten mächtiger Tannen und
Buchen, jagte vor Zeiten ein schmächtiges, dürres Jägerlein.
Seine Lust und Freude bestand darin, dass er Füchse fing,
ihnen lebendig den Pelz vom Leibe zog und sie wieder laufen
liess. Zur Strafe für solch frevelhaftes Tun fand er nach
dem Tode keine Ruhe. Sobald sich das Wetter ändert, zeigt er
sich beim Hasenflühli, wo er den Füchsen nachjagt. Im
Dörflein Känerkinden hört man dann die hohe, kreischende
Stimme des Jägers und das Geheul der gequälten Füchse, das
einem durch Mark und Bein geht. [S.88]
Die Teufelsjagd
[Bruderholz (Binningen bei Basel): Der Geist eines Räubers
ist nun als Jäger verkleidet]
In der Gegend des Bruderholzes lebte vor langer Zeit ein
Wilderer. Mit Vorliebe ging er seinem ungerechten Handwerk
nach, wenn die Leute in der [Jesus-Fantasie]-Sonntagsmesse
waren. Zur Strafe muss er nun als schwarzer Mann mit
feurigen Augen, begleitet von einer Schar kleiner Hunde über
das Bruderholz jagen. Beim Käppeli kann man das Hussa-Rufen
dieser Teufelsjagd hören. [S.88]
Die Wilhaulenjagd
[Liedertswil (zwischen Reigoldswil und Waldenburg) mit der
Gemeindeweide mit viel Wild: Der Geist eines Jägers
verkündet ein Unwetter]
Liedertswil ist neben Bretzwil und Waldenburg die einzige
Ortschaft im ganzen Baselbieter Jura, die noch eine
Gemeindeweide besitzt. Zwei Lappen dieser steilen Weide
hangen nach Norden ins stille Weigischtälchen herab, einige
riesige alte Linden stehen darauf. Die beiden Lappen sind
getrennt durch einen mit Wald umstandenen Graben. Das ganze
Gelände ist unruhig. Erdrutsche [S.88] waren dort früher
keine Seltenheiten. Auch munkelte man vor 50 Jahren, es habe
in der Nähe Wildsauen und Bären gegeben. Der Erzähler
erinnert sich nur, dass er als Bube daran glaubte und weiss
noch genau, dass in den kleinen Kalkflühen bei der
Eretsrütti und im Kühweidberg auffallend viele Bussarde und
Kauzen, auch Wildtauben horsteten. Alles zusammen also ein
richtiges Jagdrevier romantischen Charakters, ein Boden für
Sagenbildung.
Der Erzähler war etwa acht Jahre alt und sass eines
Winterabends mit seiner älteren Schwester auf der Kunst,
schon im Nachthemmli, um noch etwas Wärme für das Bett zu
sammeln. Da erschien der Präsident, um mit des Erzählers
Vater, der Lehrer und Gemeindeschreiber war, etwas zu
besprechen. Die Angelegenheit dauerte nicht lange. Und auf
einmal fing der Presi an zu erzählen von einem unheimlichen
Erlebnis, das er gestern abend gehabt:
"Ich habe auf Wil [in Liedertswil] das Vieh besorgt. (Vier
Liedertswiler hatten damals östlich der Wilhaulen grosse
Bergmatten mit Heuscheunen und kleinen Ställen darauf. Das
Heu fütterten sie im Spätwinter an Jungvieh, das sie dort
oben so lang warteten, bis das Futter zu Ende war). In der
Nacht bin ich nach dem Niederhof abgestiegen. Aber es war
unheimlich. Schon im Stall war der Teufel los. Die Tiere
schlugen aus, fuhren hin und her, brüllten, wollten nicht
fressen. Daher blieb ich länger als sonst auf dem Berg. Als
ich ins Freie treten wollte, schlug mir ein Sauwind die
Stalltüre an den Grind [Kopf] und es kübelte nur so vom
Himmel. Ich pressierte. Beim "Höchen Stich" schwenkte ich
rechts ab und lief dem Lichs [Lichshübel] zu [S.89]. Aber
heiliges Donnerwetter, jetzt kam es, jetzt! Auf einmal
konnte ich fast nicht mehr gehen und stehen und es verschlug
mir den Atem. Und nun fuhr von der vordern Wilhaulen ein
fürchterlicher Sturm daher, ich hörte lautes, wildes
Hundegebell, überhaupt einen verfluchten Lärm. Ich denke,
die Welt will untergehen.
Da springen Hunde, grosse und kleine, mit feurigen Augen und
Mäulern links und rechts an mir vorbei, und plötzlich läuft
ein schwarzer, grosser Jäger auch an mir vorüber und ruft
etwas. Verstanden hab ich nichts, ich war wie gelähmt und am
Umfallen. Und dann fing es an zu regnen und zu tosen, viel
ärger als oben bei der Hütte. Die Wilhaulenhunde und der
Jäger verschwanden über dem Lichshübel in der Richtung nach
dem Heimsten (allein und einsam stehender Bauernhof in einer
Mulde östlich des Lichs). Nun konnte ich wieder gehen und
schritt heimwärts. Ich spür' es heute noch in allen
Gliedern."
Das erzählte der Presi. Die zuhörenden zwei Kinder froren
vor Gruseln, ihr Vater lachte leise und sagte: "Aber Presi,
ihr werdet doch das nicht glauben! Oder habt ihr das
wirklich gesehen und gehört?"
Der Presi beteuerte wiederholt, dass alles pure Wahrheit sei
und ging fast ärgerlich fort. Die Kinder fragten ängstlich
den Vater, ob es so was gäbe. Er erklärte, alles sei eine
Täuschung und sie sollten jetzt ruhig ins Bett gehen und
beten. Der Knabe sagte im Bett zur Schwester: "Aber
vielleicht hat der Presi die Wilhaulenhunde und den Jäger
doch gesehen." Die Schwester erwiderte stolz: "Der Vater
wird es denk besser wissen als du." [S.90]
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