Er selbst war Berufsoffizier. Man
hatte den Eindruck, dass die Soldaten ab 1933 doch wieder
etwas in Deutschland zu sagen hatten, und dieser Schritt
wurde befürwortet, ansonsten gab es keine grosse Beziehung
zu den Nazis.
Lichtsteiner: In Zürich gab es das Kabarett
"Pfeffermühle", was war denn da los?
Wolf:
Thomas Manns Tochter Katja hatte ein kritisches Stück über
die Nazis im Kabarett "Pfeffermühle" in Zürich, das die
Nazis so ziemlich aufs Korn nahm. Und der Kommentar von
einem der Gauleiter in Deutschland, das war der Gauleiter
Sauckel, im Volksmund auch der Sauleiter Gauckel,
war: "Die Schweiz sei ein eiternder Bilddarm und müsse so
schnell wie möglich operiert werden.
Lichtsteiner: Wie haben Sie die "Pfeffermühle" in
Erinnerung, Frau Guggenheim?
Guggenheim:
Also man wusste, da wurde ein nazi-kritisches Stück
gespielt, und einmal organisierten wir eine Demonstration
für die "Pfeffermühle", gleichzeitig auch als
Demonstration gegen die NZZ. Wir haben gepfiffen, denn die
Liberalen der NZZ hatten eine Wahlzusammenlegung mit der
Nationalen Front beschlossen.
Lichtsteiner:
"Wie sah denn die Entwicklung der Front in ihrem Raum aus,
Herr Stutz?
Stutz:
Nazis in Luzern waren 1933 dem Boykottaufruf der
Sozialisten ausgesetzt. Verschiedene Nazi-Geschäfte wurden
dann tatsächlich boykottiert und der Ortsgruppenleiter Arens
musste gehen.
Wolf:
Es war also generell ein Widerstand in der Bevölkerung.
Der Bundesrat ab er liess sie gewähren. Andersherum wurden
109 Deutsche wegen Spionage verurteilt, 30 deutsche
Diplomaten ausgewiesen. Dasselbe geschah mit 8 Diplomaten
wegen Agententätigkeit.
Film: Die Tätigkeit der Frontisten (schweizer Nazis) in
der Schweiz 1933
Die Frontenpropaganda in der Schweiz: Auszüge, so genannte
Gautage. Frontenideologe war Paul Lang aus Zürich,
Landesführer war Rolf Henne aus Schaffhausen, der
das Deutschtum auch als "Eidgenossentum" bezeichnete. Die
Fronten waren z.T. schon vor 1933 da. 1933 kam es nach
Hitlers Machtübernahme zum so genannten "Frontenfrühling".
Es begann die Hetze der Demonstrationen gegen Juden und
für den Nazismus in Zürich und Luzern, begleitet von
Anschlägen und Pamphleten.
In Genf war es Herr Oltramare, der Hass gegen die
Roten, Juden und Freimaurer streute. Der Genfer Faschismus
pflegte einen extremen Personenkult um Oltramare und seine
Union Nationale, ca. 1000 Mitglieder, v.a. junge
Mitglieder, die sich aus der Wirtschaftskrise heraus
verführen liessen und so nach Sicherheit und Wohlstand
strebten. Vor allem der äussere Stil war nazihaft, die
Umzüge und die Fahnenhiessungen in der Stadt etc.
Diskussion
Wolf:
Der Frontenfrühling war z.B. in Schaffhausen derart stark,
dass Henne den Munot als Versammlungsort seiner Front
verlangte. Es war also kein Saal in der Stadt Schaffhausen
mehr gros genug. Das Denken war: Es sei eine "Neue Zeit"
angebrochen, jetzt komme der Führerstaat, und Liberalismus
und Marxismus hätten abgedankt, v.a. auch, weil diese zwei
Richtungen sich gegen eine Landesverteidigung wehrten oder
sich nicht genug dafür einsetzten.
Stutz:
In der Innerschweiz fühlten sich die katholischen
Konservativen durch den Frontenfrühling bestärkt. Sie
nahmen aber keine Organisationsformen der Nazis auf. Sie
waren gegen den Antisemitismus [Das Neue Testament NT ist
doch antisemitisch?], unterstützten aber gleichzeitig den
Drang zur autoritären Staatsform. Zum Teil hat man die
Fronten auch einfach nicht ernst genommen.
Däniker:
Mein Vater war nie ein Frontist. Der Parlamentarismus
wurde zu der Zeit von verschiedener Seite kritisiert. Die
Frontisten wurden nicht vor dem Parlament abgewiesen, aber
man hat zu ihnen auch keinen Kontakt gesucht. mein Vater
wurde in den Fichen später als Frontist geführt, was
absolut nicht der Wahrheit entspricht.
Wolf:
"Die Frontisten waren am stärksten in Schaffhausen,
vielleicht nicht nur, weil es ein Grenzkanton ist, sondern
auch als Reaktion auf die sonst extrem linke politische
Führung in Schaffhausen."
Guggenheim:
"Meine Erinnerung an den Frontenfrühling in Zürich: Es gab
eine Demonstration in der Stadthalle in Zürich von den
Kommunisten mit dem Aufruf, man solle die Fröntler nicht
in die Arbeiterquartiere lassen. Und dann kamen die
Fröntler und teilten Schläge aus mit ihren Stahlruten, und
man muss sagen, die Polizei hat dabei eher die Fröntler
geschützt."
Wolf:
"Die Fröntler zeigten eine Bereitschaft zur
Gewalttätigkeit: Bringolf hatte z.B. eine
Ansprache 1935, die von den Frontisten mittels ihrer
Gewaltanwendung mittels Stahlruten gesprengt werden
konnte."
Guggenheim:
"Also, die Front verbreitete an Demonstrationen in Zürich
einen unheimlichen Antisemitismus mit den Schlagworten
"Saujuden raus", "Emigrantenpack raus", "Rote Huren",
"Saukommunisten". Es war auf der linken Arbeiterseite kein
Geld da für Uniformen oder rote Schlipse..."
Wolf:
"Die Versammlung von Bringolf 1935 wurde am nächsten Tag
wiederholt, aber mit der Präsenz aller Mitglieder des
Kantons. So war man stärker als die Frontisten. Das Ringen
zwischen den Frontisten und dem Liberalismus ging
jahrelang. Die Frontisten hatten ihren "Harus"-Ruf, den
Antisemitismus und ihre politischen Feinde."
Stutz:
"Es gab schon Ende 19.Jh. freiheitsfeindliche Gruppen.
1919 gab es die ersten "vaterländischen Verbände" gegen
Streikende, 1925 dann die Gruppe "Für Volk und Heimat"
etc."
Lichtsteiner:
"1940 im September empfängt der Bundesrat für Äusseres,
Herr Pilet-Golaz, drei der führenden Frontisten. wollen
wir und das und das Folgende im Film ansehen."
Film: Der Bundesrat empfängt Frontisten am 10.
September 1940
Frontistenempfang des Bundesrates am 10. September 1940.
Die führenden Frontisten Hoffmann und Keller,
dazu der Frontistendichter Schaffner. Die
Information dazu kam nicht durch die schweizer Presse,
sondern die schweizer Bevölkerung durfte von Deutschland
her erfahren, dass der Bundesrat die Rechtsextremen
empfangen hatte. Der Bundesrat bezeichnete die Fronten als
Trägerin des neuen politischen und sozialen Gedankens.
Diskussion
Wolf:
"Bonjour (Historiker und Basler
Universitätsprofessor) hat in seiner Schweizer Geschichte
der Neutralität den Frontistenempfang als freundliche
Geste gegenüber Deutschland gewertet, auch, um die
Frontisten zu beruhigen."
Däniker:
"So einfach war die Sache sicher nicht, denn die
Frontisten hatten nun die Forderung, mit England die
diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Die Frontisten
hatten zudem enormen Zulauf nach der Niederlage
Frankreichs, und Teile der Bevölkerung wollten sich z.T.
auch arrangieren."
Wolf:
"Die SP mit Bringolf an der Spitze verlangte den
Rücktritt von Pilet-Golaz, denn Pilet hatte doch
gar keine Beruhigung, sondern genau das Gegenteil
erreicht: Der Empfang und dann auch seine Rede waren
indiskutabel. Hoffmann bekam nach dem Krieg ein
Berufsverbot, Keller 14 Jahre Zuchthaus, Schaffner
selbst kam in Strassburg 1944 im Bombenhagel um."
Stutz:
"Die SP war im Parlament. Vereinzelt wurden Stimmen nach
einer Neuorientierung laut. Es herrschte auch eine
Stimmung der Ratlosigkeit. Es war aber sicher kein Wille
da, die Demokratie abzubauen."
Guggenheim:
"Also, es war bei uns ganz klar die Devise, dass dieser
Bundesrat abtreten musste. Es hiess auch im Volksmund:
"Lönd de Pilet go la." Zum Teil hatten wir nur noch Angst,
weil man jetzt nie wusste, was passiert als Nächstes. Wir
wussten, was die meisten Soldaten gegenüber den Fröntlern
dachten: Zuerst schiessen wir nach hinten. Und vor allem
bei der Annäherung zwischen Deutschland und Russland, da
ist uns das Herz fast stillgestanden.
Däniker:
"Aber Stalin hat doch damals schon seine eigenen Leute
umgebracht."
Film: Bildung neuer nazifreundlicher Gruppen in der
Schweiz im Oktober und November 1940 - Eingabe der 200
Am 16.November 1940 gründete sich in der Schweiz ein neuer
"Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz" in Basel
mit einem neuen Programm. Wie kam es dazu:
Am 24.Oktober 190 publizierte die Zeitung "Die Nation" die
Forderungen der Frontisten:
-- Rücktritt der Redaktoren der NZZ, Basler Nachrichten,
Bund (was die Forderung des deutschen Presseattachés war)
-- Einstellen der Nationalzeitung, der Weltwoche und der
Zeitung "Die Nation"
-- Säuberung der Presseagenturen
-- Generalamnestie für alle einsitzenden Frontisten.
Der Bundesrat beriet sich mit der Frontistendelegation und
Bundesrat Etter schlug dann selber eine
Ausschaltung der Redaktoren vor, ebenso das Einschleusen
von neuen, genehmeren Verwaltungsräten. Zudem gab es da
noch die "Eingabe der 200",
die zeigte, wie fatal die Verstrickung zwischen
Grossindustriellen, Politik und Nazismus z.T. war. Der
erste auf der Liste war ein Historiker und Kantonsarchivar
des Kantons Aargau: Hector Ammann.
Diskussion
Wolf:
"Der Volksmund sagte über den Volksbund, dies sei ein
Volksbund für die Unabhängigen von Frankreich und fr die
Abhängigkeit von Deutschland."
Däniker:
"Man war immer für Neutralität, aber auf der Liste waren
vor allem deutschfreundlich gesinnte Leute, die glaubten,
dass die Schweiz durch die kritische Presse gefährdet sei
und die von Hitler einen Angriff vermuteten. Man wollte
nicht für ein paar Journalisten sterben."
Stutz:
Welche Unabhängigkeit der Schweiz meinen Sie denn da, Herr
Däniker? Ihr Vater hat 1941 eine Denkschrift zugunsten
Deutschlands herausgegeben. Welche Unabhängigkeit meinte
er denn z.B. damit?
Däniker:
"Mein Vater war nicht Frontist, aber er lebte in einer
deutschfreundlichen Tradition, und man wollte keine
Auseinandersetzung mit Deutschland nur wegen der Presse."
Wolf:
"Die Presse war doch gar nicht frei. Es herrschte eine
Zensur, eine Nachzensur, wegen der Furcht vor einer
Provokation. So wurde der Wolf, wie Adolf Hitler z.T.
genannt wurde, heilig gesprochen."
Däniker:
"Aber auch in der Tschechoslowakei ist die russische Armee
vor allem einmarschiert, wegen der Presse, nicht?"
Stutz:
"Das ist aber sehr schnell geurteilt, Herr Däniker."
Wolf:
"Also, um General Guisan
noch zu erwähnen: Er war ein Befürworter der Zensur, und
er befürwortete auch die Eingabe der 200."
Stutz:
"Bund und NZZ wurden dann vom Volksbund unterstützt. Die
Eingabe der 200 lief parallel, und die deutsche
Gesandtschaft lässt parallel Druck auf die Presse und auf
die Behördenlos."
Wolf:
"Die Fäden zwischen dem "Volksbund
für die Unabhängigkeit der Schweiz" und dem Druck
auf die Presse von damals sind bis heute noch nicht
aufgeklärt. Der damalige Bundesrat von Steiger hat die
Untersuchung damals vertuscht, bis heute! Die Eingabe der
200 wurde auf die Seite gewischt, und erst 1946 wurden die
Namen veröffentlicht, und so natürlich die Leute dem
Volkszorn ausgesetzt."
Film: Die nazifreundliche Rede von Bundesrat
Pilet-Golaz Juli 1940
Pilet-Golaz hält nach der Niederlage Frankreichs eine
Rede, die für das Nazi-Regime sehr freundlich ist und er
verspricht für jedermann Arbeit, falls die "neue Welt"
vollständig akzeptiert würde, falls die Autorität
entscheiden dürfe. Die Zeit sei reif für eine
"Wiedergeburt", und jeder müsse nun das alte Ich
abstreifen.
Diskussion
Guggenheim:
"Es kam zu einer Empörung im Volk. Es waren Worte der
Frontisten in der Rede, und gleichzeitig liessen diese
Worte die Nazi-Organisationen erstarken."
Wolf:
"Die Rede war für die SP ein Skandal. Das Vertrauen war
verloren. Dabei liess sich wieder das Volk vernehmen, das
sagte" Wir werden nicht nach Deutschland wallfahrten
gehen". Da konnte Bundesrat Etter noch so viele
deutsche Texte lesen."
Guggenheim:
"Die Angst wurde nun wirklich gross, denn das Militär zog
sich ins Reduit zurück, und das Volk war den Hitler-Armeen
im Zweifelsfall völlig ausgeliefert. Es war schlimm."
Wolf:
"Pilet-Golaz war eine völlig ambivalente Person.
1940 wurde er Aussenminister, dann hielt er Kontakt,
relativ klug nach beiden Seiten. Er war kein Verräter,
kein Frontist. Er hat nicht immer die richtigen Worte
gebraucht, war mehr Autokrat als Demokrat. Etter
und von Steiger waren nazimässig am schlimmsten, Stampfli
und Minger symbolisierten den Widerstand. Wobei: Von
Steiger wurde erst ab Dezember 1940 Bundesrat, also
ein Nazifreund."
Stutz:
"1940 kam es zur Demobilisierung, gleichzeitig zur
Offiziersverschwörung, und zwar schon aus dem
Reduitgedanken heraus, dass der Bundesrat nicht standhält.
Der General war dabei der politischen Leitung
untergeordnet. Man hoffte, dass Guisan den Druck
aushält. Die Verschwörung war von Alfred Ernst
angezettelt. Er und andere wurden verhaftet, verurteilt
und einige Tage in Arrest geschickt, mehr nicht. Der
General erkannte schon, auf welcher Seite sie standen."
Däniker:
"Die jungen Leute waren bereit zu allem. Es war noch ein
"Schuss" Jugendlichkeit dabei. Mein Vater hat sich damals
geweigert mitzumachen, denn er war gegen einen
Staatsstreich, gegen Zersetzung. Er hat am 3.Juni einen
Armeebefehl zur Deutschfreundlichkeit herausgegeben und
verschickt."
Wolf:
"Diese Revolte war kein Staatsstreich. Huber
meinte auch: Wenn alles kippt, dann wäre es Pflicht, zum
Kampf anzutreten. Es gab noch weitere Vereinigungen, die
auf der Seite von Ernst standen: der Gotthardbund
und die Abteilung "Heer und Haus", die mit über
600 Vorträgen Widerstand leistete, unter der Leitung von Oskar
Frei, mit dem Leitspruch: "Wir halten fest mit
hartem Grund, auch dann, wenn wir umzingelt sind."
Däniker:
"Es erging von diesen Gruppen die Drohung der
Suspendierung von Bundesräten, und deswegen war man in
anderen Kreisen skeptisch."
Guggenheim:
"In der Zeit ab 1940 mussten die Gegenkräfte einfach aktiv
werden. Ich erinnere mich an eine Versammlung im Volkshaus
mit antifaschistischen Parolen, und auf der Bühne war Rolf
Liebermann mit seinen Liedern. Später hatte ich
wegen meiner Sympatisanz für die kommunistische Partei
immer einen Eintrag in der Fiche. Ich wollte die Schule
für Sozialarbeit machen, die mir verweigert wurde "wegen
meinem linken Dabeisein."
Däniker:
"Es gab dann verschiedene Berichte aus Deutschland, die
gewisse Eindrücke schilderten, die das "Neue Europa" als
Faktum präsentierten, die eine Einpassung in dieses neue
Europa forderten. Guisan hat meinen Vater dann
auch empfangen. Er wollte extra nach dem August 1940 eine
Delegation nach Berlin schicken, nachher kam es
aber anders. Mein Vater kam in eine disziplinarische
Untersuchung, erhielt 15 Tage Arrest und wurde als
Berufsoffizier nicht mehr gewählt.
1946 kam es dann auch zu gewissen Entlassungen, z.B.
Ständerat Mercier, auch von gewissen Unternehmern,
mehr nicht. Der Staatsarchivar Ammann wurde
entlassen, machte dann aber in Deutschland als
Wissenschaftler und Historiker eine neue Karriere.
Studer:
"Guisan hat die Unterzeichner der 200 als
"anständige Patrioten" bezeichnet."
Wolf:
"Es gab viele deutschfreundliche Kreise, z.B. das
Rechtsanwaltsbüro Frick in Zürich. Und man soll
die Arbeitslosigkeit nie politisch ausnutzen. Eigentlich
braucht es immer eine "Aktion Nationaler Widerstand."
========
23.7.1997: Schweiz
1933-1945: Flüchtlingspolitik - Flüchtlinge - "J"-Stempel
- Visas von Botschafter Lutz
aus:
Die Schweiz im Schatten des 3. Reiches; Diskussion mit
Filmbeiträgen; SF DRS 23.7.1997
Filmprotokoll von Michael Palomino (1997)
Diskussionsrunde:
-- Gerhard Riegner, ab 1934 in der Schweiz,
Sekretär des jüdischen Weltkongresses in Genf JWC
-- Alfred Häsler, Aktivdienstleistender, Redakteur
bei der "Tat", der "Weltwoche" und bei "Ex Libris"
-- Charlotte Weber, sie war Lagerleiterin eines
Interniertenfrauenlagers auf dem Bienenberg
-- Jacques Piccard, Historiker, Mitglied der
Historikerkommission, Autor des Buches "Die Schweiz und
die Juden"
Diskussionsleitung: Herr Studer, Frau Marina
Lichtsteiner.
Diskussion
Lichtsteiner:
Was ist heute wichtig, wenn wir diese Problematik angehen?
Piccard:
Die Lernprozesse, so dass die Schweiz offen sein kann und
sich Problemen nicht verschliesst, so dass sie glaubwürdig
ist.
Weber:
Wichtig: Antisemitismus ist heute noch in der Schweiz
vorhanden, Fremdenfeindlichkeit ist genau dasselbe.
Häsler:
Antisemitismus gab es in der Schweiz v.a. ab 1936, und
zwar definiert gegenüber den Juden als Rasse, so dass sie
später nicht zu den politischen Flüchtlingen gehörten.
Riegner:
Man muss nun die Wahrheit erkennen und aus den Fehlern
lernen.
Lichtsteiner:
Die Schweiz war ja das letzte Land, wo die Juden ihre
Gleichberechtigung als Staatsbürger erhielten innerhalb
Europas. Sehen wir uns nun einen Film an, wie sich der
Antisemitismus bei den Frontisten der Schweiz äusserte.
[nicht erwähnt: Die Schweiz war innerhalb Mitteleuropas
das "letzte Land", aber in den "christlichen Staaten"
Spanien und Portugal warteten die Juden noch viel länger
auf die Gleichberechtigung].
Film: Rassistenzentrum Zürich ab 1920er Jahre
Zürich ist Rassistenzentrum. Schon in den 1920er Jahren
kommt es in Zürich zu Massnahmen gegen Juden.
Normalerweise war eine Einbürgerung nach 10 Jahren
möglich. In Zürich wird die Frist für Juden auf 15 Jahre
heraufgesetzt. 1926 wird Zürich zum Vorbild und die
Heraufsetzung auf 15 Jahre auf Bundesebene eingeführt.
Dabei beträgt die Quote der Einbürgerungen von Juden pro
Jahr genau 12.
1933 kommt es nach Hitlers Wahl in Deutschland zu einer
Nazi-Welle in der Schweiz, die sich in der Schweiz
"Frontisten" nennen, mit der Partei "Nationale Front" mit
der Zeitung "Front":
-- mit Hetze gegen die "jüdische Presse"
--
kämpft gegen jüdische Einbürgerungen
-- kämpft gegen "jüdisch-marxistische Vergiftung".
Schon vorher gab es die Hetzschrift "Eiserner Besen" mit
allen Variationen der "Judengegnerei".
Ab 1933 hetzen die Frontisten in Zürich unter Leitung von
Schäppi gegen Juden. Die Juden werden zu Schweizern
zweiter Klasse.
Diskussion
Lichtsteiner:
Beim Vergleich der Zahlen komme ich auf einen jüdischen
Bestand in der schweizer Bevölkerung von damals 5
Promille. Wie ist denn diese Judenfeindlichkeit überhaupt
zu erklären?
Piccard:
Was die Einbürgerung betrifft, ist es politisch zu sehen,
nämlich mit der Bruchstelle vor und nach dem 1.Weltkrieg.
Man hatte plötzlich das Gefühl, die Schweiz werde
überfremdet. Daraus heraus ergab sich eine Feindschaft
gegen das schwächste Glied und das waren die Juden.
Lichtsteiner:
Gegen schweizer Juden oder gegen alle Juden?
Riegner:
Man muss sagen, die Emanzipation der Juden wurde von der
schweizer Regierung nie gefördert. Es war ein so genannter
prophylaktischer Antisemitismus. Man liess einfach nie
zentrale Stellen durch Juden besetzen, denn Juden wurden
immer als Fremdkörper empfunden.
Häsler:
Beispiele dieser Judenfeindlichkeit sind z.B. Hans von
Wyl, antisemitische Studentenbünde oder auch
antisemitische Strömungen in der Kirche. Die Kirche sagte,
es sei Strafe Gottes dafür, dass "Jesus" nicht ihr Messias
sei. Beispiel: Interlaken ab 1936, wo ich wohnte, als ich
merken musste, dass die Geschwister Geismar von
den Frontisten angegriffen wurden, nicht, weil sie Frauen
oder weil sie jung waren, sondern: weil sie Juden waren.
Lichtsteiner:
War denn diese Judenfeindlichkeit schon am Anfang des
Jahrhunderts da?
Piccard:
Einen gewissen Antisemitismus gab es immer, aber am Ende
des 19.Jh. etablierte sich ein neuer Antisemitismus ohne
theologische Begründung, ein so genannter biologischer
Antisemitismus. Antijüdische Tradition beginnt v.a. ab
1349 mit Beginn der Pest, etabliert sich in der Schweiz
dann in den Ständen: Man solle den Judenschwarm und die
Heiden von der Schweiz abhalten.
Riegner:
Man muss sich vorstellen, dass 1936 das Bundesgericht
Entscheide fällte, die besagten: Man darf Meinungen
vertreten, die dafür eintreten für die Abschaffung der
Gleichberechtigung und Abschaffung der Emanzipation. Aber
es war - wie gesagt - auch ein prophylaktischer
Antisemitismus vorhanden: Man lässt sie einfach nicht
hinein, und das hat Wirkung auf die Mentalität der
Menschen. Man schloss die Grenzen und erklärte 1933, die
Schweiz sei nur ein Durchgangsland.
Weber:
Die Juden durften keine leitenden Stellen besetzen. Auch
ich hätte die Lagerleitung nie bekommen, wenn ich Jüdin
gewesen wäre.
Piccard:
Der
Antisemitismus der 1930er Jahre war unterschiedlich.
Propagiert wurde er nur in den Fronten. IN den Parteien
ergab sich eher eine tabuisierte Judenfeindschaft. Man
wollte Deutschland auch keinen Erfolg der Propaganda in
die Hände spielen. Die linken Parteien haben den
Antisemitismus sehr verlässlich bekämpft, auch ein paar
bürgerliche Rebellen, ein paar Rebellen in kirchlichen
Kreisen sowie in Frauenorganisationen.
Riegner:
Was heisst denn bekämpfen: Es wurde schlussendlich eine
Unterscheidung gemacht zwischen politischen und
rassisch-religiösen Flüchtlingen, und diese politische
Entscheidung war eine willkürliche Entscheidung, wofür es
keine Präzedenzfälle gibt. Es ist eine völlige Absurdität.
Häsler:
Es gab auch Antisemitismus in vielen kulturellen
Vereinigungen, z.B. im Schriftstellerverein wurde die
Empfehlung an den Bundesrat gegeben, welche Leute er als
neue Bürger aufnehmen soll und welche nicht.
Piccard:
Dasselbe geschah im "Vaterländischen Verein" und anderen.
Film: Der J-Stempel ab 1938 und seine Auswirkungen
Mit dem Anschluss Österreichs setzte 1938 eine härtere
Verfolgung der Juden in Deutschland und Österreich ein.
Bundesrat Motta befürchtet eine neue jüdische
Flüchtlingswelle aus Österreich. Um Juden an der Grenze
besser erkennen zu können, schlägt die schweizer Regierung
dem NS-Regime in Berlin vor, einen J-Stempel in Pässen von
Juden einzuführen. Deutschland stimmt zu, woraufhin der
zuständige Vorsteher der Fremdenpolizei Rothmund einen
Musterpass verlangt, ob sich der Stempel auch nicht
entfernen lässt.
Diskussion
Lichtsteiner:
Und nun sehen wir, was Bundesrat Villiger vor zwei Jahren
zu diesem Thema gesagt hat, als er sich für die
Rückweisungen an der schweizer Grenze aufgrund des
J-Stempels entschuldigte.
Film: Villiger:
Villiger gibt an, Deutschland habe entschieden, den
J-Stempel einzuführen, und aufgrund dessen seien die Juden
an der Grenze zurückgewiesen worden. Vom schweizer
Begehren für einen Stempel sagt Villiger nichts.
Häsler:
Es ist schon erstaunlich. Man billigt seine eigene
Forderung [...] Schuldanerkennung ist keine Schande.
Riegner:
Das Motiv war ganz einfach: Die Juden aus der Schweiz
heraushalten. Die Folgen für die Juden waren katastrophal:
Dieser Stempel hat den Juden auch den Eintritt in andere
Länder verhindert. Rothmund hat dazu auch klar Stellung
bezogen: Die Juden gelten als Überfremdungsgefahr, und es
gelte, die Verjudung der Schweiz zu verhindern.
Piccard:
Dazu kommt noch Blochers Propagandalüge, die Juden seien
selbst einig gewesen mit der Politik des Bundesrates.
Rothmund stellte die Juden unter Druck. Es war die
Instrumentalisierung des jüdischen Gemeindebundes. Er
legte ihnen nahe, die Kosten für aufgenommene Juden selbst
zu übernehmen. Die Folgen wären nicht absehbar gewesen,
wenn der Gemeindebund diesem Vorschlag nicht zugestimmt
hätte.
Riegner:
Was
hätten sie tun können? Nichts. Die schweizer Juden wurden
unter Druck gestellt, und sie wurden ihrer Ämter beraubt.
Piccard:
Man muss sich natürlich fragen: Wer steckt hinter
Rothmund? Wo war die politische Verantwortung? Es war der
Bundesrat selbst.
Film über antisemitische Praktiken und Flucht: Heinrich
Ungar
Heinrich Ungar: Antisemitismus in der deutschen Schule:
Tintenkleckse - Flucht nach Basel
Es gab illegale Wege, Beispiel Heinrich Ungar aus
Österreich. Er spürte den Antisemitismus schon im
Klassenzeugnis, beim Abschlusszeugnis beste Noten und
trotzdem steht in der Empfehlung, er solle wiederholen,
und alle jüdischen Schüler bekommen einen absichtlichen
Tintenklecks ins Zeugnis.
Die Flucht: Er musste sein gesamten Vermögen abgeben und
den Nachweis erbringen, dass er aus der Armee entlassen
sei. Flucht an den Badischen Bahnhof in Basel,
Grenzübertritt nicht möglich, Rückzug nach Lörrach,
Kontrolle durch Zivilleute, diese bringen ihn zur
Kommandantur, Untersuchung, da beschliessen die
Zuständigen, er dürfe fliehen, weil er "saubere Hände"
habe. Sie zeigen ihm den Fluchtweg durch den Fluss
"Wiese", sagen ihm genau, wann die Patrouille kommt etc.
und so gelingt die Flucht.
Das "Rote Basel" nahm viele Juden auf unter Stadtpräsident
Fritz Brechbühl. 1939 verlangt Bundesrat Baumann die
Ausschaffung von Juden aus Basel. Der Basler Regierungsrat
aber entscheidet, dass die Flüchtlinge bleiben sollen. Das
"Sommercasino" dient als Flüchtlingslager, mit
militärischer Drill-Ordnung mit täglichem Appell
Schwarzarbeit ist streng verboten.
Nach 1945 ist Heinrich Ungar vorerst staatenlos, dann
bekommt er den C-Ausweis. Sein Vater in Wien überlebte
gemäss Heinrich Ungar den Krieg nicht.
Diskussion
Häsler:
Das Naziregime wollte die Juden loswerden, 1. damit
Deutschland so genannt "judenfrei" werde, und 2. damit der
Antisemitismus auch in anderen Ländern steige. 1938 wurden
in Österreich die Juden in Lastwagen an die Grenze
gekarrt, aber nicht nur Juden, sondern auch Leute mit
sozialdemokratischer Vergangenheit und andere.
Weber:
Die Lager in der Schweiz waren für Männer strenger als für
Frauen. Das Personal war militärisch und überhaupt nicht
psychologisch geschult. Ich selber auf dem Bienenberg fand
den Appell schrecklich. Jeder Flüchtling hatte eine
Nummer, also nicht eingebrannt, aber doch schon eine
Nummer, und das wurde z.T. sehr erniedrigend und
diskriminierend empfunden. Ich selbst bin auch bei den
Behörden angeeckt: Ich hielt den Appell nicht strikt
genug, unsinnige Vorschriften habe ich nicht befolgt.
Zum Beispiel war da eine antisemitische Ärztin aus
Liestal, mit der hatten wir viel zu tun. Die entschied
manchmal gegenüber den Frauen falsche Sachen. Da habe ich
die Patienten einfach nach Basel ins Spital geschickt. Das
hat natürlich wieder Mehrkosten verursacht. Ich habe auch
Männer jeweils am Wochenende hereingelassen, das hätte ich
auch nicht gedurft, denn die Familien wurden getrennt,
wenn möglich weit voneinander weg, also: die Männer im
Oberwallis, die Frauen in Basel, und die Kinder im
Appenzellerland usw., eigentlich schrecklich.
Riegner:
Also die Beschwerden von Lagerinsassen sind mir nicht so
wichtig. Das Wesentliche war doch immer, noch mehr Leute
in die Schweiz reinzubringen.
Piccard:
Hier
waren die Praktiken der Kantone gegenüber den Flüchtlingen
sehr verschieden. Eine Zentralisierung des
Flüchtlingsproblems kam erst während des Krieges. Basel
hat dann grossen Widerstand geleistet, St.Gallen auch.
Andere Kantone waren nicht so. Das Ganze war sehr
"föderalistisch".
Lichtsteiner:
War es somit Glückssache, ob man hereinkam oder nicht?
Piccard:
Es war tatsächlich oft eine Frage der menschlichen
Überzeugung der jeweiligen Amtsperson.
Häsler:
Man muss das sich wirklich so vorstellen, dass z.T.
Kantone die Juden derart hassten, dass sie sie im Auto
nach Basel fuhren und am Barfüsserplatz ausluden und man
ihnen sagte: So, hier könnt ihr bleiben.
Film: Der jüdische Flüchtling Fred Wander
Flucht im Vichy-besetzten Frankreich, Flucht Richtung
Schweiz nach St-Gingolph. Es wurde ihm gesagt, er solle
sich dann sofort bei der Polizei melden, dann könne er
sicher bleiben, sonst, wenn sie ihn entdecken würde,
sicher nicht. In der Polizeistation aber wird er gepackt
und sofort in eine Zelle geworfen, dann im Auto mit sieben
anderen an einer Kette im Auto zur Gendarmerie gebracht,
dann weiter an der Kette im Zug bis nach Perpignan in
Zügen verfrachtet. Beim Aussteigen am Bahnhof Perpignan
verstummen alle Menschen um sie. Die Frauen fallen auf die
Knie und fangen an zu beten. Fred Wander [Wagner?]: Das
war das eindrücklichste Bild in meinem Leben, dass jemand
für uns Angekettete auf die Knie fiel und betete. Diesen
Augenblick werde ich nie vergessen in meinem Leben.
Diskussion
Riegner:
Zwischen Sommer 1942 und Winter 1943 wurden rundweg alle
Juden an der schweizer Grenze zurückgewiesen. Bundesrat
von Steiger verkündete "Das Boot ist voll", das rief einen
Protest in der Bevölkerung hervor. Dann kam es zu einer
"Lockerung" der Vorschriften: Kranke, Schwangere, alte und
Kinder unter 16 Jahren durften bleiben, aber immer noch
bei Bezahlung des Unterhalts durch den jüdischen
Gemeindebund.
Lichtsteiner:
War denn da wirklich ein hermetischer Ring um die Schweiz?
Piccard:
Also, ich kann ein anderes Beispiel aus meinem
Bekanntenkreis nennen von einem Juden, der kam auf die
Polizeistation und er wurde gefragt, wie lange er sich
schon auf der Flucht befinde, und er sagte "seit 2000
Jahren". Da fragte man ihn noch einmal und er antwortete
noch einmal "seit 2000 Jahren", und da beschloss man, er
könne bleiben.
Riegner:
Das mit dem Unterhalt, den man ab 1933 selber bezahlen
musste, das war eine absolute Sonderregelung. Keine andere
religiöse Gruppe oder Flüchtlinge mussten das sonst jemals
tun. Natürlich wurden dann Sammlungen durchgeführt, und
freiwillige Beiträge wurden gegeben, aus alter jüdischer
Sitte der Solidarität. Aber der schweizer Staat ging noch
weiter und beschloss 1943 eine Sondersteuer, eine
"Solidaritätsabgabe" für alle Juden. Das ist eine
Diskriminierung. Nirgends sonst gibt oder gab es so etwas.
Das Entscheidende aber war und ist die Schliessung der
Grenze, natürlich mit gewissen Ausnahmen. Die Behörden
wussten, was den Juden drohte. Der Beschluss der Endlösung
hatte Hitler schon im Mai 1941 gefasst, die
Wannseekonferenz diente nur dazu, alle Dienste dafür zu
mobilisieren. Man hat auch von den Erschiessungen im
Osten im Rücken der Ostfront erfahren, das war der Beginn
der Endlösung im September 1941.
Im Sommer 192 kam dann ein Bericht von einem grossen
Industriellen, Eduard Schulte, Chef eines
Bergwerks mit 35.000 Arbeitern. Schulte kam in die Schweiz
und berichtete, dass er im Hauptquartier vom Plan der
Aktionen gehört hätte, die Gesamtheit der europäischen
Juden [der mitteleuropäischen Länder] nach Polen zu
deportieren und dort umzubringen. Das war Befehl der
höchsten deutschen Stellen.
Das Wissen um diesen Plan wurde aber in Bern unterschlagen
und zensuriert. Der Plan wurde den Gesandtschaften von
England und den "USA" unterbreitet, ebenso den schweizer
Behörden. Ebenso wurde Kontakt zum Weltkirchenrat
aufgenommen, um die schweizer Behörden noch einmal zu
informieren. Vorsitzender des evangelischen Kirchenrates
war Alfons Köchlin, und er hat es auch mehrfach
getan und mit von Steiger verhandelt, ebenso mit dem
General.
Häsler:
Ebenso ist zu erwähnen die Mission Bircher. Bircher hat
nachher, als er von der Ostfront zurückkam, 150 Vorträge
gehalten "Zwischen Menschlichkeit und Landesverrat".
Danach wurde ihm die Tätigkeit von Bundesrat Kobelt
verboten. Ebenso berichtete der Assistent von Rothmund, Jetzler.
Am 13.August 1942 jedoch ging die Grenze zu, genau nach
den Meldungen.
Weber:
Und bei Kindertransporten, also Kinder von
Kriegsgeschädigten, die in die Schweiz kommen durften,
dort durften keine jüdischen Kinder darunter sein. Das war
vom Roten Kreuz so organisiert. Die Frauen bei mir im
Lager selbst redeten nicht viel. Das Ende des Krieges war
am schlimmsten, als man es dann erfuhr, dass alle tot
waren.
[nicht erwähnt: Das wurde so behauptet. Viele jüdische
Kinder kamen in polnischen Bauernhöfen unter, mussten aber
andere Namen annehmen, was vom WJC noch in den 1950er
Jahren beim Vatikan moniert wurde].
Häsler:
Es gab eben auch eine breite Bewegung gegen die
Schliessung der Grenze. Im November 1942 wurde für die
Flüchtlinge eine Sammlung veranstaltet, die 1,5 Millionen
Franken einbrachte. Es gab also einen grossen Teil der
Bevölkerung, der dem Trend nicht folgte. Ebenso war da die
junge Kirche.
Piccard:
Aber genau an Weihnachten und Neujahr 1942 / 1943 wurde
die Grenze wieder dicht gemacht, und zwar absolut dicht!
Riegner:
Genau zum Zeitpunkt der schlimmsten Vernichtung wurde die
Grenze dicht gemacht. Und von den 30.000 Aufgenommenen
waren 7000 schon vor dem Krieg hereingekommen, dann v.a.
im 2.Teil des Krieges vor allem italienische und
jugoslawische Juden, so haben dank der Schweiz 28.000
Juden überlebt.
Piccard:
Was war denn mit Amerika? Dort mussten die Juden immer so
lange auf ein Visum warten, hat denn Amerika nicht auch
dazu beigetragen?
Riegner:
Amerika ist das einzige Land, das eine grössere Zahl Juden
gerettet hat. Der "War Refugee Bound" hat es ermöglicht,
in allen neutralen Ländern die Juden zu unterstützen. So
konnten eine halbe Million Juden gerettet werden.
Film: Karl Lutz, schweizer Botschafter in Ungern,
rettet Juden mit Visas
Karl Lutz, schweizer Konsul Budapest, vertritt auch die
Interessen von Grossbritannien. Er rettet 62.000 Juden
durch Ausstellen eines Visums nach Palästina. Später wird
Lutz wegen Kompetenzüberschreitung von Bern aus bestraft.
Diskussion
Häsler:
Auch im Fall Grüninger kam die Rehabilitation erst
1993. Also: Solche Leute, die Juden gerettet hatten,
wurden nach dem Krieg vom Bundesrat wie Verbrecher
behandelt. Walter Häfliger war ein weiterer
Retter: Er rettete in Mauthausen Tausende Juden
und ist schliesslich in Österreich gestorben. Es ist bis
heute leichter zu sagen, "wir mussten", als sich zu
entschuldigen... und der Bundesrat argumentierte laufend:
Das Volk verkörpere das Herz, er aber den Verstand.
Und so war ihm sein eng gefasster Gehorsamsbegriff
wichtiger als die Rettung von Menschenleben.
Riegner:
Nicht nur das: Die Schweiz hat verhindert, dass das Rote
Kreuz einen Appell gegen die Judenvernichtung richtete.
Ich kann es mir nur so erklären: Man hatte einfach Angst
zu protestieren, Angst vor Schwierigkeiten. Das Rote Kreuz
hielt Beratungen im Oktober 1942. Eine Mitgliedermehrheit
war für den Appell. Da wurde eine abschliessende Sitzung
mit Bundesrat Etter gehalten und der hat den Appell
schlussendlich verhindert. Er hat einem das Recht auf
humanitäre Initiativen versagt.
Piccard:
Es gab sehr viele verschiedene Meinungen. Da war z.B.
Gertrud Kurz, die "Flüchtlingsmutter". Das Spektrum im
Volk war weit. Es gab einzelne Populisten, dann gab es
Rebellen, die dem Ganzen aber relativ machtlos
gegenüberstanden.
Film: Der Fall Theodor Bergmann: Der Bruder als Arzt
wird verleumdet und aus der Schweiz ausgewiesen
Theodor Bergmann versucht nach dem Krieg zu erfahren, wann
sein Bruder 1940 ausgewiesen wurde. Er möchte
Akteneinsicht, die wird ihm vom Bundesgericht verweigert.
Der Bruder Alfred Bergmann war Arzt in Zofingen. Damals
war man froh um jeden Arzt, wo so viele sonst im Dienst
waren. Im März 1940 aber trat er eine neue Stelle in Zug
an. Da wurde er vom von Missgunst getriebenen Alfred
Siegrist der Aargauer Polizei denunziert. Das war
das "Todesurteil" für Bergmann. Er wurde als politischer
Wirrkopf verleumdet und so über die Grenze geschickt.
Diskussion
Lichtsteiner:
Wieso hat jetzt Herr Bergmann hier keine Akteneinsicht
erhalten?
Piccard:
Entscheidend sind in solchen Fällen die kantonalen
Archive, die Bezirksarchive. Derzeit läuft eine Umfrage
nach Flüchtlingsakten, Naziakteuren, politischen und
nachrichtendienstlichen Akten, denn diese Akten sind ein
Teil des kollektiven Gedächtnisses.
Häsler:
Also, wenn man sich fragt, war das Boot voll - das Boot
war alles andere als voll. Von Steiger hat da alles andere
als die Wahrheit gesagt. Nur: Ab 1942 liess Hitler die
Juden auch nicht mehr flüchten. Und in der Schweiz wurden
Juden einfach generell zu Menschen zweiter Klasse.
Riegner:
Es waren insgesamt 100.000 Kriegsflüchtlinge in der
Schweiz, davon 28.000 Juden...
Studer:
Es gab letzten Monat auch eine antisemitische Bemerkung des
Basler Münsterpfarrers, der wieder behauptete, die Juden
hätten den christlichen "Messias" umgebracht.
Piccard:
Das sind Gedächtnislügen, auf die man bei der ganzen
Verdrängung wieder aufläuft. Man kann dann nur entscheiden,
soll man darüber reden oder weiter den Mantel des Schweigens
darum legen.
Riegner:
Man muss reden! Geschichte hat immer ihre guten Seiten und
ihre dunklen Seiten. Man muss beide Seiten kennen. Lehren
aus der Geschichte ziehen kann man nur, wenn man weiss, was
geschehen ist, so dass man sich nicht immer verteidigen
muss.
[nicht erwähnt:
Israel behandelt die Palästinenser nicht besser als Rothmund
die Juden im 2.Weltkrieg].
Piccard:
Es ist eine Chance, generationenübergreifend miteinander ins
Gespräch zu kommen. Es ist heute die letzte Möglichkeit, und
so kann man eine humane offene Haltung entwickeln und solche
Diskussionen dieser Art sind dann möglich. Zuerst macht es
Angst, denn es mobilisiert negative Gefühle, weil sie
schmerzvoll sind.
Weber:
Man muss die absolute Wahrheit aussprechen, dann hat sie
Wirkung. Wir müssen lernen, die Vergangenheit anzunehmen,
denn wir haben heute wieder ähnliche Probleme. Man kann auch
die Gegenwartsprobleme nur so lösen durch das Ansehen der
Vergangenheit.
========
30.7.1997: Die Schweiz
1933-1945: Der Finanzplatz Schweiz 1933-1945
Banken, Versicherungen, Konten,
Verletzungen des Bankgeheimnisses zugunsten der Nazis -
Vorbereitung für ein Viertes Reich
aus: Die Schweiz im Schatten des Dritten Reiches; Diskussion
mit Filmbeiträgen; Schweizer Fernsehen 30. Juli 1997.
Protokoll von Michael Palomino
An der Diskussion sind beteiligt:
-- Gude Rahn,
ehemaliges Mitglied der schweizer Verhandlungsdelegation
in den "USA" 1946
-- John Trepp,
Historiker, der die Akten der Bank für internationalen
Zahlungsausgleich BIZ untersucht hat
-- Beat Balzli,
Historiker, Autor des Buches "Treuhänder des Reiches" über
die schweizer Bankgeschäfte mit dem 3.Reich mit
"Verwertung" jüdischer Wertpapiere und Kontoauflösungen
-- Paul Hasenfratz,
Präsident der Zürcher Kantonalbank ZKB, Vizepräsident der
Bankiervereinigung
Moderation: Peter Studer
und Martina Lichtsteiner.
Diskussion
Lichtsteiner:
Warum kommt die Diskussion genau jetzt Ende der 1990-er
Jahre auf die Schweiz zu?
Balzli:
1 Hauptgrund: Die Erben haben nicht mehr lange Zeit,
werden alt. Folge: Der Druck verstärkt sich.
Hasenfratz:
Weitere Gründe: Es war eine reaktive Verteidigungshaltung
der Schweiz gegenüber der Vergangenheit bis letztes Jahr
[1996], und: Öffnung neuer Archive, so kam neues Material
zum Vorschein.
Lichtsteiner:
Wieso kommt denn die Geschichte auf das Gold von damals?
Trepp:
Weil die Schweiz der wichtigste Goldhandelsplatz im
2.Weltkrieg war. Sie war die grösste Goldhändlerin der
damaligen Zeit.
Rahn:
Es spielt auch eine Rolle, dass heute der kalte Krieg
beendet ist. 1948 war Russland wieder Gegner der
Westmächte und diese bemühten sich, die Schweiz als
antibolschewistisches Land in das westliche System wieder
einzugliedern nach der Isolation 1944-1948.
Film: Beziehung Deutsche Reichsbank - Schweizer
Nationalbank
Die SNB kann 1939-1945 mit allen Zentralbanken der Welt
ihre Beziehungen halten, besonders herzlich aber sind die
Beziehungen zur Reichsbank. Goldlieferungen werden im
Normalfall als wirtschaftliche Transaktion begründet. Für
die Reichsbank aber gilt dieser Grundsatz nicht. Sie
darf immer Gold gegen Devisen eintauschen, wann und wie
sie will, ohne Rücksicht auf den Handel.
[Clearingvorschuss nicht erwähnt].
Die SNB wird so zur Verbündeten des 3.Reiches [Gegentausch
nicht erwähnt].
Hitler musste für seine Kriegsführung Güter von aussen
kaufen: Chrom, Wolfram, Mangan. Aus der Schweiz:
Aluminium, Präzisionsinstrumente und Uhren. All diese
Güter bekam das 3.Reich nur gegen Devisen [und deswegen
erfolgten die Goldlieferungen in das einzige Land, das
noch Gold von Hitler annahm: die Schweiz].
Die Goldreserven der Reichsbank: 100 Mio. RM waren
ausgewiesen, geschätzt wurden 800 Mio. RM. Bis 1943 wurde
Gold im Wert von 600 Mio. aus dem Reich in die Schweiz
geliefert. Zum Schluss hatte Deutschland für 1,7 [1,2?]
Milliarden RM Gold in die Schweiz geliefert. Woher kam
denn die Differenz?
Zum Teil wurden die Devisen auf vorgeschobene Konten
gutgeschrieben, z.B. auf das Konto von Max Heiliger. Dass
KZ-Gold in den Barren war, ist möglich, aber wenig
wahrscheinlich. KZ-Gold ist in einer Biographie von Höss
erwähnt [eventuell gefälscht, wie von Höss sehr viele ihm
zugeschriebene Berichte "existieren"].
Belgisches Gold wurde von der Reichsbank eingeschmolzen,
neu gegossen und mit der Jahreszahl 1935 versehen.
Höhepunkt der Goldlieferungen war 1942. Die Alliierten
warnten die Schweiz 1942 schon vor der Annahme deutschen
Goldes, das eventuell geraubt ist.
Diskussion
Ernst Weber, Generaldirektor der Schweizerischen
Nationalbank, behauptet nach dem Krieg, er sei sicher, man
könne nicht ermitteln, von wo das Gold gekommen sei, und:
Er hätte nicht die "leiseste Ahnung" gehabt.
Walter Funk, der Präsident der Reichsbank nach
1945: Die Schweiz war der einzige Ort, wo der Umtausch
gegen Devisen für die Reichsbank noch möglich war.
Hirs, einer der Generaldirektoren der
Schweizerischen Nationalbank SNB, gibt 1946 zu, dass er
gewusst hat, dass ein grosser Teil der deutschen
Goldlieferungen Raubgold gewesen seien.
Film: Verhandlungen schweizerischer Bankenvertreter in
den "USA" 1946
Verhandlungen 1946 in den "USA" über die Raubgoldbestände
der SNB in der Schweiz: Die Alliierten-Vertreter hatten es
nicht leicht, die Identität des Goldes festzustellen. Ernst
Nobs, SP-Bundesrat, sagt, die SNB habe mit der
Goldannahme 50 Mio. Franken Gewinn gemacht, und die Marge
scheint für ihn der Hauptgrund des Raubgoldgeschäfts
gewesen zu sein: niedriger Preis für das Reich, die auf
den Verkauf angewiesen waren, später hoher Preis für die
Alliierten. Zudem: Die SNB stützte sich auf das
Neutralitätsargument: Sie sei neutral und müsse somit von
den Alliierten und von den Achsenmächten Geld
annehmen.
Funk 1943: Deutschland könne ohne die Schweiz als
"Wechselstube" keine 2 Monate mehr auskommen.
Diskussion
Trepp:
Gold wird im Krieg immer Zahlungsmittel, da alle Währungen
unsicher sind.
Lichtsteiner:
Warum denn war der Schweizer Franken attraktiver als die
schwedische Krone? Schweden war doch auch ein neutrales
Land.
Trepp:
Der Bundesrat hat für die Schweiz im Kontakt mit allen
Kunden bis 1942 auf Devisenkontrollen verzichtet, als
einziger Staat in ganz Europa. Schweden hatte
Devisenkontrollen eingeführt und war somit für Hitler
weniger attraktiv.
Studer:
War denn die Schweiz erpicht auf diese Freiheit?
Hasenfratz:
Die Schweiz brauchte nicht nur das Gold, sie wollte mit
anderen handeln. Dieser Handel galt auch als
Friedenssicherung, und man hatte in den 1930-er Jahren
schon eine Abwertung des Frankens erlebt. So wollte man
die Goldreserven wieder erhöhen und die Golddeckung im
Krieg wenigstens beibehalten.
Trepp:
Da muss ich Ihnen eindeutig widersprechen. Das Gewinnmotiv
ist in meinen Augen eindeutig wichtiger. Der Preis in der
Schweiz war niedriger als der Londoner Preis. die SNB hat
etwas verdienen wollen, bis dann das Clearing-Abkommen
kam, und mit London konnte man während des Krieges nur
über die Clearingstelle Handel treiben. Der Gewinn konnte
nach dem Krieg eingefahren werden.
Der Bundesrat hat bis 1942 keine Kontrollen über den
Goldhandel verfügt. Gold war also frei handelbar, nicht
nur für die Banken. Es hat sich während des Krieges auch
ein riesiger privater Goldhandel entwickelt.
Studer:
Zu wem flossen denn die Goldlieferungen?
Trepp:
Hauptsächlich in den Tresor der SNB in Bern.
Hasenfratz:
Die SNB führte noch verschiedene Konti anderer
Nationalbanken, und so ergaben sich dann die
Dreiecksgeschäfte während des Krieges, wo die Schweiz als
Vermittlerin z.B. zwischen Deutschland und Portugal
auftrat. Die Rolle der Privatbanken ist noch nicht
erforscht.
Trepp:
über die Rolle der Privatbanken von vor 1942 hat man bis
heute keine Ahnung. Ab Dezember 1942 musste dann jeder
Goldhandel mit dem Lizenzsystem geregelt werden, was auch
meist bewilligt wurde.
Balzli:
Alle Einfuhren wurden bewilligt. Es wurden nur bei der
Schweizerischen Kreditanstalt SKA, als man Zweifel hatte,
noch ergänzende Informationen verlangt, und dann hat die
SNB trotz Kritik immer bewilligt.
Hasenfratz:
Über den privaten Verkehr wissen wir bis heute nicht sehr
viel. Die ZKB hat von der SNB Goldmünzen gekauft und hat
diese an private Käufer weiterverkauft.
Lichtsteiner:
Wie viel Prozent vom gehandelten Gold der SNB ist denn
geraubtes Gold?
Trepp:
Das ist noch nicht genau ermittelt. Die Summe ist noch
ausstehend. Das belgische Gold ist genau festgestellt mit
380 Mio. Franken, heute ein Wert von 3,8 Milliarden
Franken. Das Raubgold der Niederlande und Italiens ist
noch nicht genau festgestellt.
Lichtsteiner:
Ist denn nun Totengold in den Barren drin?
Balzli:
Sicher wissen wir das noch nicht. Wir nehmen bis heute an,
dass Totengold in den Barren vorhanden ist.
Studer:
Deutschland täuschte mit der falschen Prägung von 1935.
Was konnte man denn davon wissen?
Hasenfratz:
Die SNB musste sich dessen bewusst werden wegen der Menge,
dass da etwas nicht stimmt. Das ist ja offensichtlich. Was
das Totengold betrifft, so sagt uns der
Eizenstadt-Bericht, es seien 27 kg verwendet worden.
Rahn:
Eizenstadt sagte aber auch, dass man davon nicht
wissen konnte.
Balzli:
Die SNB hat alles gewusst. Das kann man an der Tatsache
ableiten, dass sie schon 1941 einen ersten Umschmelzplan
für ihr gesamtes Gold vorhatte. Der Plan wurde 1942
konkretisiert mit geplanten Kosten von 60.000 Franken.
Realisiert wurde er dann nach dem Krieg.
Trepp:
Totengold wurde
nicht nur in der SS-Schmelzanlage verarbeitet, sondern
auch in den beiden privaten deutschen Schmelzunternehmen Degussa
und Norddeutsche Raffinerie. Diese Barren wurden
dann weiter an Private weiterverkauft.
Die Goldkäufe bei den Alliierten waren gesperrt. Also
konnte man an der Börse von New York und London sich das Gold auf die dortigen
Guthaben gutschreiben lassen, die aber für den
Kapitalverkehr mit der Schweiz gesperrt waren. Aus diesem
Grund brauchte man auch Gold aus Deutschland für die
Schweiz selbst.
Lichtsteiner:
Sehen wir nun, wie die Verhandlungen nach dem Krieg
aussahen.
Film: Verhandlungen über Raubgold in der Schweiz in den
"USA" 1946
Am 8. Mai 1945 sind die Kriegshandlungen in Europa offiziell
beendet. Jubel, grosse Freude in der Schweiz. Die
Beziehungen zu den Alliierten jedoch sind getrübt wegen
belgischem Raubgold, und weil die schweizer Guthaben in den
"USA" blockiert sind. Die "USA" behauptet, die Schweiz solle
500 Mio. Franken bezahlen, was der schweizer Politik
inakzeptabel erscheint. So begibt sich die "hochkarätigste"
schweizer Delegation, die es je gegeben hat, in die "USA" an
die Verhandlungen: [neu], sowie Chefbeamte und
Diplomaten. Die Aufgabe: den Beweis erbringen, dass die SNB
beim Kauf von Raubgold "gutgläubig" war.
In der Schweiz werden die Verhandlungen heftig diskutiert.
Hirs wird der Vorwurf gemacht, er habe durch eine
Unachtsamkeit die Schweiz verraten.
Das Resultat der Verhandlungen: Die Schweiz muss 250 Mio.
Franken bezahlen. Gegen Hirs wird ein Disziplinarverfahren
angestrengt. Im Parlament muss der Betrag auch verabschiedet
werden. Delegationsleiter Stucki schreibt einen "Bericht",
der die Argumente liefern muss, dem Kompromiss zuzustimmen.
Die Argumente:
-- es wäre sonst zu einem Prozess um das belgische Gold
gekommen
-- die Alliierten hätten die schweizer Guthaben weiter
blockiert
-- der "gute Namen" der Schweiz sei dadurch leicht
demolierbar gewesen.
Bundesrat Nobs stimmt dem Kompromiss zu. Das Parlament
verabschiedet den Kompromiss aus Pragmatik, nicht aus
Schuldbewusstsein.
Besprechung des Films: Nazigelder für ein 4. Reich in
der Schweiz [und Südamerika]
Lichtsteiner:
Warum wurde die schweizer Delegation in den "USA" so kalt
empfangen?
Rahn:
Der Empfang war nicht herzlich wegen des Vorwurfs der
Kollaboration. Es waren zwei Wochen Verhandlungen geplant,
und sie haben 2 1/2 Monate gedauert. In der Mitte wäre es
fast zu einem Bruch gekommen. Man konnte sich über das Gold
nicht einigen. Die "USA" waren am kritischsten, weil sie die
Neutralität nicht verstanden haben. Frankreich und England
haben die Neutralität schon eher verstanden. Am Schluss aber
haben die Amerikaner dann doch unterzeichnet.
Lichtsteiner:
War denn Herr Hirs dafür verantwortlich, dass die
Verhandlungen fast gescheitert wären?
Rahn:
Hirs hat nie klar gesprochen. Die ganze Delegation hat nie
klar gesprochen. Von holländischem Gold wurde nie
gesprochen, nur von belgischem Gold.
Studer.
Zuerst forderten die "USA" 500 Millionen, schliesslich
wurden 250 bezahlt. Wie war das möglich?
Rahn:
Wir haben nie gesagt, dass wir bezahlen müssen. Wir zahlten,
weil die Alliierten das so wollten. Dafür hatten wir die
Zusicherung der Alliierten, dass in Zukunft nie mehr über
Gold der Schweiz etwas verlangt werde.
Studer:
Wieso haben denn die Amerikaner ihre Forderung reduziert und
nachgegeben?
Trepp:
Da muss man auch die "USA" innenpolitisch betrachten.
Roosevelt
hatte den jüdischen Finanzminister
Henry Morgenthau,
dieser musste unter dem neuen Präsidenten
Truman im
Juli 1945 zurücktreten. Truman wollte ihn nicht mehr
[es existiert auch die Version, dass Morgenthau aus Protest
zum Wiederaufbau der Industrie in Deutschland zurückgetreten
sei].
Morgenthau hatte klare Forderungen an die Schweiz als
Kollaborateurin. Der neue Finanzminister aber hatte eine
etwas andere Perspektive, denn die Amerikaner hatten selbst
auch Geschäfte mit den Nazis an der
Wall Street
Börse gemacht und die Welt ging auf den kalten Krieg zu
[der nicht "kalt" war, schon Mitte 1945 nicht, z.B. in Asien
mit Vietnam und französischen Truppen etc.].
Studer:
spielten denn England und Frankreich an den Verhandlungen
überhaupt eine Rolle?
Rahn:
Sie haben die "USA" unterstützt, aber die "USA" war immer in
der ersten Linie.
Trepp:
Man muss das klar sehen: Die Schweiz hat damals den grossen
Fehler gemacht, dass sie ihre Fehler nicht eingestanden hat,
die sie während des 2. Weltkriegs begangen hat. Es gab kein
Eingeständnis.
Balzli:
Also, die Delegation hat mit einer Salamitaktik verhandelt,
angefangen mit 100 Millionen, und dann eine langsame
Steigerung des Betrags.
Rahn:
Also, die SNB wusste vom geraubten Gold, aber wir wollten so
wenig wie möglich zahlen.
Trepp:
Schon 1943 verlangten die Alliierten die Rückgabe des
Raubgoldes.
Rahn:
Rechtlich kann man es anders sehen, denn die Neutralität
setzt Handel mit allen Partnern voraus. 1946 sind wir zu
juristisch gewesen, und heute sind wir nicht juristisch
genug.
Lichtsteiner:
Sollen denn neue Verhandlungen über das Abkommen aufgenommen
werden?
Rahn:
Ich glaube nicht, dass es zu neuen Verhandlungen darüber
kommen wird. Einer der Delegierten der US-Delegation, Rubin,
war ein guter Freund von mir, und es waren ja nicht nur die
"USA", Frankreich und GB an den Verhandlungen beteiligt.
Diese drei haben ja auch für 13 andere Nationen
stellvertretend verhandelt.
Hasenfratz:
Also, der Vertrag ist Geschichte, und da kann eigentlich
kaum etwas daran mehr verändert werden nach 50 Jahren, aber
es kann ja durchaus zu neuen Abkommen und Verträgen kommen.
Trepp:
Eizenstadt äussert sich in dieser Beziehung etwas
sibyllinisch, aber es wäre absurd, über einen 50 Jahre alten
Vertrag neu zu verhandeln. Der Bundesrat soll eher
nachholen, was er 1945 verpasst hat. Der Bundesrat soll es
nachholen, als politische Geste.
Rahn:
Ich glaube nicht, dass es wahrscheinlich ist, dass da noch
etwas geschieht.
Studer:
Jetzt ist ja eine neue Goldkonferenz einberufen für nächsten
Herbst von den "USA" und GB. Meinen Sie, dass die Schweiz da
noch einmal drankommt?
Trepp:
Ja, das ist durchaus möglich, aber es stehen dort auch
andere grosse Probleme an, denn es gab in Sachen Gold nach
dem Weltkrieg wirklich keine Schlussregelung. Auch die "USA"
haben Gold behalten. Man hat noch 5,5 Tonnen in New York
gefunden. Es ist auch möglich, dass also die "USA"
drankommt.
Lichtsteiner:
Was war denn das Hauptziel der Verhandlungen von 1946?
Rahn:
Das Hauptziel der Amerikaner war, die deutschen Vermögen in
der Schweiz zu blockieren.
Lichtsteiner:
Warum wurde denn alles mit solch einer negativen Einstellung
angegangen?
Hasenfratz:
Die ganze Einstellung, was die Konten betraf, war unheimlich
negativ. Es kam ja auch erst 1952 zu einem Abschluss. Die
Banken verschanzten sich hinter ihrem Bankgeheimnis.
Balzli:
Die Banken sperrten sich total, und die Forderung der
Amerikaner war natürlich auch sehr happig: Sie stellten an
ein fremdes, neutrales Land die Forderung, Gelder eines
dritten Landes zu blockieren, und das war für die Banken
rechtlich nicht einsehbar.
Rahn:
Man konnte aber auch die Gelder deswegen nicht aushändigen,
weil man nie einen Wechselkurs zwischen Franken und
Reichsmark gefunden hat. Es gab keinen Wechselkurs mehr.
Studer.
Das sind ja alles rechtliche Frage. Es gab ja auch Vermögen
von "normalen" Deutschen noch von vor dem Krieg, die in der
Schweiz angelegt waren, und die Delegation wollte nicht,
dass auch diese Vermögen miteinbezogen wurden.
Rahn:
Wichtig ist einfach, dass die Forderung war, in Reichsmark
auszubezahlen. Bis 1948 war aber keine Währung in
Deutschland, es gab keinen Kurs!
Trepp:
Die Schweiz hat das deutsche Vermögen in der Schweiz
geschützt. Die Kursfrage selbst war nur ein Spielen auf
Zeit. 1952 wurden die Konten dann eben auch an alle alten
Nazis ausbezahlt. Das Rettungsboot für die Deutschen war
eben auch in der Niederlage die Schweiz gewesen.
Rahn:
Das waren aber nicht viele Konten, denn da waren
Untersuchungen in Bern im politischen Departement. Die "USA"
sagten immer, die Nazis hätten viel Geld in die Schweiz
verlagert, aber man hat nur sehr wenig gefunden [weil
1944-1945 ein beträchtlicher Teil nach Südamerika
abgeflossen war, mit Hilfe von schweizer Diplomaten].
Balzli:
Es sind immense Nazi-Vermögen in der Schweiz angelegt
worden, in Tarngesellschaften und Briefkastenfirmen. Das
meiste war so getarnt, dass es auf den ersten Blick absolut
nicht auffindbar war.
Rahn:
Aber ist denn das wichtig?
Balzli:
Sicher ist das wichtig.
Rahn:
Sind es denn Hunderte von Millionen?
Trepp:
Da geht es nicht nur ums Geld hier. Es ist auch die Geste,
die zählt.
Balzli:
Es ist ein signifikantes Vermögen, das da verborgen wurde
[v.a. in Südamerika].
Studer:
Die "USA" haben für das Aufspüren von Geldern in der Schweiz
ein ganzes Programm gewidmet, das "Safe-Haven-Programm".
Rahn:
Ich glaube, das ist nicht wichtig.
Balzli:
Es waren Gelder, die dafür verwahrt wurden,
ein
eventuelles 4. Reich neu zu gründen, und deswegen ist
es eigentlich sehr wichtig.
Hasenfratz:
Man hätte auch gerade alles beschlagnahmen können. Dann wäre
es auch nicht nichts gewesen, aber als neutrales Land war
das absolut unmöglich.
Studer:
Und die nachrichtenlosen Konten wurden bei den ganzen
Verhandlungen nur am Rande behandelt. Von denen handelt
unser nächster Film:;
Film: Die "nachrichtenlosen" Konten
Ed Fagan, Anwalt meint: Es geht nicht nur um Geld. Es
geht um Menschen, um 10.000de Menschen. Seine Anwaltspraxis
in New York, 12.000 Klienten. Anstreben einer Vereinbarung
oder ein Urteil gegen die schweizer Banken. Die Schweiz soll
verpflichtet werden, den Vermögen die nötige Beachtung zu
schenken. Die schweizer Bankiers sind absolut dagegen. Die
Volker-Kommission hat alle Vollmachten gegen die schweizer
Rechtsanwälte, Treuhänder und Versicherungen.
Die Versicherungen warben in Deutschland um jüdisch Kunden
mit der Angabe, ihre Policen seien bei einer schweizer
Versicherung sicher untergebracht. Die schweizer
Versicherungen hatten Filialen in Deutschland, um weiter
auch nach der Reichsgründung in Deutschland Geschäfte
tätigen zu können. Hitler erliess nach der
Reichskristallnacht 1938 eine Bestimmung, wie die Schäden
der Reichskristallnacht zu bezahlen seien: Die Juden sollten
für die Schäden aufkommen, die die Nazis an den Gebäuden und
Geschäften selbst angerichtet hatten. Darunter fallen auch
die Versicherungspolicen von Juden bei Filialen von
schweizer Versicherungen. Folge: Die schweizer
Versicherungen zahlen die Policen an Hitler aus, z.T., ohne
die jüdischen Inhaber vorher zu informieren.
Besprechung des Films: Vollmachten, Strohmänner und
Kontenraub nach 1945
Hasenfratz:
Also, ich kann nur für die ZKB sprechen. Wir haben Konten im
Wert von 1,5 Millionen Franken gefunden, und insgesamt sind
es 169 Kunden.
Lichtsteiner:
Aber wissen Sie das schon länger oder haben Sie diese erst
jetzt gefunden?
Hasenfratz:
Die meisten kannten wir schon, und beim Bankverein und auch
bei den anderen Grossbanken war es ein Informatikproblem,
denn die Akten sind in die Informatik aufgenommen worden,
und statt dem tatsächlichen Eröffnungsdatum bei den Konten
ist dort das Datum des Übertrags in der Informatik
angegeben, so dass wir am Anfang wirklich gesagt haben, es
gäbe keine solchen Konten mehr.
Studer:
Haben Sie denn eine Ahnung, wie viele Holocaust-Opfer nun
darunter sind?
Hasenfratz:
Wir haben keinen J-Stempel bei den Banken geführt. Die
Konten sind also von aussen gar nicht als jüdisch zu
erkennen, und die Juden hatten damals noch keinen Staat. Wir
haben viele Deutsche unter den Konten, aber die Hauptträger
kommen v.a. aus Österreich und Russland. Zu den zwei
Nazi-Grössen ist zu sagen: Bei einem sind noch 5 Franken
drauf, das ist ein Restposten einer Verrechnung, die andere
Dame scheint nach Abklärungen nicht die zu sein, als die man
sie vermutet hat.
Lichtsteiner:
Also, es wurden nun 61 Millionen Franken gemeldet. Wie gross
ist denn der Holocaust-Anteil?
Balzli:
Es hat 1962 eine erste Auszahlung stattgefunden, aber eine
Aussortierung war damals nicht möglich.
Studer:
Die Wertzahlen haben sich aber immer erhöht. Wieso?
Hasenfratz:
Das ist so, weil die Definition der gesuchten Konten immer
wieder anders war. 1947 wurden Konten gesucht von Leuten,
von denen man wusste, dass sie Opfer sind und keine Erben
haben. Man hat Leute geschickt. Zum Teil waren die Zustände
in Europa aber auch so unübersichtlich noch, dass gar keine
Kontaktaufnahme möglich war.
Balzli:
Die Banken wollten aber auch nicht finden. Sie wollten den
Betrag klein halten, um damit zu bestätigen, dass das gar
kein Thema sein könne, und dien Gesetz des Bundesrates haben
sie abgeschmettert
[mit Hilfe des banken- und nazi-freundlichen Bundesrichters
Leuch, der vorher Präsident der Zürcher Börse war].
1962 wurde die Suche dann wieder anders definiert als
mutmassliche Opfer rassistischer und religiöser Verfolgung,
was speziell auf die Juden zugeschnitten war. Man hat nach
jüdischen Namen gesucht, aber die Verschleierungsfirmen und
Strohmänner hat man ausgelassen. Jetzt 1997 melden wir
einfach restlos alles, und dann kommen auch alle
Strohmannkonstruktionen an den Tag.
Lichtsteiner:
1975 wurden dann 10 Millionen ausbezahlt.
Studer:
Es gibt natürlich immer eine gewisse Grauzone von Bankiers,
die das übriggebliebene Geld einfach vom Konto abgehoben
haben.
Hasenfratz:
Das war möglich. Der Treuhänder hat es bezogen durch seine
Vollmacht, und dann ist jede Spur des Kontos verwischt und
nicht mehr feststellbar.
Balzli:
Das ist ein riesiges Problem. Man konnte nie nach den
Vollmachten suchen, weil kein zentrales Vollmachtenregister
existierte. Die Vollmachten müssten zentralisiert werden.
Hasenfratz:
Bei den bestehenden Konten ist es absolut kontrollierbar,
wer die Vollmacht hat. Aber bei den bezogenen Konten ist
kein Weg mehr verfolgbar, ausser rein zufällig, bei Verdacht
vielleicht.
Balzli:
Der Strohmann war meist unbekannt, z.T. auch der jeweiligen
Familie nicht bekannt, einfach aus Sicherheitsgründen. Und
so kamen die Juden nach dem Krieg, und keiner konnte ihre
Konten finden, weil die Strohmänner nicht bekannt waren.
Studer:
Wie läuft denn das jetzt mit den Gesuchen?
Hasenfratz:
Es können über die
ATAG Treuhand Gesuche gestellt
werden. Diese werden gesammelt und in einer Dokumentation an
die SNB geschickt, dann an die Volker-Kommission geschickt
zur Prüfung der Übereinstimmung und schlussendlich an die
Bank gesandt.
Lichtsteiner:
Und wieso war das nicht früher möglich?
Hasenfratz:
Wie gesagt, wir sind zu formaljuristisch in der
Vergangenheit mit unseren Kunden umgegangen. Also, einen
Stammbaum erwarten wir schon, sonst kann ja jeder sagen:
Meine Cousine hat... und mein Cousin hat. Aber gewisse
Risiken werden natürlich immer übrigbleiben.
Studer:
Hat denn nun ein Umdenken stattgefunden bei den Banken?
Hasenfratz:
Ja. Dieses Umdenken hat stattgefunden.
Studer:
Im Oktober werden nun 20.000 weitere Namen von Schweizern
publiziert.
Balzli:
Also, die 12.000 auf der jetzigen Liste sind die
ausländischen Konti, die 20.000, die folgen werden, wobei
das auch nur eine Schätzung ist, sind die schweizer Inhaber
von Konti, wobei das für manche wieder eine Enttäuschung
sein wird, aber da kommen dann alle die
Strohmannkonstruktionen heraus.
Studer:
Nur diejenigen Profiteure, die da Geld mit der Vollmacht in
den eigenen Sack gesteckt haben, werden dabei nicht mehr
erfasst, denn dieses Konti sind gelöscht.
Film: Ein Fall eines Versicherungsnehmers - die Police
wird 1945 nicht ausbezahlt
Eine schweizer Versicherung wirbt um jüdische Kunden. Nach
der Reichskristallnacht werden die Praktiken der
Versicherung "angepasst". Das jüdische Vermögen der Police
wird dem Reich ausgehändigt. Nach dem Krieg kommen Juden und
erheben Anspruch, aber sie bekommen nichts.
Fall:
Julius Nussbaum
hatte 1938 eine Police bei der Basler. Die Basler zahlt nach
der Reichskristallnacht den Wert der Police dem Reich aus.
Julius kommt 1945 und will die Auszahlung der Police. Die
Versicherung gibt nichts. Die Versicherung behauptet, sie
habe nach damaligem Deutschen Recht gehandelt. Bei
einem zweiten Schreiben behauptet die Bank gegenüber
Nussbaum, er wolle sich auf Kosten der Schweiz bereichern.
Dies ist kein Einzelfall. Ebensolche Fälle liegen der
Rentenanstalt vor.
Diskussion
Lichtsteiner:
Auch andere ausländische Versicherungen haben dieses
Problem, z.B. die italienische "Generali".
Balzli:
Die Versicherungen hatten eigene Vertretungen in
Deutschland. Die Banken dagegen hatten keine Vertretungen.
somit gab es solche Fälle bei den Banken nicht. Die
Versicherungen wollten sich mit der Anpassung nicht das
Geschäft vermiesen mit den Deutschen, und es gab eine
Verordnung, nach der Juden im Ausland ihr Vermögen in
Deutschland verlieren, und da auch Polen mit seinen KZs
[und Weissrussland, und die Ukraine, und die Baltenstaaten
mit ihren KZs und Stätten der Massenerschiessung]
als Ausland galt, gab es viele solche Fälle, wo das Vermögen
einkassiert wurde bzw. die Versicherungen die Policen den
Nazis auszahlen mussten. Aber es wäre ein Spielraum
dagewesen, diese Auszahlungen zu verhindern. So sind auch
noch zu später Zeit des Krieges die Policen ausbezahlt
worden, auch noch Ende 1944, als der Krieg wirklich schon
verloren war.
Dann gab es zwei Arten von Policen: mit einem Auszahlungsort
nur in Deutschland, oder mit zwei Auszahlungsorten als
Sicherheit, also in Deutschland und zum Beispiel noch in
Basel. Aber auch diese Sicherheit hat nichts genützt.
Hasenfratz:
Die Töchter der Versicherungen waren deutschem Recht
unterstellt. 1957 hat der deutsche Staat diese
Versicherungsnehmer entschädigt im Verhältnis 1:10. Somit
ist die Schweiz in dieser Sache nicht sehr im Schussfeld.
Bei der Ombudsstelle der Versicherungen sind denn auch nur
40 Anfragen eingegangen, gegenüber 5000 bei den Banken.
Studer:
Aber es wurden auch jüdische Vermögen in der Schweiz an die
Nazis ausbezahlt, und es gab auch bei der ZKB Leute, die für
das deutsche Reich gearbeitet haben, die dann entlassen
wurden. Es wurden den Juden z.T. Vollmachten abgepresst, und
die Besitzer der Vollmacht haben dann in der Schweiz das
jüdische Konto abgeräumt. Meist waren das die "zwei Herren
in Schwarz" [SS-Männer im schwarzen Mantel], und gewisse
Bankiers haben immer ausbezahlt. Nur wenige haben
verweigert.
Hasenfratz:
Ja, wir hatten ein oder zwei "Maulwürfe" bei uns, die von
den Deutschen bezahlt und eingeschleust waren. Wir haben das
zur Kenntnis genommen, die Polizei informiert und dann 6-8
Monate gebraucht, um herauszufinden, wer es war. Der zweite
Fall bezog sich auf ein Schrankfach, wo zwei Herren in
Schwarz mit einer erpressten Vollmacht die Räumung
verlangten.
Balzli:
Aber gerade bei diesem Schrankfach war eine Warnung aus Bern
da.
Lichtsteiner:
Also, die Rückerstattung ist jetzt am Laufen. Aber was
geschieht denn nun mit den unrechtmässig ausbezahlten
Geldern?
Studer:
Hat denn da die SNB nicht ihre Sorgfaltspflicht verletzt?
Balzli:
Also, es ist klar, dass eine erpresst Vollmacht ungültig
ist. Da sind auch Bundesgerichtsentscheide da.
Hasenfratz:
Es muss bezahlt werden, wenn es illegal ist.
Studer:
Jetzt ist in New York eine Sammelklage hängig. Wie ist denn
dort der Stand?
Hasenfratz:
Das Hearing ist morgen. Es werden die Seiten angehört, aber
noch keine Entscheide gefällt. Innerhalb des Verfahrens sind
die ersten entscheide in ca. 6 Monaten zu erwarten, und zwar
ist der erste Entscheid der, ob die Klage als Sammelklage
als solche akzeptiert wird, oder ob die drei verschiedenen
Klägergruppen getrennt klagen müssen.
Studer:
Wie wird denn die Schweiz im besten Fall dastehen?
Rahn:
Die Nachrichtenlosen Vermögen müssen bis auf den letzten
Pfennig zurückbezahlt werden, und wenn unmöglich, dann an
wohltätige Institutionen. Wir waren natürlich viel zu
langsam. Die Banken haben überhaupt nichts verstanden von
dem Gewicht des Problems. Im besten Fall können wir uns mit
den Amerikanern und den jüdischen Organisationen
verständigen, so dass es kein Abkommen gibt, sondern eine
Verständigung.
Trepp:
Es ist auch eine Frage der Identität. Die Schweiz gilt nun
wirklich als Land der Hehler und Banken Hitlers, und es ist
keine Imagekorrektur mehr möglich. Die innenpolitische
Auseinandersetzung kommt erst noch.
Hasenfratz:
Ich sehe das Ganze nicht so dramatisch. Was wichtig ist,
ist, was mit der Solidaritätsstiftung passiert. Wenn diese
abgelehnt wird, dann ist der Ruf natürlich noch einmal
verschlechtert. Wenn alles mit Anstand über die Bühne geht,
dann wird in der heutigen kurzlebigen Zeit schnell eine
andere Schlagzeile kommen. Ich sehe das Ganze wirklich nicht
so pessimistisch. Allenfalls könnte es ein paar Kunden
geben, die am Bankgeheimnis zu zweifeln beginnen, und so
könnten wir ein paar Kunden verlieren.
========
15.1.1998:
Die schweizerischen Arbeitslager im
Zweiten Weltkrieg: <Die schweizerischen Arbeitslager
im Zweiten Weltkrieg. Retten, drillen,
weiterschieben>
[Zwangsarbeit,
Kindswegnahmen, Sexverbote, die Verpflichtung zur
Weiterreise von Flüchtlingen in der Schweiz durch das
Rothmund-Gesetz 1933-1950]
aus: Die Wochenzeitung (WoZ); 15.1.1998 (3/1998), S.5
Literatur:
-- Nettie Sutro (Schweizerisches Hilfswerk für
Emigrantenkinder): "Jugend auf der Flucht" 1952
-- Alfred A. Häsler: "Das Boot ist voll". Ex Libris, Zürich
1967
-- Silvia
Plüss-Pozzi: "Vierzig Jahre im Dienste der
Flüchtlinge in der Schweiz, 1945-1985". Bericht der
schweizerischen ökumenischen Flüchtlingshilfe. Bern 1985
-- Edith Dietz: "Freiheit in Grenzen".
dipa-Verlag. Frankfurt a.M. 1993
-- Charlotte Weber: "Gegen den Strom der
Finsternis". Chronos-Verlag. Zürich 1994
<Können die schweizerischen Arbeitslager während des
Zweiten Weltkriegs mit Sklavenlagern verglichen werden?
Das Simon Wiesenthal Centrum tut das und will von der
Schweiz Entschuldigung und Entschädigung.
BARBARA AFFOLTER
Fred Alexander und Michael Roth,
ehemalige jüdische Flüchtlinge, die in der Schweiz
während des Zweiten Weltkriegs in Arbeitslagern
interniert waren, wollen gegen die Schweiz vorgehen. In
den Arbeitslagern habe es ausser wässriger Suppe, etwas
Kaffee und Brot kaum zu essen gegeben, obschon man von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Feldern schwer
habe arbeiten müssen. Und geschlafen habe man auf Stroh,
"wie in einem KZ der Nazis". Der Bericht des Simon
Wiesenthal Zentrums erhebt dieselben Vorwürfe.
Flüchtlingstransitland Schweiz [Rothmund: "auf diesem
Stroh dahinvegetieren"]
"Sollen sie nur auf diesem Stroh dahinvegetieren,
bis sie von sich aus wieder gehen wollen. Sie sollen nur
sehen, dass die Schweiz kein Paradies ist, und jene
entmutigen, die noch zu uns kommen wollen." Dies soll
der Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung - des
Vorläufers der heutigen Fremdenpolizei -, Heinrich
Rothmund, anlässlich eines Rapports in einem
Internierungslager gesagt haben. Der Ausspruch, der 1957
im Ludwig-Bericht an den Bundesrat über die
Flüchtlingspolitik der Schweiz zwischen 1933 und 1945
zitiert wurde, ist schon damals heftig kritisiert
worden. Die Polizeiabteilung wiegelte damals ab, Rothmund
habe nur sagen wollen, dass auch schweizer Soldaten auf
Stroh schliefen. Sicher ist: Den Flüchtlingen - allen
voran den jüdischen - wurde deutlich zu verstehen
gegeben, dass sie nur geduldet waren.
[Arbeitsverbot für Flüchtlinge - Verpflichtung zur
Weiterreise für Flüchtlinge bis 1950]
Die Schweiz war ein Transitland: Bereits 1933 gab
der Bundesrat eine Weisung heraus, nach der die
Flüchtlinge verpflichtet waren, sofort ihre Weiterreise
in ein anderes Land zu organisieren. Gleichzeitig
erliess er ein striktes Arbeitsverbot. Die
Flüchtlingshilfe konzentrierte sich deshalb
vor allem auf die Hilfe bei der Weiterreise. Die
Weisung, Flüchtlinge ausschliesslich vorübergehend
aufzunehmen, wurde erst 1950 wieder aufgehoben.
[Flüchtlingshilfe bis 1942 in privater Hand -
Militärflüchtlinge staatlich betreut]
Die
Betreuung und Unterstützung der Flüchtlinge lag bis 1942
ausschliesslich in den Händen privater Organisationen.
Der Staat kümmerte sich nur um die "Militärpersonen",
die geflohenen Kriegsgefangenen und die Deserteure. Die
"Zivilpersonen", die seit Ausbruch des Krieges zunehmend
mittellos in die Schweiz flohen, brauchten nicht nur
Beratung bei der Weiterreise, sondern immer mehr auch
finanzielle Hilfe.
Die private jüdische Fürsorge hatte sich bereits 1938
verpflichten müssen, alle anfallenden Kosten für die
jüdischen Flüchtlinge zu übernehmen, nur deshalb war die
Schweiz laut Rothmund bereit, weitere Juden über die
Grenze zu lassen: "Man durfte es damals wagen, weil man
die Zusicherungen der leitenden Persönlichkeiten der
schweizerischen Judenschaft hatte, die jüdische
Flüchtlingshilfe werde die Unterkunft und Verpflegung
der Flüchtlinge während ihres Aufenthaltes in der
Schweiz aufkommen." So haben 18.000 schweizerische Juden
- später unterstützt durch Hilfe aus den "USA" und eine
vom EJPD durchgesetzte Sondersteuer, die von begüterten
Flüchtlingen verlangt wurde - alle Kosten für die
jüdischen Flüchtlinge übernommen.
[Flüchtlinge in Arbeitslagern ab 1942]
Erst 1942, als die privaten Hilfswerke, Vereine und
Komitees überfordert waren, führte der Bund die
Arbeitsdienstpflicht ein. Fortan übernahm er die Kosten
für die Unterbringung der Flüchtlinge. Alle
Arbeitstauglichen mussten in Lagern leben und hier ihren
Beitrag zur Anbauschlacht leisten.
Lager wie preussische Kasernen
[Das schweizerische Lagersystem: Lagerarten]
Die Schweiz betrieb während des Zweiten Weltkriegs
folgende Typen von Lagern: Sammellager für neu
eingetroffene Flüchtlinge, Quarantänelager, Auffanglager
(für Flüchtlinge, deren Verhältnisse nach ihrem
Aufenthalt in den Sammel- und Quarantänelagern weiter
abgeklärt werden sollten) sowie Arbeitslager und
Ausbildungslager.
Aus einer Zusammenstellung der Polizeiabteilung vom 17.
Januar 1944 geht hervor, dass damals 5612 Flüchtlinge in
Quarantäne- und Auffanglagern, 3681 in Arbeitslagern,
4028 in Interniertenheimen, 262 in "besonderen Lagern"
und 24 in Strafanstalten lebten.
[Nicht geschulte antisemitische Drill-Offiziere als
Lagerleiter]
Das Leben in den Lagern und Heimen war für die
Flüchtlinge oft kaum zu ertragen. Dem unendlichen Leid,
das jeder Flüchtlinge durchlebt hatte, wurde kaum
Rechnung getragen. Die Lagerleiter - oft Offiziere der
Schweizer Armee - waren völlig unvorbereitet für diese
Aufgabe. Alfred E. Häsler belegt in
seinem Buch "Das Boot ist voll" mehrere Fälle von
Offizieren, die man als Lagerleiter eingesetzt hatte,
obschon sie deklarierte Antisemiten waren. Ordnung und
Disziplin erschienen wichtiger als das seelische Wohl
der Insassen. Mit militärischem Drill und unnötigen
Schikanen wie Redeverbot während der Arbeit wurden die
Flüchtlinge in manchen Lagern systematisch gedemütigt.
Charlotte Weber, die in den letzten Kriegsjahren
als Lagerleiterin gearbeitet hat, zitiert in ihrem Buch
"Gegen den Strom der Finsternis" den Brief einer Frau:
"Ich denke mir manchmal wirklich, warum ich vor den
Deutschen ausgerückt bin, um wieder in einer
preussischen Kaserne zu landen..."
[Trennung von Flüchtlingsfamilien, Kindswegnahme,
Sexverbot]
Menschenrechtswidrig ist aus heutiger Sicht auch die
Trennung der Familien bei der Internierung: Frauen und
Männer kamen in getrennte Lager, die Kinder in separate
Heime oder in private Freiplätze. Wie traumatisch diese
Trennung für Ehepaare oder Geschwister war, die oft
sämtliche Angehörige verloren hatten, auf der Flucht
immer in Gefahr gewesen waren, einander zu verlieren,
hat Häsler mit einem Briefausschnitt
dokumentiert: "Wir sind eine vierköpfige Familie, jeder
an einem anderen Ort! Und meine Frau und ich, wir werden
wahnsinnig, weil wir keine Aussicht sehen, einmal wieder
vereint zu werden."
Edith Dietz, die 1942 in die Schweiz
geflüchtet war, berichtet in den Erinnerungen an ihre
Internierungszeit in der Schweiz sogar von einer Frau, die
ihr Kleinkind noch während der Stillzeit in eine private
Familie habe geben müssen. Die ehemalige Lagerleiterin Charlotte
Weber meint heute, dass neben Sachzwängen auch eine
zweifelhafte Moral Anlass für die Trennung von Familien
gewesen sei: "Die meisten Flüchtlinge konnten nicht
beweisen, dass sie verheiratet waren. Und man wollte
nicht, dass sie sich vermehrten."
Die Härte im Umgang mit den Flüchtlingen war aber nicht
ausschliesslich den Behörden vorbehalten. "Wie oft haben
wir uns gegrämt", schreibt Nettie Sutro vom
Schweizerischen Hilfswerk für Emigrantenkinder 1952 im
Buch "Jugend auf der Flucht": "Da arbeiteten wir mit
letzter Kraft, wollten nur retten, helfen, lindern und
wurden ganz gegen unsere Absicht wie über Nacht zu
'Hartherzigen', 'Verständnislosen', 'Bürokratinnen'."
Immerhin habe sich das Hilfswerk die Frage gestellt, ob
die Trennung von Kindern und Eltern richtig gewesen sei; Sutro
zweifelt nicht daran: "Wir wussten wohl, was wir den
Erwachsenen damit antaten; aber man hatte nur die Wahl,
entweder die Kinder in eine möglichst günstige Lage zu
bringen oder die Gefühle der Väter und vor allem der
Mütter zu schonen. Es war offenbar zu viel verlangt, dass
Flüchtlingseltern ihre eigenen Wünsche im Hinblick auf die
der anderen mässigten und still verzichteten."
[Machtlose Journalisten plädieren für die Rechte der
Flüchtlinge - Singverbote im Lager für Kommunisten]
Eine Reihe von schweizer Persönlichkeiten setzten sich
politisch, publizistisch und persönlich für die Anliegen
der Flüchtlinge und immer auch für Einzelschicksale ein.
So der evangelische Pfarrer Paul Vogt oder die
"Flüchtlingsmutter" Gertrud Kurz. Sie nahmen den
Kampf mit den Behörden, mit Heinrich Rothmund und
Bundesrat Eduard von Steiger persönlich auf. So
konnte Kurz nach dem schwarzen 13. August 1942,
als Rothmund aufgrund eines Bundesratsbeschlusses
die Grenzen schliessen liess, in einem persönlichen
Gespräch mit von Steiger erreichen, dass die
Bestimmungen etwas gelockert wurden. Andererseits musste
sie den Behörden viele Gefallen und ihre Loyalität unter
Beweis stellen: So schickte man sie mehrmals ins Tessin,
um mit den internierten Kommunisten zu verhandeln: Sie
sollte sie davon abbringen, im Lagern lauthals ihre
Parteilieder zu singen.
[Flüchtlingsarbeit bis 1950: Visa, Taschengeld,
Kleider, Plätze organisiert - ab 1950 Asylrecht]
"Was damals getan wurde, war Feuerwehrarbeit", sagt Silvia
Plüss, die von 1945 bis 1985 in der Flüchtlingshilfe
tätig war. "Von einer eigentlichen Betreuungsarbeit konnte
man noch nicht sprechen. Wir haben Visa besorgt,
Taschengeld, Kleider, haben Freiplätze gesucht. Die
eigentliche Flüchtlingsbetreuung kam 1950 erst mit dem
Dauerasyl."
Ein Hilfswerk von damals dürfe man nicht mein einem
heutigen vergleichen, meint Plüss: "Die Hilfswerke waren
im Entstehen, das waren keine grossen Institutionen, es
waren kleine personifizierte Kreise, vielleicht auf ein
Pfarrhaus beschränkt."
"Es wird um jeden Einzelnen gekämpft", schrieb 1943 der
Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge. Die Hilfswerke
kümmerten sich um die Flüchtlinge als Menschen, als
Individuen und anerkannten ihr persönliches Leid und
Schicksal. so wurden die Hilfswerke gleichsam zum Gewissen
der Nation. "Durch die unterschiedlichen Hilfswerke waren
alle gesellschaftlichen Schichten in die Flüchtlingshilfe
eingebunden", sagt Plüss. So war die soziale
Trägerschaft des Arbeiterhilfswerks eine andere als
beispielsweise die des Hilfswerks für deutsche
Intellektuelle.
Bis heute ist Plüss der Meinung, dass
Flüchtlingshilfe von privaten Institutionen getragen
werden müsse. Auf den Staat sei in Notzeiten kein Verlass,
da er oft glaube, nach anderen Kriterien als der reinen
Menschlichkeit handeln zu müssen.
[Erst ab 1944 wird Forderungen der Flüchtlingswerke
nachgegeben]
Im letzten Kriegsjahr entspannte sich die Situation
für die Flüchtlinge ein wenig. Als das Kriegsende in Sicht
war, wurden endlich alte Forderungen der Hilfswerke
erfüllt: Jugendliche konnten eine Berufslehre
machen. "Arbeitstaugliche" Flüchtlinge durften jetzt auch
ausserhalb der Lager wohnen. Das Arbeitsverbot wurde
gelockert, Umschulungskurse wurden angeboten.
Ende Februar 1945 organisierte die Zentralstelle für
Flüchtlingshilfe eine Konferenz in Montreux, um über die
Rück- und Weiterreise der Flüchtlinge zu beraten. Neben
den Hilfswerken nahmen Vertreter der Behörden teil, und
erstmals wurden - als Zeichen der entspannteren Lage -
auch Flüchtlinge selbst um ihre Meinung gefragt. Die
Ergebnisse der Konferenz waren materiell gering. Man
einigte sich darauf, dass bei der Weiterreise kein Druck
auf die Flüchtlinge ausgeübt und niemand gegen seinen
Willen in ein Land abgeschoben werden sollte. Erstmals
1947 wurde einer Gruppe von betagten und psychisch kranken
Flüchtlingen in der Schweiz "Dauerasyl" gegeben. 1950
hob der Bundesrat die Weisung aus dem Jahr 1933 über die
Pflicht zur Weiterreise für Flüchtlinge und
Emigranten auf.
Erst jetzt erhielten die Flüchtlinge keine Briefe mehr, in
denen die Polizeiabteilung die Flüchtlinge regelmässig
gefragt hatte: "Was haben Sie für Ihre Weiterreise
unternommen?">
========
Mai 1998: <Judenstempel:
Korrektur einer Halbwahrheit> - der Judenstempel "J"
wurde in Koordination mit Deutschland eingeführt
aus: Schweizerischer Beobachter 18/98, S.12-15
<von Urs Rauber;
Die Schweiz war nicht die Erfinderin des Judenstempels.
Doch sie bahnte - wie andere Staaten auch - mit ihrer
hartherzigen Flüchtlingspolitik den Weg dazu. Der
Beobachter muss seine damalige Kritik am schweizer
Polizeichef Heinrich
Rothmund korrigieren.
Es war eine politische Bombe, die der Beobachter am 31.
März 1954 zündete. Er enthüllte, dass die Einführung des
"Judenstempels" durch die Nazis auf Initiative von
Heinrich Rothmund erfolgt sei. Rothmund war seit 1929 Chef
der Polizeiabteilung im Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement - und zum Zeitpunkt der Publikation
immer noch in Amt und Würden. Der öffentliche Druck, den
die Publikation erzeugte, führte zum Rücktritt des
Polizeichefs im Dezember 1954. Und die schäbige
Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wurde
erstmals Thema einer breiteren Diskussion.
Jetzt wird diese Diskussion neu aufgerollt. Was gestern
eindeutig schien, erweist sich heute als nur noch bedingt
richtig. So etwa die Behauptung, die Schweiz -
beziehungsweise deren Polizeichef Heinrich Rothmund -
habe den Judenstempel erfunden. Die NZZ und die
rechtskonservative "Schweizerzeit" haben bereits vor
Wochen darüber eine Debatte geführt.
Im März 1954 berichtet der Beobachter von einer
"unglaublichen Affäre". Er erinnerte an den Judenstern,
der die Verhaftung und die Deportation der "minderwertigen
andersrassigen Menschen" in Deutschland erleichtert
und direkt "zu den Gaskammern von Auschwitz" geführt habe:
"Dem Schweizer Rothmund kommt das schreckliche Verdienst
zu, den Nationalsozialisten den Weg zu dieser amtlichen
Kennzeichnung der Juden gebahnt zu haben." So schrieb der
Beobachter unter Berufung auf neu publizierte Akten der
Alliierten zur deutschen Aussenpolitik.
Am 30. April 1954 doppelte der Beobachter nach: "Rothmund
war es, der die Kennzeichnung der Pässe deutscher Juden
vorgeschlagen hat." Vier Jahre später, am 28. Februar
1958, schlug die Redaktion einen noch schärferen Ton an:
"Im Jahr 1938 erklärte sich die Naziregierung auf
Veranlassung der schweizer Behörden mit dem
niederträchtigen Kennzeichnen der Pässe jüdischer
Staatsangehöriger durch das entwürdigende "J"-Zeichen
einverstanden." Die kritische Presse, Linksparteien und
jüdische Organisationen protestierten heftig. Und der
Bundesrat beauftragte den Basler Rechtsprofessor Carl Ludwig, einen
Bericht zur schweizer Flüchtlingspolitik im zweiten
Weltkrieg zu verfassen.
Die Folgen einer Fehldeutung
Das böse Wort von der "Erfindung des "J"-Stempels durch
die Schweiz" war geboren und fand Eingang in die seriöse
Geschichtsschreibung. So notierte etwa Jacques Picard, heute
Mitglied der Bergier-Kommission,
in seinem Buch "Die Schweiz und die Juden" von 1995:
"Schweizerische Amtsstellen hatten im Sommer 1938 in
Berlin die Einführung der besonderen Kennzeichnung
deutscher Pässe, deren Inhaber "Nichtarier" waren,
angeregt."
Bundespräsident Kaspar
Villiger erklärte zum 50. Jahrestag des
Kriegsendes am 7. Mai 1995: "Mit der Einführung des
Judenstempels kam Deutschland einem Anliegen der Schweiz
entgegen."
Und auch US-Staatssekretär Stuart Eizenstat griff in seinem Bericht
vom Mai 1997 die Behauptung auf:
"Die Schweiz veranlasste die Nazis zum J-Stempel, der
Zehntausende von Juden daran hinderte, in die Schweiz oder
an andere potentielle Zufluchtsorte zu gelangen."
Gegenüber dem Beobachter präzisierte Historiker Picard,
dass sein Satz "eine zusammenfassende Sicht des
Ludwig-Berichts und der Diskussion der fünfziger Jahre"
wiedergebe "und nicht meiner Ansicht entspricht."
Und auch (S.12) Bundesrat Villiger legte Wert auf die
Feststellung, dass er Rothmund gar nicht erwähnt habe
(siehe Kasten Seite 15).
Dennoch: Die Behauptung, die Schweiz sei Initiantin des
"J"-Stempels gewesen und hätte bei der Durchführung der
deutschen Rassengesetzgebung eine Vorreiterrolle gespielt,
geistert in den Köpfen herum. Heute ist dieser "Mythos"
(NZZ) zu korrigieren. Das legt eine sorgfältige Lektüre
des 1957 erschienen Ludwig-Berichts und neuerer
Fachliteratur nahe.
Unbestritten ist, dass Rothmund an zentraler Stelle für
die Flüchtlingspolitik im Krieg verantwortlich war: für
eine Politik, die unter der Devise vom "vollen Boot" die
Grenzen dicht machte - vor allem im August 1942, als in
Deutschland die "Endlösung der Judenfrage" bereits
Tatsache war. Rothmund sah in den Juden einen
"Fremdkörper" und sprach sich wiederholt gegen die
"Verjudung der Schweiz" aus. Seine antisemitische
Einstellung ist hinlänglich belegt. Daneben war er
allerdings auch ein Gegner des Nationalsozialismus. Die in
Deutschland praktizierten totalitären Methoden lehnte er
ab. Dies zeigen die Quellen in den neu edierten
"Diplomatischen Dokumenten der Schweiz".
Flüchtlingsfeindliches Umfeld
Auch die hartherzige schweizer Flüchtlingspolitik muss aus
der damaligen Situation beurteilt werden. Nach der
Annexion Österreichs im März 1938 sah sich unser Land mit
einem wachsenden Zustrom von - vor alle jüdischen -
Flüchtlingen konfrontiert. Im Juli gleichen Jahres
scheiterte die internationale Flüchtlingskonferenz von Evian: Länder wie
Holland, Belgien, England begannen, ihre Grenzen zu
schliessen.
Auch die "USA" weigerten sich, mehr als die gesetzlich
vorgeschriebene Zahl von 27.000 Flüchtlingen aufzunehmen.
Die Schweiz hatte damals immerhin 10.000 bis 12.000
Verfolgten Schutz geboten. Viele in unserem Land
befürchteten eine Überfremdung und Belastung des
Arbeitsmarkts. Auch Hilfswerke und jüdische Verbände
sorgten sich wegen der wachsenden Flüchtlingsströme.
In dieser Situation forderte der Bundesrat ein Visum für
österreichische und deutsche Passbesitzer: ein fataler
Vorstoss, der den Weg zum J-Stempel bahnte. Die Konsulate
im Ausland sollten nur jenen eine Bewilligung erteilen,
die in der Schweiz Angehörige oder ein Vermögen hätten,
sowie an Weiterreisende.
Die deutsche Regierung wehrte sich gegen den von der
Schweiz verlangten Visumszwang. Denn er hätte auch nicht
auswanderungswillige "arische Personen" betroffen. Der
schweizer Gesandte in Berlin, Paul Dinichert, wollte den
deutschen Wünschen entgegenkommen und schlug am 16. Mai
vor, den Visumszwang "auf die nichtarischen deutschen
Staatsangehörigen" zu beschränken. Damit waren vor allem -
aber nicht nur - jüdische Emigranten gemeint (S.13).
Im August und September 1938 fanden Verhandlungen zwischen
Berlin und Bern statt. Angesichts des Einwanderungsdrucks
war die Schweiz jetzt entschlossen, das Visum einzuführen.
Am 22. August schlug Rothmund für alle Emigranten einen
Passvermerk vor. Nach Meinung des Historikers Alfred Cattani war
sich Rothmund bewusst, "hier auf heiklem Terrain zu
stehen" - auch aus innenpolitischen Gründen. Deshalb
fasste er seine Formulierung so, dass sie nicht nur auf
Juden, sondern auf alle deutschen Emigranten abzielte.
Als der deutsche Gesandte sondierte, ob die Schweiz nicht
auf das Visum verzichten könne, wenn Deutschland die
jüdischen Passinhaber ausdrücklich als solche bezeichne,
antwortete Rothmund, "dass die Lösung technisch möglich",
aber politisch fraglich wäre.
Rothmund gegen "J"-Stempel - [die deutsche Seite schlägt
den J-Stempel vor, die schweizer Seite akzeptiert]
Von einem J-Stempel war erstmals im Schreiben von
Dinicherts Nachfolger, Hans Fröhlicher, vom
7. September die Rede. Der Vorschlag wurde von
Geheimrat Roediger vom Auswärtigen Deutschen Amt
unterbreitet. Aus Gründen der Gegenseitigkeit müsse aber
auch die Schweiz die Pässe von schweizer Juden stempeln.
Fröhlicher, der den Wünschen Berlins näher stand als
Rothmund, äusserte die Auffassung, "dass die deutsche
Regierung uns mit ihrem Vorschlag sehr weit entgegenkomme
und dass die Lösung annehmbar sei."
Rothmund meldete sofort Bedenken an:
"Eine Abmachung, wonach die schweizerischen Juden anders
behandelt werden als nichtjüdische Schweizer, scheint mir
nicht tragbar."
Zudem betreffe das Ausreiseproblem nicht nur Juden,
sondern auch Kirchenvertreter und Deutschnationale:
"Flüchtlinge, die in weit grösserem Mass den Stempel der
"politischen" auf sich tragen als die Juden."
Der deutsche Vorschlag sei abzulehnen, weil die Schweiz
riskiere, "die ganze zivilisierte Welt gegen uns zu
haben."
Aufgrund des Ludwig-Berichts steht also fest, dass
Rothmund ein Gegner des "J"-Stempels war.
Am Schluss der vertraulich geführten Verhandlungen Ende
September eröffnete der deutsche Delegierte Werner Best,
dass seine Regierung zur Durchführung der Nürnberger
Rassengesetze von 1935 zwei Massnahmen beschlossen habe
die Stempelung des "J"-Zeichens auf Inlandkarten von
Nichtariern (eine Massnahme, die mit der Emigration nichts
zu tun hatte) und die Abgabe von "J"-gestempelten
Auslandpässen an Nichtarier, die die
Übersiedlungsbewilligung eines anderen Staates besassen.
Die ursprünglich geforderte Stempelung der Pässe von
schweizer Juden liess die deutsche Regierung in der
Verordnung vom 5. Oktober 1938 wieder fallen. Bundesrat Motta und der Gesandte
Fröhlicher drangen
darauf, die Berliner Vereinbarung zu unterzeichnen. So
stimmte der Bundesrat zu - gegen die Bedenken Rothmunds.
Damit ist klar: Beim J-Stempel handelt es sich um einen
deutschen Vorstoss, der in der Tradition antijüdischer
Erlasse seit 1933 stand. Der Vorstoss war auch eine
Antwort auf das schweizer Flüchtlingsproblem. Dass unser
Land solcher Rassendiskriminierung zustimmte, war für die
jüdischen Flüchtlinge verheerend. Die inhumane, für viele
tödliche Massnahme war auch staatspolitisch falsch, denn
sie löste das Einwanderungsproblem nicht.
"Verstrickungen und Schuld" führten zum J-Stempel,
folgerte Alfred Cattani in der NZZ. Für ihn trägt der
Bundesrat die Hauptverantwortung für die schweizerische
Mitschuld. Verantwortlich waren auch die schweizer
Repräsentanten in Berlin. "Rothmund hingegen resignierte
schliesslich vor dem Willen des Bundesrats und machte sich
wider besseres Wissen zum Mitbeteiligten."> (S.15)
========
21.10.1999: KZ Büren an der Aare 1940-1945:
"Bürs"
aus: Tagesanzeiger online: "Auf die gleiche Art wie in
Deutschland"; 21.10.1999;
http://www.tages-anzeiger.ch/991021/210699.HTM
Buchempfehlung
<Jürg
Stadelmann/Selina Krause: "Concentrationslager"
Büren an der Aare 1940-1946. Das grösste Flüchtlingslager
der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Verlag hier+jetzt, Baden
1999. 58 Fr.>
<Ein neues Sachbuch erinnert an das grösste Schweizer
Internierungslager im Zweiten Weltkrieg und an ein
unrühmliches Kapitel Flüchtlingspolitik.
Von Remigius Bütler
[Ein Internierungslager mit Stacheldraht, Baracken und
Wachtturm]
Rudolf Müller, Münsinger Pfarrer und Chef des
Armeefürsorgedienstes, war entsetzt über die
"Konzentrationslagerkopie" in Büren an der Aare: Ein
stacheldrahtumzäuntes Barackendorf, mittendrin ein
Wachtturm - das grösste und am längsten betriebene
Flüchtlingslager der Schweiz weckte auf den ersten Blick
schlimme Assoziationen. 1990 erklärte ein früherer
polnischer Wachtmeister: "Dies ist das Einzige, was ich
den Schweizern vorwerfe: dass sie dieses Lager gebaut
haben auf die gleiche Art wie die Lager in Deutschland."
Solche Aussagen finden sich im Sachbuch
"Concentrationslager Büren an der Aare" von den
Historikern Jürg Stadelmann und Selina Krause.
[Ein Lager auf einer Insel - und die Liebe siegt
trotzdem]
12 000 Polen hatten im Juni 1940 als Teil eines
französischen Armeekorps die Grenze überschritten. Damals
war die Schweiz auf die lange Internierung ganzer
Einheiten nicht vorbereitet, der Territorialdienst war
völlig überfordert. Ein mit Bundesrat Rudolf Minger
befreundeter Oberst und Ingenieur entwarf ein Lager mit
6000 Plätzen. Das Areal war auf allen Seiten von der Aare
umflossen und lag abseits vom Städtchen und weit
ausserhalb des Réduits. Obwohl Kontakte zwischen
Internierten und Einheimischen verboten waren, waren
Liebesbeziehungen und Ehen zwischen Schweizerinnen und
Polen keine Seltenheit.
Schüsse auf Meuterer -
[zu wenig Beschäftigung - Alkohol und Schlägerei]
In Büren war zu einem Zeitpunkt ein "Concentrationslager"
vorgesehen, als deutsche KZs noch den Ruf von Gefängnissen
und Arbeitslagern, nicht aber von
Massenvernichtungsstätten hatten. Flüchtlinge und
Vertriebene an einem zentralen Ort unterzubringen,
betrachteten die Verantwortlichen als effizienteste und
kostengünstigste Lösung. Obwohl als Musterbeispiel
helvetischer Improvisation gelobt, handelte es sich um
eine Fehlkonzeption: An die seelische Verfassung der
Menschen, von denen die meisten unterbeschäftigt waren,
hatten die Planer nicht gedacht, so dass Alkoholmissbrauch
und Raufereien zur Tagesordnung gehörten.
[Freiheitskämpfer inhaftiert - die Revolte am
28.12.1940]
Polnische Soldaten lebten als Erste in den 120
winterfesten Baracken im "Häftli", wie das Gebiet
sinnigerweise hiess. Von der Bevölkerung vor kurzem noch
als Freiheitskämpfer bewundert, taten sie sich schwer mit
der militärisch straffen Organisation. Am 28. Dezember
1940 wuchs sich der Unmut zur Revolte aus. Die
Lagerleitung liess schiessen, zwei Polen wurden verletzt.
Von da an galten sie nicht mehr als "Helden", sondern als
"Lagerinsassen", die es mit allen Mitteln zu
disziplinieren galt.
Hunger und Bajonette -
[jüdische Häftlinge ab Spätsommer 1942 - "Bürs"]
Ab Spätsommer 1942 folgten jüdische Flüchtlinge. Das Lager
blieb aber unter militärischem Kommando, die Zivilisten
wurden von Soldaten mit Schäferhunden und aufgepflanzten
Bajonetten bewacht. Die martialische Umgebung wirkte
angesichts der bereits erlebten Schrecken besonders
beängstigend. Nebst Kälte und miserablen hygienischen
Bedingungen machte den Männern, Frauen und Kindern auch
Hunger zu schaffen, obwohl trotz Rationierung genügend
Lebensmittel vorhanden waren. Der Name "Bürs"
machte die Runde - in Anspielung auf das berüchtigte
südfranzösische Lager Gurs. Die unsensible
Behandlung kritisieren die Verfasser denn auch als
"dunkles und unrühmliches Kapitel".
[7000 Inhaftierte - russische "Heimkehrverweigerer"
1945 - die Schweiz liefert die Russen aus]
Gesamthaft 7000 polnische Soldaten, jüdische
Zivilisten, italienische Militärpersonen und Partisanen
waren von 1940 bis Kriegsende hier untergebracht und
erlebten "Helferwillen und Sympathie, aber auch Sturheit
und Inkompetenz". Die Autoren Selina Krause und Jürg
Stadelmann zeichnen ein differenziertes Bild des
"Mikrokosmos Lager" und seinen Kontakten nach aussen. Die
Verfasser beleuchten zudem die fast unbekannte Geschichte
sowjetrussischer "Heimkehrverweigerer". Diese wurden zum
aussenpolitischen Spielball zwischen Stalin und der
Schweiz, die Hand für Zwangsrepatriierungen bot, um ihre
diplomatischen Beziehungen zu normalisieren.
Nebst umfangreichen Quellen hat das Team Schilderungen
vieler Zeitzeugen sowie illegal gedrehte Filme
ausgewertet. Herausgekommen ist ein leicht lesbares,
reichhaltig illustriertes Werk, das ohne moralisierende
Wertungen auskommt und selbst wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt.
Remigius Bütler>
========
31.8.2001: Das Polarrot für die
Hakenkreuzfahne kam aus der Schweiz - Ciba machte sich
"judenfrei"
aus: Georges Wüthrich:
Das Polarrot der Hitlerfahne: Schweiz lieferte Nazis die
Farbe; In: BLICK, 31. August 2001, S.1-2
<Die Farbe für die deutsche
Hakenkreuzfahne kam aus schweizer Küchen
BERN - Das wird ja immer besser! Jetzt hat die Schweiz
auch noch die rote Farbe für die Hakenkreuz-Fahnen der
Nazis geliefert. Die jüngste Tranche von Berichten der
internationalen Bergier-Kommission enthüllt ganz neue
Formen der wirtschaftlichen Verflechtung der Schweiz mit
Nazi-Deutschland.
Die Farbe wurde Polarrot genannt und war ein
Verkaufsschlager des Basler Chemiekonzerns Geigy.
Geigy lieferte Polarrot auch ins Dritte Reich. Die
Basler wussten ganz genau, wofür es die Nazis brauchten
- "für die Hitlerfahne".
Das ist nur ein Beispiel von vielen aus den neusten
Veröffentlichungen der Bergier-Kommission. In acht
Bänden, auf mehr als 3000 Seiten, kann man jetzt
nachlesen, wie eng die Beziehungen der schweizer
Wirtschaft zu Nazi-Deutschland waren.
Und ein ganz neues Kapitel wird aufgeschlagen - die
Verflechtung der schweizer Hochfinanz mit der Politik in
den Nachkriegsjahren am Beispiel der verschlungenen
Interhandel-Affäre. Der Bundesrat liess sich
willfährig einspannen, damit Finanzhaie und
Grossbanken riesige Profite aus der Niederlage des Dritten
Reiches schlagen konnten. >
========
31.8.2001: <Für Geschäfte mit den Nazis
machte Geigy sich judenfrei>
aus: BLICK, 31. August 2001, S.3
<VON GEORGES WÜTHRICH
BERN - Farben für die Hakenkreuz-Fahnen. Farben für die
Fest-Uniformen der NSDAP. Farben für die Uniformen der
Luftwaffe und der Reichsmarine. Die Nazis wussten, was
sie an der Basler Chemiefabrik Geigy hatten. Und diese
wusste, was sie dafür zu tun hatte - judenfrei werden.
Am 11. Juli 1934 versicherte Carl Koechlin,
kaufmännischer Leiter der Basler J.R. Geigy AG,
dem Hauptreferenten im Wehrpolitischen Amt der NSDAP,
dass der Aktionär, der im ganzen 50 Aktien besitze,
sicherlich nicht Jude sei. Hingegen wäre er nicht
überrascht, wenn bei den Vorfahren jüdisches Blut
vorhanden wäre.
Koechlin holte sich mit solchen Versicherungen den
heiss begehrten Berechtigungsnachweis der
NSDAP-Reichzeugmeisterei zur Lieferung von Farbstoffen. Die
Genehmigung
war an die Bedingung geknüpft, dass das Unternehmen
arisch sei. Geigy hatte, wie übrigens der Basler
Konkurrent Ciba auch, schon 1933 alle
jüdischen Verwaltungsratsmitglieder ihrer deutschen
Töchter mit deutschen Ariern ersetzt.
Die Anpassung lohnte sich: Geigy erhöhte seinen deutschen
Farbstoff-Umsatz bis 1939 auf 8,3 Mio. Franken. Eine
grosse Fahnenfabrik bezog aus der Geigy-Tochterfirma im
deutschen Grenzach regelmässig Polarrot G und RS.
Eine interne Notiz hält 1934 fest, dass damit "zweifelsohne
die Hitlerfahne gefärbt" wurde.
Aber auch für das gute Tuch von NSDAP-Festanzügen lieferte
Geigy ihr Säurechromblau CA. Und für die eleganten
Flieger- und Marineuniformen der Wehrmacht setzte man
ebenfalls auf Geigy-Chromfarbstoffe.
Die beiden jungen Historiker Lukas Straumann und Daniel
Wildmann untersuchten für die Bergier-Kommission die
Rolle der schweizer Chemie-Unternehmen im Dritten Reich.
Sie stiessen auf erschütternde Belege: "Uns störte die
teilweise kalte Sprache, lukrative Geschäfte wurden
teilnahmslos mit der Judenfrage verknüpft."
[Roche Warschau stellt polnische Juden an]
Die Historiker stellten allerdings auch fest, dass die
auch im Dritten Reich bestehenden Handlungsspielräume
unterschiedlich genutzt wurden. So stellte Roche
Warschau 1940 pro forma junge jüdische Polen an, um
zu verhindern, dass diese als Zwangsarbeiter nach
Deutschland deportiert wurden. "Das Ganze nahm fast
Schindlersche Züge an", fasst Professor Jean-François
Bergier das Roche-Engagement zusammen.>
========
3.3.2009: Nazi-Zeit in Bern: <Nazis in Berns
besten Kreisen>
Die Historikerin Katrin Rieder hatte im August 2008 mit
einer Dissertation zur Rolle der Bernburger für Aufsehen
gesorgt. Sie zeigte unter anderem auf, dass einige Burger
während der Nazizeit aktive Frontisten waren.
Die Bernburger hätten dieses düstere Kapitel ihrer
Geschichte nie aufgearbeitet, lautet ein Hauptvorwurf des
700-seitigen Buches. Rieder deckte insbesondere auf, dass
der 1968 ohne Gegenstimme zum Burgerratspräsidenten
gewählte Georges Thormann in den dreissiger Jahren als
Gauführer der Nationalen Front Bern gewirkt habe. Als
solcher hatte er auch das Versammlungslokal der Ortsgruppe
im Zunfthaus zum Distelzwang gemietet.
Vorsichtige Bewertung
Es gehe nicht an, dass von Einzelpersonen gleich auf die
Burgergemeinde als Ganzes geschlossen werde, hatte
Burgerratspräsident Franz von Graffenried nach der
Veröffentlichung des Buches in einer ersten Stellungnahme
erklärt.
In der Zwischenzeit betrieb nun die Burgergemeinde eigene
Quellenforschung. Die Burgergemeinde bewertet das geprüfte
Material bewusst vorsichtig, wie sie in der schriftlichen
Stellungnahme betont.
Die Quellenbasis sei insgesamt zu schmal, um zu einer
statistisch erhärteten Aussage zu gelangen, ob die
Einrichtungen der Burgergemeinde besonders extreme
Positionen bezüglich Rassismus, Eugenik und
Fremdenfeindlichkeit vertreten hätten.
Nicht immer angemessen
Eingeräumt wird in der schriftlichen Stellungnahme
jedoch, die Burgergemeinde und ihre Exponenten seien «den
Herausforderungen der Zeit zwischen 1930 und 1945 aus dem
Blickwinkel unserer Zeit nicht immer angemessen begegnet».
Die vorhandenen Materialien enthüllten indes keinerlei
Hinweise darauf, dass die Burgergemeinde und ihre
Exponenten «überwiegend und in aussergewöhnlicher Weise
einem der politischen Extreme der Zeit zuneigten».
Insgesamt seien in der fraglichen Zeit weniger als ein
Prozent der Behördenmitglieder frontistisch und vielleicht
10 bis 15 Prozent in rechtskonservativen
oder rechtsbürgerlichen Gruppierungen aktiv gewesen.
Mächtige Bernburger
Die Burgergemeinde Bern ist eine sogenannte
Personengemeinde – im Gegensatz zu den als
Territorialgemeinden ausgestalteten Einwohnergemeinden.
Die Burgergemeinde Bern setzt sich aus rund 17 300
Angehörigen der 13 Gesellschaften
und Zünfte und den Burgerinnen und Burgern ohne
Zunftangehörigkeit zusammen. Ihre Wurzeln reichen bis ins
Mittelalter.
Die landläufige Einschätzung verbindet mit dem Begriff
Bernburger auch alte, vornehme Bernergeschlechter,
Reichtum und Macht. Die Burgergemeinde verfügt über viel
Grundbesitz und unterhält zahlreiche wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Institutionen.
Quelle: SDA/ATS>
========
Das Fluchtbüro für "grosse Nazis" in Bern an der
Marktgasse 49 - und Argentinien vernichtete die Akten
1996
aus: Theo Bruns:
Massenexodus von NS-Kriegsverbechern nach
Argenien. Die größte Fluchthilfeoperation der
Kriminalgeschichte;
http://ila-bonn.de/artikel/ila299/massenexodus.htm
Rothmund in Bern war nicht nur einer der "Ideengeber" für
den Judenstempel, sondern war auch an der Organisation der
Flucht der "grossen Nazis" nach 1945 nach Süd-"Amerika"
beteiligt, an der Marktgasse 49 in Bern.
Zitat:
<In der Schweiz war ein illegales Schlepperbüro
eingerichtet worden, das die illegale Einwanderung nach
Argentinien koordinieren sollte. Untergebracht in der
Marktgasse 49 in Bern firmierte es unter dem Tarnnamen
Argentinische Auswanderungszentrale und stand unter der
Obhut des argentinischen Botschafters und GOU-Offiziers
Benito Llambí.
Nachdem Carlos Fuldner Ende 1947 nach Europa zurückgekehrt
war, kam die Fluchthilfeoperation auf volle Touren. Seine
Operationsbasen waren die Schlepperzentrale in Bern sowie
die Büros der DAIE (Delegación Argentina de Inmigración en
Europa) in Genua und Rom. Von hier aus entwickelte er die
zentralen Fluchtrouten für flüchtige Nazis. Zentrale
Fluchthelfer des Berner Büros waren die deutschen
NS-Wissenschaftler Herbert Helfrich und Georg Weiss.
Helfrich hatte in Deutschland ein Schleppernetz aufgebaut,
welches Personen, denen ein alliiertes „Exit Permit“ fehlte,
klandestin über die Schweizer Grenze brachte. Dort
angekommen wurden die Flüchtlinge mit Papieren versorgt und
entweder via KLM nach Buenos Aires ausgeflogen oder über
Genua auf dem Seeweg an den Rio de la Plata verbracht.
Obwohl dem US-amerikanischen Geheimdienst die Aktivitäten
der Marktgassen-Crew nicht verborgen blieben und auch der
Schweizer Botschafter in Buenos Aires, Feers, vor dem Trio
Fuldner, Helfrich, Weiss als Abenteurern und
„110-prozentigen Nazis“ warnte, konnten sie ihr Treiben
lange ungestört fortsetzen.
Dies war der Protektion durch hochrangige Schweizer Beamte
zu verdanken, die bereits während des Zweiten Weltkriegs
durch NS-Nähe und Antisemitismus aufgefallen waren. Zu
trauriger Berühmtheit gelangte der Schweizer Polizeichef
Heinrich Rothmund. Frank Garbely bezeichnete ihn in seinem
Buch Evitas Geheimnis mit Fug und Recht als „Symbolfigur der
antisemitischen Flüchtlingspolitik“. Rothmund hatte 1942 die
vollständige Schließung der Schweizer Grenzen für jüdische
Flüchtlinge angeordnet, zeigte sich gegenüber den Belangen
flüchtiger Nazis aber bemerkenswert aufgeschlossen. Auch
Oberstleutnant Paul Schaufelberger, der früher enge Kontakte
zum Auslands-SD Schellenbergs unterhalten hatte, arbeitete
mit den Marktgassenverschwörern zusammen. Mit von der Partie
war auch Jacques-Albert Cuttat, der Schweizer Botschafter in
Buenos Aires während des Krieges und spätere
stellvertretende Außenminister. Cuttat war ein alter Freund
Ludwig Freudes und blockierte nun die polizeilichen
Ermittlungen gegen die Nazischmuggler. Als das Büro im
Februar 1949 geschlossen wurde, war ein Großteil der Arbeit
getan. Fuldner war bereits im Herbst 1948 nach Argentinien
zurückgekehrt, um für die von ihm in seine Heimat
geschleusten Nazis Arbeit und Anstellung zu finden. Uki Goñi
hält als Bilanz fest: „Die zwielichtige Allianz aus früheren
Nazi-Agenten, Schweizer Beamten und argentinischen
Diplomaten brachte eine ganze Legion von NS-Verbrechern in
Sicherheit.“ Als Frucht dieser Aktivitäten war Mitte 1948 in
der Einwanderungsbehörde in Buenos Aires eine Flut von
Anträgen auf Einreisegenehmigung eingegangen, die u.a. eine
ganze Reihe von Hard-Core-Kriegsverbrechern betrafen: Josef
Schwammberger, für seine Brutalität berüchtigter Kommandant
des Ghettos von Przemysl; Erich Priebke, verantwortlich für
die Massaker in den Ardeatinischen Höhlen in Italien; Josef
Mengele, KZ-Arzt von Auschwitz; Adolf Eichmann, Exekutor der
„Endlösung“.
Obwohl die fraglichen Hauptkriegsverbrecher über einen
Zeitraum von zwei Jahren verteilt einreisten (Priebke:
November 1948; Mengele: Juni 1949; Eichmann: Juli 1950),
wurden ihre Anträge innerhalb von zwei Monaten eingereicht,
die von Mengele und Priebke sogar mit fortlaufenden
Aktenzeichen. Mengele und Eichmann wurden zwischen April und
Juni 1948 Ausweise der italienischen Stadt Temeno (Tramin)
in Südtirol auf die Namen Helmut Gregor (Nr. 114) bzw.
Riccardo Klement (Nr. 131) ausgestellt. Und auch die
Rote-Kreuz-Pässe diverser Kriegsverbrecher weisen häufig
eine verdächtig dicht aufeinander folgende Nummerierung auf.
Klare Hinweise auf eine koordinierte Aktion. Ein Großteil
der Akten, die genaueren Aufschluss hätten geben können und
nach den Worten eines Juristen der argentinischen
Einwanderungsbehörde „extrem kompromittierend“ waren, wurden
während der Präsidentschaft Carlos Menems – pikanterweise
kurz vor der Bildung einer staatlichen Historikerkommission
zur Aufklärung der argentinischen Nazi-Connection – 1996 auf
Anweisung der Regierung aus den Archiven geholt und an der
Hafenmole verbrannt. Uki Goñi vermutet, dass die erwähnten
Einreiseanträge von Fuldner über die DAIE in Genua an
Freudes Nachrichtenabteilung übermittelt wurden.
Das Räderwerk dieser „größten Fluchthilfeoperation der
Kriminalgeschichte“ funktionierte im Dreieck von
Nachrichtenabteilung im Präsidentenpalast, der
Einwanderungsbehörde in Buenos Aires und den Schlepperbasen
in Europa reibungslos. Mit der Schifffahrtsline des
argentinischen Reeders Dodero und der staatlichen Fluglinie
FAMA standen sichere Transportwege über den Atlantik zur
Verfügung. Zum Internationalen Roten Kreuz, das Ersatzpässe
auf falsche Namen ausstellte, bestand ein routinemäßiger
Kontakt, und in Argentinien brachten Fuldner und Co. ihre
angekommenen „Schützlinge“ in eigenen Firmen unter. Zur
Perfektion gebracht wurde dieses System durch die enge
Zusammenarbeit mit einem weiteren mächtigen Bündnispartner,
dem Vatikan. Davon wird der dritte und letzte Teil dieser
Artikelserie berichten.
Uki Goñi: Odessa – Die wahre Geschichte – Fluchthilfe für
NS-Kriegsverbrecher. Übersetzung: Theo Bruns und Stefanie
Graefe, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2006 ISBN
3-935936-40-0, 400 Seiten, 22 Euro
Theo Bruns, der Übersetzer des Buches, stellt es
in einer dreiteiligen Artikelserie in der ila vor. Siehe
auch:
Argentinien
und die „Unerwünschten“
Nach 1938 konnten jüdische Flüchtlinge oft nur
heimlich oder mit gefälschten Papieren einreisen
Der Vatikan und die Rattenlinie
Wie die katholische Kirche Nazis und Kriegsverbrecher
nach Südamerika schleuste>
========
12.9.2013: Liechtenstein nach dem
Österreich-Anschluss 1938 wäre von der Schweiz fast
besetzt worden
aus: Basler Zeitung online:
«Das hätte
die Schweiz durch eine Besetzung verhindern wollen»;
12.9.2013;
http://bazonline.ch/kultur/ausstellungen/Das-haette-die-Schweiz-durch-eine-Besetzung-verhindern-wollen/story/25481869
Eine neue Ausstellung zeigt, wie prekär
das Jahr 1938 für Liechtenstein war. Historiker Donat
Büchel über die Angst vor Hitler, einen vereitelten
Putsch und Einmarschpläne von unerwarteter Seite.
Inwiefern war Liechtenstein 1938 in Gefahr, vom NS-Regime
annektiert zu werden?
Sehr bedrohlich war zumal die Woche nach dem sogenannten
Anschluss Österreichs im März. Niemand wusste, ob die
Deutschen danach gleich nach Liechtenstein weiterziehen
würden. Am 18. März beschloss Hitler in einer nicht publik
gemachten Entscheidung, die Souveränität Liechtensteins
vorerst zu respektieren und keinen aktiven Anschluss
anzustreben.
Welche Rolle spielte die Schweiz für Liechtenstein in
diesem turbulenten Jahr?
Eine sehr grosse, da die zwei Länder seit 1924 eine
Zollunion bildeten. Wohl auch wegen dieser Zollunion
schlugen die Nazis die Causa Liechtenstein zur Causa
Schweiz.
Hierzulande ist die Vorstellung weit verbreitet, dass
die Schweiz sich damals verpflichtet habe, Liechtenstein
im Kriegsfall beizustehen und dass dieser militärische
Schutz bis heute gelte.
Das ist falsch. Der Bundesrat bläute der
liechtensteinischen Regierung schon in den 30er-Jahren und
danach wieder ein, dass es keine Hilfe erwarten dürfe,
falls es in einen Konflikt mit den Nazis verstrickt werden
sollte. Falls die Schweiz ihrerseits allerdings
angegriffen worden wäre, hätte sie sich das Recht
ausbedungen, in Liechtenstein einzufallen und das Land für
Manöver zu nutzen.
Was erhoffte man sich von einer solchen Invasion?
Die Angst der Schweizer Militärführung war gross, dass die
Deutschen auf den Anhöhen Liechtensteins ihre Artillerie
in Position bringen und von dort aus die Ostschweiz
beschiessen könnten. Das hätte die Schweiz im Ernstfall
durch eine Besetzung Liechtensteins verhindern wollen.
Wie stand die Liechtensteiner Bevölkerung und der
Fürst den Nazis gegenüber? War eine
nationalsozialistische Revolution denkbar?
Die grosse Mehrheit der Bevölkerung war gegenüber Hitler
negativ eingestellt. Der Fürst, der greise Franz I.,
teilte diese Meinung – sicherlich auch deshalb, weil seine
Frau Elsa Jüdin war. Das Fürstenhaus unter Fürst Franz
Joseph II. und der Landtag kommunizierten immer deutlich,
dass Liechtenstein unabhängig bleiben wolle und keinen
Anschluss suche.
1939 kam es aber zu einem Putschversuch.
Es gab eine nationalsozialistische Bewegung, die
«Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein», der zwischen
150 und 300 Liechtensteiner angehörten und die entstanden
war, nachdem sich alle Parteien und der Fürst auf eine
strikte Eigenstaatlichkeit festgelegt hatten. Die
Volksdeutschen wollten 1939 einen Zusammenstoss mit
Anhängern des Fürsten provozieren und danach die
nationalsozialistischen Truppen in Feldkirch um Hilfe und
so ins Land rufen. Die Behörde wusste aber von den
Absichten und setzte sich mit Feldkirch in Verbindung, um
sich gegen ein Einschreiten abzusichern. Ein
Regierungsvertreter traf sich mit den aufmarschierten
Umstürzlern, um mit ihnen zu diskutieren, und es gelang
ihm tatsächlich, sie von der Sinnlosigkeit ihres Tuns zu
überzeugen. Die Revolutionäre gingen unverrichteter Dinge
wieder nach Hause.
Welche Folgen hatte der Anschluss Österreichs für die
liechtensteinische Monarchie?
Der Fürst verlegte seinen Regierungssitz nach Vaduz, was
eine grosse symbolische Wirkung hatte. Auch kam es zur
Machtübergabe. Der 85-jährige, kränkelnde Franz I. übergab
an seinen Grossneffen Franz Josef II., der bis 1989
regieren sollte.
In der Schweiz ist die Flüchtlingspolitik der 1930er-
und 1940er-Jahre bis heute ein Thema. In Liechtenstein
auch?
Die Problematik der nachrichtenlosen Vermögen war nicht so
akut wie in der Schweiz. In der Flüchtlingspolitik war
Liechtenstein bis 1941 relativ autonom , danach musste es
wegen des Zollvertrags die Schweizer Gepflogenheiten
übernehmen. Juden hatten wie alle Ausländer die
Möglichkeit, das liechtensteinische Bürgerrecht zu kaufen.
Das kostete 1934 zirka 20'000 Franken, 1937 waren die
Gebühren dann faktisch bereits doppelt so hoch. Das war
eine sehr lukrative Einnahmequelle für das damals sehr
arme Liechtenstein.
Aber auch eine moralisch sehr fragwürdige Praxis.
Ja, das war natürlich eine zweischneidige Angelegenheit.
Kritisiert wurde diese Praxis, die in der NS-Zeit etlichen
Neubürgern das Leben rettete, allerdings eher von
Antisemiten, die eine Zuwanderung von Juden in grosser
Zahl befürchteten. Es gab auch Diskussionen darüber, ob
Menschen, die überhaupt keinen Bezug zu Liechtenstein
hatten, weiterhin im Ausland lebten und nur nach
Liechtenstein kamen, um dort den Bürgereid abzulegen, den
Pass bekommen sollten. Die Schweiz sah diese
Einbürgerungen im Übrigen auch sehr ungern. Von 1941 bis
1963 entschied sie dann darüber, wer in Liechtenstein
eingebürgert werden durfte. Bei eingebürgerten Personen,
die weniger als zwei Jahre in Liechtenstein gelebt hatten,
konnte die Schweiz Einspruch einlegen.
Liechtenstein ist ein sehr kleines Land – gibt es noch
Streit wegen der damaligen Turbulenzen?
Das weiss ich ehrlich gesagt nicht. Das zeigt dann
vielleicht unsere Ausstellung. Die NS-Zeit war jedenfalls
lange Zeit ein Tabuthema, die Erinnerung daran
traumatisch. Das Thema wird erst seit den 1970er-Jahren
und verstärkt seit den 1990er-Jahren aufgearbeitet.
(baz.ch/Newsnet)>
========
Dutzende Kriegsverbrecher des nationalsozialistischen
Regimes, darunter etwa Josef Mengele
und der für die Deportation von Juden in die
Vernichtungslager der Nazis zuständige Adolf Eichmann,
haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien
abgesetzt und lebten dort teilweise unter falscher
Identität. Nun ist in Argentinien eine Liste mit
den Namen von 12.000 Nazis aufgetaucht, die
dort ab den 1930er Jahren gelebt haben sollen, berichtet
unter anderem die britische Rundfunkanstalt BBC. Das
Simon Wiesenthal Center, ein in den USA ansässiges
Institut, das dafür bekannt ist, Nationalsozialisten
aufzuspüren, veröffentlichte
einige Seiten der Namensliste mit dem Hinweis, dass
viele der erwähnten Personen Schweizer Bankkonten
hätten. In einer Erklärung schrieb das Zentrum:
„Wir glauben, dass sich auf diesen lange ruhenden
Konten Geld befand, das den jüdischen Opfern des
Nationalsozialismus gestohlen worden war.“
Geld jüdischer Opfer bei der Credit Suisse?
Die Liste der Namen wurde von einem argentinischen
Ermittler, Pedro Filipuzzi, in einem alten Lagerraum in
Buenos Aires gefunden. Es wird vermutet, dass viele der
im Dokument genannten Personen Geld auf Bankkonten der
„Schweizerischen Kreditanstalt“ überwiesen hatten. Die
„Schweizerische Kreditanstalt“ ist seit 1997 als Credit
Suisse Group bekannt.
Nachdem das nationalsozialistische Deutschland 1935
rassistische Gesetze eingeführt hatte, begann es mit der
Aneignung jüdischen Eigentums, und es wurde viel Geld auf
Schweizer Bankkonten überwiesen. In den 1930er Jahren
wurde Argentinien größtenteils von einem
nationalsozialistischen Militärregime regiert. Als der
Anti-Nazi-Präsident Roberto Ortiz 1938 die Macht übernahm,
gründete er die
„Sonderkommission zur Erforschung
anti-argentinischer Aktivitäten“. Diese
Kommission nahm bei einem Überfall auf die „Nazi-Unión
Alemana de Gremios“ Dokumente in Besitz, die die kürzlich
wiederentdeckte Liste enthielten. 1943 kam in Buenos Aires
ein nationalsozialistisches Regime an die Macht und es
wurde davon ausgegangen, dass die von der Kommission
beschlagnahmten Erkenntnisse verbrannt worden waren.
Die Liste der Namen wurde von einem argentinischen
Ermittler, Pedro Filipuzzi, in einem Lagerraum im
ehemaligen Hauptquartier der Nazis in Buenos Aires
gefunden. In einer Erklärung gegenüber der
Nachrichtenagentur AFP sagte die Credit Suisse, sie
werde die Angelegenheit erneut untersuchen. Zuvor
arbeitete die Bank von 1997 bis 1999 mit der
Volcker-Kommission zusammen, die ruhende Schweizer
Bankkonten der Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung untersuchte.>
========
Widerstand Schweiz gegen 3R am 26.9.2022:
Eis am Bodensee aufgesägt
Impfschäden Schweiz Coronaimpfung, [26.09.2022 14:53]
https://t.me/Impfschaden_Corona_Schweiz/54278
Eine neue Meldung: [...]
Mein Grossvater stand in den 40er Jahren mit dem Karabiner
auf dem Bodensee als Zielscheibe und hat Eis aufgesägt damit
die Deutschen nicht rüber kommen können.